Im Einsatz für die Tiere

„Zu uns kommen die Tiere, die keine Chance haben“

Im Einsatz für die Tiere

„Zu uns kommen die Tiere, die keine Chance haben“

Reptilien, Papageien und andere exotische Tiere bringen viele Tierschutzvereine an den Rand ihrer Kapazität. Der Erste Freie Tierschutzverein Leipzig und Umgebung beherbergt derzeit rund 100 Exoten und hat viel Erfahrung im Umgang mit diesen Tieren. Michael Sperlich, Geschäftsführer des Vereins, berichtet im Interview von den täglichen Herausforderungen, die mit der Betreuung einhergehen.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Michael Sperlich, Geschäftsführer des Ersten Freien Tierschutzvereins Leipzig und Umgebung.

Michael Sperlich, Geschäftsführer des Ersten Freien Tierschutzvereins Leipzig und Umgebung.

DU UND DAS TIER: Herr Sperlich, immer wieder liest man in den Nachrichten von ausgebüxten Schlangen oder ausgesetzten Schildkröten. Wieso geschieht das so häufig?
Michael Sperlich: Bedauerlicherweise sind viele Tierhalter überfordert. Wenn zum Beispiel ein Papagei wegfliegt, geschieht das oft aus Unachtsamkeit, da Halter die Voliere offen gelassen haben. Oder sie haben eine unangenehme Bekanntschaft mit dem Schnabel gemacht und wollen das Tier dann loswerden. Auch Wasser- und Landschildkröten sind oft nicht ausreichend gesichert, weil ihre Halter die Beweglichkeit, die Geländegängigkeit, die Ausdauer und die Kletterfähigkeit der Tiere grob unterschätzen. Aus diesem Grund beachten viele Halter auch nicht, dass männliche Landschildkröten sich im Frühjahr auf die Wanderung begeben, um paarungsbereite Weibchen zu finden und dann gibt es kaum etwas, was einen Schildkrötenbock aufhalten kann. Wenn seltene Tiere wie Kurzkopfgleitbeutler oder Bartagamen gefunden werden, kann man davon ausgehen, dass jemand sein Hobby aufgegeben und sie ausgesetzt hat.

DU UND DAS TIER: Aus welchen Gründen werden Exoten besonders häufig bei Ihnen abgegeben?
Sperlich: Dass Halter ihre Tiere persönlich abgeben und zugeben, dass sie die Anforderungen unterschätzt haben, kommt eher selten vor. Die Mehrzahl der Reptilien nehmen wir auf amtliche Einweisung bei uns auf. 2015 zum Beispiel kamen knapp 115 Tiere auf einen Schlag zu uns, darunter allein 27 größere Schlangen. Das war ein schwarzer Tag für uns. Damals hatte die Polizei die Wohnung eines Drogenabhängigen geöffnet und all diese Tiere vorgefunden. Sie leben teilweise heute noch in unserem Tierheim, weil wir gerade für die größeren Schlangen keine Abnehmer finden. Wenn wir Pech haben, bleiben sie auf Lebenszeit und bei einem Teppichpython sind das locker 30 bis 35 Jahre.

DU UND DAS TIER: Wie viele exotische Tiere beherbergen Sie zurzeit?
Sperlich: Insgesamt sind wir bei knapp 100 Tieren, darunter 35 bis 40 Wasserschildkröten, gefolgt von den Schlangen – auch größere Würgeschlangen –, den Landschildkröten und Papageien.

