Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Zahlreiche Länder machen es vor: 64 Nationen wie Australien, die Schweiz oder Mexiko haben längst tierschutzgerechte Methoden eingeführt, die die betäubungslose Ferkelkastration ersetzen. Hierzulande ist es hingegen nach wie vor üblich, männliche Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren – etwa 22 Millionen Ferkel pro Jahr müssen diese grausame Tortur über sich ergehen lassen. Obwohl das Deutsche Tierschutzgesetz vorschreibt, dass ein schmerzhafter Eingriff bei einem Wirbeltier nicht ohne Betäubung erfolgen darf, galt bisher für die Kastration von unter acht Tage alten Ferkeln eine Ausnahme. Eigentlich war es beschlossene Sache, dieses gängige Verfahren zu beenden: Ab dem 1. Januar 2019 sollte ein Verbot in Kraft treten, nachdem der Bundestag 2013 eine Änderung des Tierschutzgesetzes verabschiedet hatte. Die Fleischbranche hatte also ausreichend Zeit, schmerzfreie Alternativen auszutesten. Jetzt steht das Verbot jedoch auf der Kippe.
„Es existieren drei tierschutzkonforme und praktikable Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration, wie auch die Bundesregierung bestätigt“, sagt Dr. Stefanie Zimmermann, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Die Mast von unkastrierten Ebern, die Immunokastration – eine Art Impfung gegen Ebergeruch – und die chirurgische Kastration unter Vollnarkose und Schmerzmitteln.“
Die Fleischbranche und landwirtschaftsnahe Verbände favorisieren jedoch den sogenannten vierten Weg, bei dem die Ferkel lokal betäubt werden. Der Deutsche Tierschutzbund lehnt diesen strikt ab. „Verschiedene Studien belegen, dass die Injektionen eines Lokalanästhetikums den Schmerz während der Kastration nicht ausschalten, sondern sogar zusätzlich erhebliche Schmerzen und Stress verursachen“, sagt Dr. Zimmermann. Damit wäre der vierte Weg – ebenso wie die betäubungslose Kastration – ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. „Zudem ist die Methodik technisch herausfordernd – bei einer Fehlanwendung können massive Nebenwirkungen von Herz-Kreislauf-Störungen bis hin zum Tod des Tieres auftreten.“
Um Kosten zu sparen, will die Fleischbranche dennoch die Lokalanästhesie durchsetzen – die könnten Landwirte nämlich selbst durchführen. Um den vierten Weg zu ermöglichen, müsste der Bundestag das Tierschutzgesetz lockern.
Anstatt Vorbehalte gegenüber kastrationsfreien Methoden abzubauen, setzt die einflussreiche Branche die Politik massiv unter Druck – offenbar mit Erfolg. Denn jetzt hat die Große Koalition fast schon beiläufig verkündet, die Übergangsfrist um zwei weitere Jahre verlängern zu wollen – obwohl im Bundesratsplenum Ende September alle eingebrachten Länderinitiativen, die eine Aufschiebung des Verbots forderten, abgelehnt wurden. Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes ist es entsetzlich, dass männliche Ferkel noch zwei weitere Jahre gequält werden sollen. Schließlich hatte die schweinehaltende und –vermarktende Branche ganze fünf Jahre Zeit, sich auf das Verbot einzustellen.
„Was der Koalitionsausschuss beschlossen hat, ist Verrat an den Ferkeln und Verrat am Staatsziel Tierschutz und wurde offenbar wie auf einem Basar in die Pokerrunden um Diesel und Zuwanderung eingepreist“, kommentierte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Sämtliche Bekenntnisse der Koalition zum Tierschutz erscheinen damit als wohlfeile Sonntagsreden. Ich kann nur hoffen, dass es genügend aufrechte Bundestagsabgeordnete in den Reihen der CDU, CSU und SPD gibt, die dem Votum nicht folgen werden.“
Aus Sicht des Verbandes sollten schweinehaltende Landwirte mittelfristig vollständig auf die chirurgische Ferkelkastration verzichten, da auch unter Vollnarkose Nebenwirkungen und Wundheilungsstörungen auftreten können. „Vorerst ist es jedoch wichtig, dass Landwirten alle drei vom Deutschen Tierschutzbund akzeptierten Optionen offenstehen, denn noch bestehen Hürden bei der Vermarktung von Fleisch unkastrierter Schweine“, so Dr. Zimmermann.
Dass männliche Ferkel überhaupt kastriert werden, liegt am sogenannten Ebergeruch – ein für manche Menschen unangenehmer Geruch und Geschmack, den das Fleisch von unkastrierten Tieren haben kann. Um Kosten für einen Tierarzt zu sparen, verzichten die meisten Betriebe darauf, die Ferkel vor der Kastration zu betäuben. Eine Alternative, die Mast unkastrierter Eber, ist dafür eine tierschutzkonforme Methode und auch ökonomisch rentabel. Mittlerweile ist es möglich, den geringen Anteil geruchsbelasteter Eber mit hoher Zuverlässigkeit am Schlachtband zu erkennen. Obwohl bereits viele deutsche Betriebe und andere europäische Länder flächendeckend erfolgreich die Ebermast betreiben, zeigen sich die Vermarkter hierzulande sehr skeptisch.
Ebenso tierschutzkonform ist die Immunokastration. Australien zum Beispiel führte diese Methode bereits vor 20 Jahren ein. Mit zwei Injektionen eines impfähnlichen Wirkstoffes wird die Produktion der Hormone unterdrückt, die den Ebergeruch verursachen. „Auf die Qualität des Fleisches wirkt sich die Impfung nicht aus. Zudem verbreiten die Tiere weniger Unruhe in Ebergruppen“, so Dr. Zimmermann.
Es gibt also durchaus schmerzfreie, praktikable Alternativen. Jetzt müssen die Abgeordneten der Regierungskoalition im Bundestag entscheiden, ob sie die Ferkel weiterhin leiden lassen.