Tierschutz leben

Gegen das Vergessen

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Gegen das Vergessen

Nicht nur Menschen erkranken an Demenz. Auch Hunde und Katzen können betroffen sein. Da die unheilbare Krankheit schwer von normalen Alterserscheinungen zu unterscheiden ist, sind die Früherkennung, gründliche Diagnosen und eine eingehende Therapie entscheidend, um sie zumindest zu verlangsamen.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Graue Barthaare um die Schnauze, ein behäbiger Gang und jede Menge Pausen. Hundesenioren, die uns beim Spaziergang auf der Straße begegnen, haben etwas ungemein Liebenswertes an sich. Abgesehen von den silbernen Strähnen und dem gemächlichen Tempo scheint ihr Alter während dieser kurzen Alltagsbegegnungen keine größere Rolle zu spielen. Vielleicht teilen auch ihre Halter, die täglich viele Stunden mit ihnen verbringen, die Einschätzung des gemütlichen Hundeopas. In die Jahre gekommen ist er selbstverständlich nicht mehr so aktiv wie in der verspielteren Jugendzeit, schläft viel und reagiert auch nicht mehr auf jedes Kommando. Selbst ein Malheur auf dem Fußboden kann doch mal passieren. So empfinden viele Besitzer von Hunden und auch von älteren Katzen. „Sie schreiben Verhaltensänderungen dem normalen Alterungsprozess zu und teilen sie darum dem Tierarzt nicht mit“, sagt Dr. Moira Gerlach, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund. Doch solche Informationen könnten helfen, eine Erkrankung frühzeitig zu erkennen, die immer mehr Heimtiere betrifft: das kognitive Dysfunktionssyndrom, die senile Demenz. Sie ist mit der menschlichen Alzheimer-Krankheit vergleichbar, deren Anfangsstadium viele Betroffene und Angehörige auch oft als altersbedingte Schusseligkeit unterschätzen.

Katzen werden im Alter in der Regel ruhiger und schlafen mehr.

Halbjährlich zum Tierarzt

„Eine genaue Ursache für die senile Demenz ist nicht bekannt. Es ist anzunehmen, dass aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung der Tiere immer mehr von ihnen daran erkranken“, berichtet Gerlach. Katzen litten dabei deutlich seltener unter Demenz als Hunde, bei denen eher weibliche und kastrierte männliche Tiere betroffen seien. Es gehe nicht darum, Haltern Angst zu machen, sondern ihre Sinne zu schärfen. Mindestens halbjährlich, empfiehlt sie, sollten alte Katzen und Hunde zum Tierarzt, um rechtzeitig neue Erkrankungen aufzudecken. „Da die kognitive Dysfunktion nicht heilbar ist, ist es umso wichtiger, sie im Frühstadium zu erkennen. Denn dann können die Halter gemeinsam mit ihrem Tierarzt dem Fortschreiten entgegenwirken“, erklärt Verena Wirosaf, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund.

Ab einem Alter von circa zehn Jahren bei Katzen und je nach Größe und Rasse etwa acht Jahren bei Hunden sollten Halter bei Verhaltensänderungen auch die senile Demenz als mögliche Ursache in Betracht ziehen. In vielen Fällen lassen die Symptome jedoch keine direkten und eindeutigen Rückschlüsse zu, da sie auch auf andere Krankheiten hindeuten können. „Darum müssen Tierärzte andere potenzielle Diagnosen zunächst ausschließen und beispielsweise auch überprüfen, ob Schmerzen, verschlechtertes Seh- und Hörvermögen oder Medikamente und ihre Nebenwirkungen für das gezeigte Verhalten verantwortlich sein könnten. Auch der von vielen vermutete ganz normale Alterungsprozess kann selbstverständlich eine mögliche Erklärung sein“, erläutert Wirosaf. Denn natürlich sei nicht automatisch eine Schädigung des Gehirns zu befürchten, wenn das eigene Tier im Alter weniger aktiv sei.