DU UND DAS TIER: Warum ist es so schwierig, passende neue Besitzer zu finden?
Sperlich: Wenn Interessenten sich bei uns melden, lassen wir uns von ihnen zeigen, wie sie die Tiere halten wollen und führen mehrere Gespräche, in denen wir sie auch beraten und beispielsweise über die Meldepflicht bei der Unteren Naturschutzbehörde informieren. Viele unserer Tiere können wir auch gut vermitteln, aber unterm Strich sind es zu wenig. Teppichpythons zum Beispiel sind schwer zu handeln, sie sind nervös und relativ bissig – das ist nichts, was die Leute haben wollen. Ein Tigerpython ist hingegen gelassener, dafür aber anfälliger für bestimmte Virusarten und insbesondere weibliche Tiere werden sehr groß und sind für die Privathaltung eher ungeeignet. Generell ist die Haltung von Exoten auch aus tiermedizinischer Sicht mit einem Riesenaufwand verbunden. Denn in allererster Linie müssen Halter erst einmal einen fachkundigen Tierarzt finden, der sich auch auf exotische Tiere spezialisiert hat. Leider haben wir die Erfahrung gemacht, dass viele Tierärzte vor allem im ländlichen Raum die Tiere behandeln, obwohl sie exotische Tiere nur kurz im Studium angerissen haben. Dann richten manche von ihnen sogar einen noch größeren Schaden an, sodass es den Tieren hinterher oft noch schlechter geht als vorher oder sie sogar versterben. Wer sich also ein exotisches Tier anschaffen will, muss als erstes gucken, ob er einen Fachtierarzt in der Nähe hat, der wirklich in der Lage ist, diese Tiere zu behandeln.

Ob Papageien, Schildkröten oder Schlangen – exotische Tiere stellen mit ihren besonderen Bedürfnissen und ihrer hohen Lebenserwartung eine Herausforderung für einige Tierheime dar und setzen viel Expertise voraus.

DU UND DAS TIER: Was sollten Interessen sonst noch beachten? Wie hoch sind zum Beispiel die anfallenden Kosten?
Sperlich: Hohe Kosten fallen vor allem bei der Anschaffung an und bei der artgerechten Einrichtung der Anlage beziehungsweise des Terrariums. Hier sollten Halter unter anderem auf Qualität und ausreichend Platz achten. Abgesehen von den Energiekosten, zum Beispiel für die Haltung einer Schlange im Terrarium, sind die laufenden Kosten etwa für das Futter bei exotischen Tieren aber in der Regel gering. Wer beispielsweise eine Landschildkröte in einer ordentlichen, gut bepflanzten Außenanlage hält, braucht nur wenig zusätzliches Futter. Natürlich sollte sich auch jeder Mensch, der sich solch ein Tier anschaffen will, vorab gründlich informieren und sich von Fachleuten beraten lassen – wer sich hingegen ausschließlich über das Internet informiert, eignet sich meist nur Halbwissen an.

DU UND DAS TIER: Denken Sie, dass die meisten exotischen Tiere für den Privathaushalt nicht geeignet sind?
Sperlich: Der Tierschutzverein Leipzig vertritt die Meinung, dass diese Tiere in Privathaltung verboten werden sollten. Aber selbst wenn man das durchsetzen könnte, müssten sie artgerecht betreut werden, solange sie auf diesem Planeten wandeln. Wer sich ein solches Tier anschafft, muss sich im Klaren darüber sein, dass er damit Entscheidungen für die nächsten Generationen trifft. Natürlich gibt es auch Menschen, die etwas von Exotenhaltung verstehen und die Tiere wirklich artgerecht, soweit es denn möglich ist, halten. Aber leider sind das eher Ausnahmen und ich bin daher der Meinung, dass diese Tiere nicht in Privathand gehören. Eine Schlange kann nicht schreien – anders als zum Beispiel bei einem Hund sieht man ihr nicht sofort an, wenn es ihr schlecht geht, aber sie leidet ebenso.

