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Europas große Pläne

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Europas große Pläne

Glaubt man der Europäischen Kommission, so wird Europa bis 2050 klimaneutral und die biologische Vielfalt im Staatenbündnis bis 2030 wiederhergestellt. Ihr Grüner Deal und die darin enthaltende Biodiversitätsstrategie versprechen viel. Jetzt müssen Taten folgen.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Die europäischen Landwirte sollen nur noch halb so viel Pestizide einsetzen und bis 2030 ein Viertel der Flächen ökologisch bewirtschaften.

Ein Deal hat oft etwas Anrüchiges. Es könnte, wie man in Köln sagt, Klüngel dahinterstecken. Oder ein fauler Kompromiss. Auch der Duden bezeichnet einen Deal als „(zweifelhafte) Abmachung oder (zweifelhaftes) Geschäft“. Inwieweit die Umsetzung des„Grünen Deals“ der Europäischen Union (EU) in den nächsten Jahrzehnten herausfordernd wird, steht auf einem anderen Blatt. Die Ziele, die die EU Kommission (EK) damit verknüpft, sind jedoch keinesfalls zweifelhaft und ihr Erreichen dringend notwendig: Der Europäische Grüne Deal oder European Green Deal – so formulieren es die Strategen der EU – soll das Wohlergehen der EU-Bürger verbessern, bis 2050 ein klimaneutrales Europa schaffen und durch den Schutz unseres natürlichen Lebensraums positive Wirkungen für die Menschen, den Planeten und die Wirtschaft erreichen. Damit bekennt die EU sich auch zum Klimaschutzabkommen von Paris 2015, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau beschränken zu wollen. Dafür möchte die EK den Energiesektor dekarbonisieren, ihn also hin zur nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Energien führen, die ohne den Ausstoß von Kohlenstoff auskommen. Die Renovierung von Gebäuden soll deren Energieverbrauch europaweit senken, die europäische Industrie eine weltweite Führungsrolle bei der grünen Wirtschaft übernehmen und der Verkehr ebenfalls umweltfreundlicher und gesünder rollen.

„Umfassend und systemisch“ für mehr biologische Vielfalt

Auch wachsende Städte verdrängen die natürlichen Lebensräume von Tieren und Pflanzen.

Eine weitere entscheidende Stütze des Green Deals ist die Biodiversitätsstrategie, nach der sich die biologische Vielfalt in Europa bis 2030 erholen soll. Denn derzeit sind fast 25 Prozent der europäischen Tierarten vom Aussterben bedroht, nur 17 Prozent der Arten und Lebensräume in der EU befinden sich in einem günstigen Erhaltungszustand und in den europäischen Meeren sind die Bestände zu Dreivierteln überfischt. Darum zeigt die Strategie, die als „umfassender, systemischer und ehrgeiziger langfristiger Plan zum Schutz der Natur“ konzipiert wurde, Maßnahmen, Ziele und Mechanismen auf, um diesen negativen Entwicklungen entgegenzusteuern. „Unser Leben basiert auf der biologischen Vielfalt mit all ihren Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen“, sagt Katrin Pichl, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. „Das Zusammenspiel aller Arten in unseren Ökosystemen trägt unter anderem dazu bei, dass wir sauberes Wasser und saubere Luft haben, dass Pflanzen bestäubt werden, die wiederum CO2 absorbieren, das Klima regulieren und uns Lebensmittel spenden.“

Zu den Hauptursachen, die die Kommission für den bisherigen und weiter drohenden Verlust kompletter Tierarten ausgemacht hat, zählen die Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen und das Wachstum von Städten, die natürliche Lebensräume verdrängen, der Klimawandel und die übermäßige Nutzung der natürlichen Ressourcen. Darum gehören zu den wichtigsten Vorhaben, die die Biodiversitätsstrategie umfasst, Maßnahmen für die Landwirtschaft, die Wälder, das Meer, die Binnengewässer und die Städte. „Derzeit sind nur drei Prozent der Landflächen und weniger als ein Prozent der Meeresgebiete in der EU streng geschützt. Wir müssen diese Gebiete besser schützen. In diesem Sinne sollte mindestens ein Drittel der Schutzgebiete – also zehn Prozent der EU-Landflächen und zehn Prozent der EU-Meeresgebiete – streng geschützt werden“, heißt es im offiziellen Dokument.