Verdächtige Leitsymptome

Zu den Leitsymptomen für eine senile Demenz bei Katzen und Hunden, die Tierärzte bei älteren Tieren routinemäßig abfragen und auf die auch Halter achten können, gehören Desorientiertheit, ein verändertes Verhalten gegenüber Menschen und Artgenossen, ein abgewandelter Schlaf-Wach-Rhythmus, neu auftretende Stubenunreinheit oder verändertes Ess- und Trinkverhalten. Vierbeiner, die sich nicht mehr so gut orientieren können, starren beispielsweise vermehrt ins Leere, wandern ziellos umher oder finden sich bei schwerer Ausprägung auch in ihnen bekannter Umgebung nicht mehr zurecht. Verändert sich die Mensch-Tier-Beziehung vonseiten der Hunde oder der Katzen, spüren Besitzer dies direkt. Die Tiere suchen oftmals seltener ihre Nähe, da sie weniger Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit möchten. „Einige Hunde reagieren zum Beispiel auch weniger auf andere Hunde und hören nicht auf bislang geläufige Kommandos“, erklärt Wirosaf. Ein Leitsymptom kann auch nächtliche Unruhe sein, aufgrund der die tierischen Mitbewohner nachts merklich weniger schlafen. Katzen maunzen dann oft und halten so auch ihre Besitzer wach. Wenn Katzen neben das Katzenklo machen, Hunde seltener anzeigen, dass sie rausmüssen, oder unmittelbar, nachdem sie im Freien waren, ihr Geschäft im Haus verrichten, ohne Erkrankungen an Harn- und Geschlechtsorganen zu haben, ist ebenfalls Wachsamkeit gefragt. Ändert sich das Fress- und Trinkverhalten der Tiere messbar, sollten Halter ohnehin einen Tierarzt aufsuchen. Hunde und Katzen können sich auch vermehrt ängstlich oder aggressiv verhalten. „Senile Demenz ist eine Ausschlussdiagnose. Sofern andere medizinische Ursachen für das Verhalten nach eingehenden tierärztlichen Untersuchungen ausscheiden und diese Leitsymptome verstärkt auftreten oder neue hinzukommen, ist eine kognitive Dysfunktion wahrscheinlich“, sagt Gerlach.

Woran merke ich, dass mein Tier alt wird?

Optisch sichtbare Alterserscheinungen beginnen bei Hunden meist im Alter zwischen sechs und zehn Jahren. Das Altern ist unter anderem abhängig von der Rasse, der Größe, der Haltung und individuellen Faktoren. Abhängig von der jeweiligen Rassezugehörigkeit und der Haltung unterscheidet sich die Lebenserwartung von Katzen, die in der Regel zwischen 14 und 20 Jahren liegt. Spätestens ab zwölf Jahren gelten die Tiere als Senioren. Ihre Besitzer sollten mit ihnen bereits ab einem Alter von zehn Jahren häufiger, am besten halbjährlich, zu vorsorglichen Untersuchungen beim Tierarzt gehen.

Ältere Hunde …
… haben spezielle Anforderungen an die Fütterung. Das Futter sollte einen niedrigeren Energiegehalt haben, dafür aber eine höhere Nährstoffdichte.

… haben oftmals Probleme beim Treppensteigen und frieren häufig im Winter schneller.

… ergrauen oft – anders als Katzen. Dies ist besonders an der Schnauze und um die Augen zu beobachten.

Ältere Katzen …

… bauen wie Hunde Muskelmasse ab.

… bewegen sich schwerfälliger. Katzen werden ruhiger, springen weniger hoch, schlafen mehr und fester oder putzen sich nicht mehr am gesamten Körper. Ob das Tier Schmerzen hat, sollte ein Tierarzt untersuchen.

… lernen und erinnern sich nicht mehr so gut.

… hören und sehen wie Hunde nach und nach etwas schlechter. Ihre Augen werden trüber.