DU UND DAS TIER: Warum raten Sie auch davon ab, Exoten über das Internet oder Tierbörsen zu kaufen?
Sperlich: Die Art und Weise, wie die Tiere dort präsentiert werden, ist weit weg von dem, was artgerecht ist. Zudem können Interessenten ohne jegliche Sachkenntnis ein Tier erhalten, egal, wie gefährlich es ist. Viele Exoten, die von unwissenden Leuten gekauft werden, überleben nicht oder landen im Tierheim. Weder auf Tierbörsen, noch in den meisten Zoohandlungen werden Interessenten richtig beraten –zum Beispiel erfahren sie nicht, dass sie die meisten dieser Tiere bei der Unteren Naturschutzbehörde anmelden müssen. So liegen für etwa 90 Prozent der meldepflichtigen Fundtiere, deren Besitzer ihr Tier wieder abholen wollen, keine Herkunftspapiere vor. Das heißt, die ganze Meldekontrolle der Unteren Naturschutzbehörde funktioniert nicht, weil die Leute sie über das Internet problemlos umgehen können.

Nach einer Beschlagnahmung nahm das Tierheim Leipzig 27 Schlangen auf.

Nach einer Beschlagnahmung im Jahr 2015 nahm das Tierheim Leipzig 27 Schlangen auf – ein paar von ihnen sind bis heute nicht vermittelt.

DU UND DAS TIER: Auch für Tierheime sind Reptilien, Papageien und Co. eine große Herausforderung. Wie gehen Sie damit um?
Sperlich: Wenn Tierheime Exoten aus schlechter Haltung aufnehmen, brauchen sie Tierpfleger, die aus dem Stehgreif wissen, was zu tun ist. Wir haben Zootierpfleger, die in diesem Bereich ausgebildet sind und zum Beispiel wissen, wie oft der Futterbrei bei einem Lori ausgetauscht werden muss oder welches Futter er benötigt. Solche Kompetenzen braucht ein Tierheim inzwischen einfach. Wir haben uns unser Wissen innerhalb von vielen Jahren notgedrungen aufgebaut, aber viele andere Tierheime stehen vor großen Herausforderungen, wenn sie plötzlich eine Schildkröte bekommen. Insgesamt haben wir ausreichend Mitarbeiter, die in der Lage sind, sich um jedes Tier zu kümmern. Wir bieten ihnen zudem die Möglichkeit, sich fortzubilden, etwa im Tierschutzzentrum Weidefeld des Deutschen Tierschutzbundes. Sowas ist natürlich auch mit Kosten verbunden, aber es ist wichtig, unseren Mitarbeitern solche Chancen zu ermöglichen.

DU UND DAS TIER: Eine Investition also, die sich am Ende lohnt?
Sperlich: Die Mitarbeiter und die Tiere profitieren natürlich davon. Aber Tierheime, die sich solche Kompetenzen aufbauen, müssen auch höhere Kosten stemmen als Einrichtungen, die hauptsächlich mit ehrenamtlichen Helfern zusammenarbeiten. Hinzu kommen die Kosten für die Unterbringung und Energie – unser Tierheim bezahlt allein 3.500 Euro pro Monat für den Strom. In diesem Jahr haben wir zudem einen neue Wasserschildkrötenanlage gebaut, die mehrere Tausend Euro kostete.

DU UND DAS TIER: Würden Sie sich mehr Unterstützung von Bund und Ländern wünschen?
Sperlich: Zu uns kommen die Tiere, die keine Chance haben. In der Regel müssen wir sie lange Zeit artgerecht betreuen – wer aber bezahlt das? Auf politischer Ebene finden wir kaum Gehör und erhalten kaum finanzielle Unterstützung. Zum Beispiel versuchen wir schon seit Jahren vergeblich, die Stadt Leipzig als Vermieterin von einem Erweiterungsbau des Reptilienbereichs des Tierheims zu überzeugen, denn so langsam kommen wir in die Situation, dass wir nicht mehr handlungsfähig sind. Aus meiner Sicht bräuchten wir neben einem Verbot von Exoten in Privathand mehr spezialisierte Reptilienstationen mit geschultem Personal und Fachtierärzten, die landesfinanziert werden – bei artengeschützten Tieren sind in Sachsen die Unteren Naturschutzbehörden der Landratsämter und Kreisfreien Städte ohnehin zuständig.

