Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Leuchtende Augenpaare am Straßenrand – oder schlimmer: Tiere, die auf der Straße stehen und im Lichtkegel der Scheinwerfer erstarren. Die meisten Autofahrer, die schon einmal im Dunkeln oder bei Nebel auf Landstraßen durch Wald- oder Feldgebiete unterwegs waren, haben solch eine Situation bereits erlebt. Seien es Rehe, die am Wegesrand äsen, oder eine Wildschweinrotte, die den Boden auf der Suche nach Eicheln, Bucheckern und Käferlarven umwühlt. Leider passiert es überaus häufig, dass Tiere beim Überqueren von Straßen mit einem Fahrzeug kollidieren. Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen, wie groß die Gefahr solcher Wildunfälle ist: Durchschnittlich etwa 200.000 Rehe und mehr als 20.000 Wildschweine sterben hierzulande jedes Jahr im Straßenverkehr. Hinzu kommen unzählige Igel, Marder, Füchse, Dachse, Kröten, Vögel und andere Tiere. Immer wieder fallen auch Wölfe solchen Kollisionen zum Opfer. Kleinere Tiere werden statistisch nicht erfasst, aber Schätzungen zufolge sterben allein 500.000 Igel pro Jahr auf diese Weise. Natürlich sind Wildunfälle auch für die Autofahrer sehr gefährlich – laut Allgemeinem Deutschem Automobil-Club (ADAC) wurden 2019 dadurch mehr als 2.500 Menschen verletzt. 20 Fahrzeuginsassen verunglückten tödlich. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Wildunfälle sogar stark gestiegen. Der Grund: Das Verkehrsnetz verdichtet sich zunehmend und so schränken wir Menschen die hier heimischen Tiere immer weiter ein.
Bislang gibt es auch noch viel zu wenig Grünbrücken und andere Querungshilfen, über die die Tiere stark befahrene Straßen und Bahnstrecken sicher passieren können. „Natürliche Wanderbewegungen vieler Wildtiere, sei es, um sich ein eigenes Revier zu suchen, einen geeigneten Partner zu finden oder Nahrungsgründe zu erschließen, sind durch die Zerschneidung der Landschaft nicht mehr möglich“, schildert James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. „Zäune an Autobahnen und anderen Straßen bieten zwar einen guten Schutz vor Wildunfällen, jedoch schränken sie auch den Lebensraum der Tiere ein und trennen Populationen.“ Deshalb hat die Bundesregierung 2012 das „Bundesprogramm Wiedervernetzung“ auf den Weg gebracht. Durch eine vorausschauende Planung und den Bau weiterer Grünbrücken oder Tunnel sollten Lebensräume vernetzt und Wanderkorridore für größere Arten geschaffen werden. Obwohl viele dieser Pläne umgesetzt wurden, brauchen wir künftig noch mehr „grüne Infrastruktur“. Bis dahin sind Mensch und Tier auf alternative Hilfsmittel angewiesen. Ob beispielsweise blaue Warnreflektoren an Straßenpfosten vor Wildunfällen schützen, konnte laut einer Studie nicht nachgewiesen werden. Eigentlich sollten sie Wildtiere durch ihre Farbe abschrecken. Wie wirksam akustische Wildwarner und Vergrämungsmethoden sind, müssen Wissenschaftler ebenfalls noch umfassender überprüfen. Ein Wildwarner-System erfasst über Mikrofone die Geräusche herannahender Fahrzeuge und löst dann einen hochfrequenten Pfeifton aus. Dieser soll die Tiere dazu bringen, mit Abstand am Straßenrand zu verharren, bis das Auto vorbeigefahren ist. Um die Tiere von Straßen fernzuhalten, wird mancherorts auch auf Duftzäune gesetzt, also auf Gerüche, die Rehe, Wildschweine und Co. abschrecken. Doch durch Wind und Wetter sind solche Vorkehrungen eher von kurzer Dauer. „Leider gibt es bisher keine Lösung, die allen Aspekten wie Sicherheit, Natur- und Tierschutz gerecht wird“, so Brückner.