Zehn Prozent der EU-Meeresgebiete sollen streng geschützt werden.

Weniger Pestizide, mehr ökologische Landwirtschaft

Für die Landwirtschaft hat die EK ehrgeizige Ziele formuliert: Die europäischen Landwirte sollen nur noch halb so viel Pestizide einsetzen und bis 2030 ein Viertel der Flächen ökologisch bewirtschaften, damit sich die Bestände von Bestäuberinsekten wie Bienen, Hummeln, Schmetterlingen und anderen Arten erholen können. Dazu sollen sie auch zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen für die biologische Vielfalt, zum Beispiel durch Blühstreifen, Trockenmauern und Teiche, nutzen. Die europäischen Wälder will die EK schützen, wiederherstellen und widerstandsfähiger machen, um so Bränden, Dürren, Schädlingen, Krankheiten und andere Bedrohungen, die durch den Klimawandel voraussichtlich zunehmen werden, trotzen zu können. Zudem setzt sich die EK das Ziel, bis 2030 in der EU drei Milliarden neue Bäume zu pflanzen. „Die Meeresressourcen müssen nachhaltig genutzt werden, und es muss eine Politik der Nulltoleranz gegenüber illegalen Praktiken vertreten werden“, schreibt die EK in ihrem Strategiepapier. Dazu plant sie neben der zuvor beschrieben Einrichtung streng geschützter Gebiete auch, Beifänge von Populationen, deren Arten vom Aussterben bedroht sind, vehementer den Kampf anzusagen und sie zu unterbinden. Auch die Binnengewässer, genauer die Flüsse, nimmt die EK ins Visier.

Derzeit sind fast 25 Prozent der europäischen Tierarten vom Aussterben bedroht. Ihre Bestände sollen sich durch den Green Deal und die darin enthaltene Biodiversitätstrategie erholen.

Mindestens 25.000 Flusskilometer will sie wieder in frei fließende Flüsse umwandeln und dazu Barrieren beseitigen sowie Überschwemmungsflächen wiederherstellen. Von Städten ab 20.000 Einwohnern fordert die EK einen ehrgeizigen Plan für die Begrünung. Die Förderung gesunder Ökosysteme, grüner Infrastrukturen und naturbasierter Lösungen solle systematisch in die Stadtplanung einbezogen werden. Mindestens 20 Milliarden Euro sollen die EU und ihre Mitgliedsländer für diese und weitere Maßnahmen jährlich zur Verfügung stellen.

Der Schutz der Natur ist kein neues Thema für die EU. Auch weil die Alarmglocken aus der Wissenschaft und der Bevölkerung immer lauter schrillen, gibt sich die EK selbstkritisch. Die EU verfüge über Rechtsrahmen, Strategien und Aktionspläne zum Schutz der Natur und zur Wiederherstellung von Lebensräumen und Arten, doch bisher sei der Schutz unvollständig. Vor allem würden Rechtsvorschriften nur unzureichend um- und durchgesetzt. Und genau daher muss die EK in den nächsten Jahren beweisen, dass sie es ernst meinen mit dem versprochenen Wandel. „Es gilt, den ehrgeizigen Worten, Vorhaben und Richtlinien des Green Deals und der Biodiversitätsstrategie auch Taten folgen zu lassen“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Die EK muss die Mitgliedsstaaten auf dem Weg zu den gemeinsamen Zielen mit ins Boot holen, um Flora und Fauna tatsächlich die so dringend benötigte Gelegenheit zur Regeneration zu verschaffen. Denn sonst bliebe dieser Deal angesichts seiner angekündigten Vorhaben nur ein zweifelhafter.

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