DU UND DAS TIER: Was motiviert Sie denn, weiterzumachen?
Sperlich: Natürlich die Tiere – das ist bei all unseren Mitarbeitern so. Wir wissen, wofür wir das machen und solange es niemanden gibt, der die Tiere besser versorgen kann, übernehmen wir diese Aufgabe.

Schmuckschildkröten erreichen ein hohes Alter – sie können deutlich älter als 40 Jahre werden.

DU UND DAS TIER: Wie läuft die Fütterung bei Ihnen ab? Bei der Vielzahl an Tierarten von Schlangen über Echsen bis hin zu Schildkröten bekommen die Tiere bestimmt auch ganz unterschiedliches Futter?
Sperlich: Jedes einzelne Tier bekommt das, was es braucht. Unsere Schlangen bekommen Frostfutter, also tiefgefrorene Futtertiere wie zum Beispiel Mäuse. Ansonsten brauchen auch unsere anderen Reptilien Futtertiere wie Heimchen und Grillen. Da wir sie nun einmal nicht auf vegane Ernährung umstellen können, führt kein Weg daran vorbei. Bei diesen Futtertieren ist es ganz wichtig, dass sie in der Zeit bis zu ihrer Verfütterung gut gehalten und versorgt werden. Man kann sie nicht einfach in einem Karton lassen, ohne sich um sie zu kümmern – dann verfüttern wir am Ende leere Chitinhüllen. So kann es passieren, dass zum Beispiel ein Chamäleon, das eigentlich normal gefressen hat, trotzdem verhungert. Somit spielt auch die Qualität der Futtertiere eine wichtige Rolle für die andere Seite der Nahrungskette. Abgesehen davon ist es natürlich nicht akzeptabel, ein Insekt verhungern oder verdursten zu lassen.

DU UND DAS TIER: Und wie füttern Sie Ihre anderen Exoten?
Sperlich: Auch für unsere Pflanzenfresser betreiben wir einen ziemlich hohen Aufwand. Zum Beispiel haben wir Beete, die wir speziell für Kräuter und andere Futterpflanzen angelegt haben. Wir haben dabei Glück, eine Tierpflegerin zu haben, die auch eine Ausbildung als Gärtnerin absolviert hat – das ist natürlich ideal (lacht). Wenn meine Kollegen und ich früh zur Arbeit gehen, sammeln wir auf dem Weg auch Vogelmiere, Löwenzahn und andere Futterpflanzen, mit denen wir dann unsere Schildkröten füttern. Den Wasserschildkröten, die zu den Semi-Karnivoren zählen, geben wir zudem Beifutter. Die Tierpfleger stellen ihnen dann eine Mischung aus Fisch, Muscheln und Algen her, die mit speziellen Nährstoffen angereichert ist, welche die Tiere brauchen. Auch für die Papageien bereiten unsere Tierpfleger das Futter wie etwa Obst selber zu – Fertigmischungen mit ölhaltigen Kernen sind hingegen ungeeignet. Und damit die Papageien auch beschäftigt sind, verstecken wir das Futter in ihren Volieren.

DU UND DAS TIER: Viele Menschen wissen nicht, dass Reptilien und andere Exoten auch hohe soziale und kognitive Fähigkeiten haben. Könnten Sie hierzu ein Beispiel nennen? Und was fasziniert Sie persönlich an diesen Tieren?
Sperlich: Schildkröten zum Beispiel haben alle ihren ganz eigenen ausgeprägten Charakter – da gibt es sowohl neugierige als auch misstrauische, bissige oder ganz schüchterne Exemplare. Auch Schlangen sind hochinteressante Tiere, die ein Sozialverhalten zeigen und immer wieder den Kontakt zu Artgenossen suchen – und das nicht nur, wenn sie sich paaren wollen. Sie pflegen durchaus auch andere Sozialbeziehungen. Wer bereit ist, sich wirklich mit den Tieren zu beschäftigen und immer wieder dazuzulernen, dem eröffnen sich ganz neue, spannende Welten.

DU UND DAS TIER: Vielen Dank für das Gespräch.

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