Behandlung fußt auf drei Säulen

Steht die Diagnose fest, beginnt in Abstimmung mit dem Veterinär die Therapie. „Auch wenn sie die degenerativen Prozesse nicht heilen kann, können die verschiedenen Bestandteile einer umfassenden Behandlung dabei helfen, den Fortschritt der Erkrankung zu verlangsamen“, erklärt Wirosaf. Wissenschaftlich betrachtet zielt eine Therapie darauf ab, die Funktion des Nervensystems zu verbessern, den normalen Zellstoffwechsel aufrechtzuerhalten sowie die Funktion der Mitochondrien zu unterstützen, die vereinfacht ausgedrückt als Energielieferanten jeder einzelnen Zelle gelten. Die Behandlung setzt sich aus drei Säulen zusammen: mentale Stimulation, Ernährung und Medikamente. Letztere fördern die Durchblutung oder hemmen den Abbau von Dopamin, das eine wichtige Rolle bei der Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn übernimmt. Ihren Einsatz müssen Halter ebenso mit ihrem Tierarzt abklären wie eine senioren- und demenzgerechte Ernährung. Auf dem Menüplan für alte Katzen und Hunde mit kognitiver Dysfunktion stehen in der Regel individuell abgestimmte Futter- oder Nahrungsergänzungsmittel mit Antioxidantien wie Vitamin E und C oder auch essenzielle Fettsäuren, die Entzündungen reduzieren sollen und die Gehirnfunktion fördern. Dieser Zusatz ist auch unter der Bezeichnung „Brain Protection Blend“ bekannt. „Grundsätzlich sollten die Halter aller älteren Tiere nicht den Fehler machen, einfach weniger vom alten Futter zu füttern, falls die Tiere zulegen, wenn der Energiebedarf der Senioren bei weniger Bewegung sinkt und der Stoffwechsel langsamer wird. Denn dann riskieren sie, den Nährstoffbedarf nicht zu decken“, ergänzt Wirosaf. Spezielles Seniorenfutter hat darum einen reduzierten Energiegehalt bei erhöhter Nährstoffdichte und ist leicht verdaulich.

SPIELERISCHE ÜBUNGEN KÖNNEN HELFEN,
DEN FORTSCHRITT DER DEMENZ ZU VERLANGSAMEN.

„Die wichtigste Aufgabe für die Tierhalter – dies sollten auch Besitzer von gesunden tierischen Senioren berücksichtigen – ist die mentale Stimulation. Solches Gehirnjogging leistet einen wertvollen Beitrag, das wichtigste Organ des Körpers lange fit zu halten“, fügt Gerlach hinzu. Dies beginnt beim Gassigehen an unterschiedlichen, für die Hunde unbekannten Orten – angepasst an die Fitness des Tieres eher kürzere, dafür häufigere Runden. Hunde und Katzen freuen sich über Intelligenz- und Futterspielzeuge oder im Haus verstecktes Futter, ebenso über gemeinsames Spielen. Auch Übungen mit neuen Kommandos oder Clickertraining können beide Tierarten geistig auf Trab halten. „Es ist dennoch wichtig, Spaziergänge, Spiele und Trainings nicht zu übertreiben, damit sie nicht in Stress ausarten. Denn dieser begünstigt wiederum Krankheiten“, sagt Wirosaf. Darum sind auch Pausen, Ruhephasen und Routinen wichtig. Dazu tragen feste Tagesabläufe bei. Bei fortschreitender Demenz ist es ratsam, die Raumgestaltung nicht mehr zu verändern und auch Freigängerkatzen gegebenenfalls zu Hause zu behalten oder den Garten abzusichern. „Für den Fall, dass desorientierte Tiere entwischen oder ausbüxen, hilft es ungemein, wenn sie zuvor per Transponder mit Mikrochip gekennzeichnet und bei FINDEFIX, dem Haustierregister des Deutschen Tierschutzbundes, registriert wurden. So können Finder sie mithilfe eines Tierarztes, Tierheims oder der Polizei ihren Besitzern zuordnen und die Tiere schnell nach Hause zurückkehren“, rät Gerlach. Denn es ist schlimm genug, den geliebten Vierbeiner schrittweise an die Demenz zu verlieren. Daher zählen viel Liebe und gute Antennen für das eigene Tier, um die Krankheit früh zu erkennen, sie auszubremsen und dem Schützling möglichst lange ein schmerz- und beschwerdefreies Leben zu ermöglichen.

DIE TIERE BRAUCHEN SIE

  • Viele weitere individuelle Tipps zur Haltung, Erziehung, Pflege, Ernährung, Gesundheit oder auch zum Verreisen sowie einen Erste-Hilfe-Ratgeber erhalten Sie in der App "Mein Haustier" des Deutschen Tierschutzbundes.
    www.tierschutzbund.de/haustierapp
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