Umso wichtiger ist es, dass Verkehrsteilnehmer zum Schutz ihres eigenen Lebens und dem der Tiere vorsichtig und vorausschauend fahren. „Damit die Tiere eine Chance haben, sollten sie in der Dämmerung und nachts auf Strecken durch Wälder und Felder besonders achtsam und nicht schneller als 50 oder 60 Stundenkilometer fahren“, rät Brückner. Das gilt auch für Strecken, die nicht eigens ausgeschildert sind, um vor Wildwechsel zu warnen. Dort, wo im Frühjahr Kröten und andere Amphibien wandern, sollten Fahrer eine Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometer nicht überschreiten. Um rechtzeitig bremsen zu können, empfiehlt Brückner einen ausreichenden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug und die Seitenstreifen im Blick zu behalten. „Wer dann Wildtiere am Straßenrand erblickt, kann versuchen, sie durch Hupen zu vertreiben.“ Das Fernlicht aufblenden zu lassen sei hingegen keine gute Idee – im Gegenteil: „Das grelle Licht kann die Tiere verwirren und ihnen jede Orientierungsmöglichkeit nehmen. Oft geraten sie erst dadurch in Gefahr.“ Wenn Fahrer ein einzelnes Tier erblicken, müssen sie zudem damit rechnen, dass weitere Artgenossen folgen.
Manchmal aber hilft alle Vorsicht nicht und Fahrer haben keine Chance, einem Tier, das plötzlich auftaucht, auszuweichen. Auch dann ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und, sofern die Fahrzeuginsassen selbst unversehrt sind, dem verletzten Tier zu helfen. Wer das nicht macht, überlässt es dem sicheren Tod. „Jeder ist sowohl ethisch als auch gesetzlich dazu verpflichtet, sich um das angefahrene Tier zu kümmern und noch vor Ort die Polizei zu rufen“, so Brückner. Auch wenn Unbeteiligte ein verletztes Wildtier vorfinden, müssen sie handeln. Denn sofern die Tiere den Unfall überlebt haben, erleiden sie sehr wahrscheinlich starke Schmerzen und benötigen dringend Hilfe. Doch Achtung: Viele Wildtiere unterliegen dem Jagdrecht. Wer also etwa einen verletzten Fuchs, ein Reh oder einen Hasen mitnimmt, und sei es, um das Tier in eine tierärztliche Klinik zu bringen, kann sich der Jagdwilderei schuldig machen – eine Straftat, die fast bundesweit eine Geld- oder sogar Freiheitsstrafe zur Folge haben kann. „Helfer sind daher verpflichtet, den zuständigen Jagdpächter oder die Polizei anzurufen und über den Fundort, die Tierart und die etwaige Abgabestelle, beispielsweise einen Tierarzt oder einen Tierschutzverein, zu informieren“, so Brückner. Das sollten sie machen, noch bevor sie das Tier irgendwohin bringen. Bei größeren Tieren, die Fahrer ohnehin nicht allein in eine tierärztliche Klinik transportieren können, sollten sie an der Unfallstelle bleiben, bis die Polizei oder der Jagdpächter eingetroffen ist. „Am besten teilen sie bei ihrem Anruf gleich mit, dass sie beim Tier bleiben – so können sie sichergehen, dass wirklich jemand in angemessener Zeit zu Hilfe kommt“, sagt Brückner. Natürlich müssen Fahrer auch die Unfallstelle mit einem Warndreieck und dem Warnblinklicht absichern. Wenn sie ein Wildtier angefahren haben, sollten sie je nach Tierart besonders vorsichtig sein und Abstand halten, bis Hilfe eintrifft. „Denn verletzte Füchse oder Rehe wie auch andere größere Wildtiere können sich zur Wehr setzen und sich unberechenbar verhalten.“ Fazit: Wer umsichtig und bremsbereit fährt, kann das Risiko eines Wildunfalls zumindest verringern. Sollte es tatsächlich zu einer Kollision kommen, können Fahrer den Tieren durch schnelles Handeln hoffentlich das Leben retten oder ihnen wenigstens längeres Leid ersparen.