Die sechs Monate nutzen

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Die sechs Monate nutzen

Deutschland übernimmt am 1. Juli den Vorsitz des Rates der Europäischen Union. Der Deutsche Tierschutzbund wirbt dafür, den Tierschutz während dieser Ratspräsidentschaft voranzutreiben.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Ein Verein, dessen Vorsitz ständig wechselt, ist oft von Chaos und Intrigen geplagt. In der Europäischen Union (EU) sind regelmäßige Führungswechsel hingegen Ausdruck von Demokratie. Halbjährlich übernimmt ein anderes Land den Vorsitz des Rates der EU, der Vertretung der Mitgliedsländer. Er verabschiedet gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die EU-Rechtsvorschriften und koordiniert die Zusammenarbeit der EU-Länder. Am 1. Juli übernimmt Deutschland die Ratspräsidentschaft und ist dann für sechs Monate verantwortlich, die Arbeit, beispielsweise im Bereich Landwirtschaft, aktiv voranzutreiben. Der Rat tagt in zehn verschiedenen Konstellationen. In der Ratsformation „Landwirtschaft und Fischerei“, die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner leiten wird, beraten die zuständigen nationalen Minister auch über Tierschutzthemen. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, appelliert daher an Klöckner, im Rat „wichtige tierschutzpolitische Akzente auf EU-Ebene zu setzen und Vorhaben anzuschieben“.

Gemeinsam erarbeitet

Gemeinsam mit anderen Vereinen und Verbänden hat der Deutsche Tierschutzbund „Zehn Forderungen deutscher Tierschutzorganisationen an die
EU-Ratspräsidentschaft“ formuliert. Das Dokument als PDF-Datei finden Sie hier.

Unzureichende Bestimmungen

Die EU brauche zum Beispiel eine bessere EU-Tiertransportverordnung. „Noch immer leiden die transportierten Tiere unter zu seltenen Ruhepausen, hohen Temperaturen und zu wenig Platz“, zählt Schröder nur einige Bestimmungen auf, die bislang unzureichend sind. „Und solange die Verordnung nicht überarbeitet wurde, müssen die EU-Länder durch häufigere Kontrollen und konsequentere Sanktionen zumindest gewährleisten, dass die bestehende eingehalten wird.“ Bereits vor der Ratspräsidentschaft hat Klöckner ihre Ideen für eine EU-weite Tierwohlkennzeichnung vorgestellt. Einige Mitgliedsstaaten befürworten den Vorschlag eines verpflichtenden Labels, andere favorisieren ein freiwilliges. Dem Deutschen Tierschutzbund geht beides nicht weit genug. „Wir fordern eine eigenständige verpflichtende EU-weite Kennzeichnung aller tierischen Produkte und solcher, die tierische Bestandteile enthalten, deren Standard deutlich über den gesetzlichen Mindeststandards liegt“, so Schröder. Ursprünglich wollte die Bundesregierung auch die Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik während der deutschen Ratspräsidentschaft voranbringen. Aufgrund der Corona-Krise ist der Prozess derzeit verlangsamt. Doch sobald das Thema auf der Agenda steht, „sollten landwirtschaftliche Subventionen nicht weiter vorwiegend von der Fläche der Betriebe abhängen, sondern von ihrem Engagement für ambitionierte Tierschutz-, Klima- und Umweltprojekte, die über dem gesetzlichen Standard liegen. Zudem müsse die EU Tierbestände in der Landwirtschaft reduzieren, um bis 2050 klimaneutral zu werden“, erklärt Schröder.


WAS WIR FORDERN:

Tiertransporte

  • Die EU-Tiertransportverordnung muss novelliert werden, vor allem hinsichtlich der Vorgaben zu Platzangebot, Pausenzeiten und Temperaturen.
  • Anstelle von lebenden Tieren müssen Fleisch, bei Zuchttieren Sperma exportiert werden.
  • Solange die Verordnung noch nicht überarbeitet wird, muss zumindest gewährleistet sein, dass deren aktuelle Bestimmungen eingehalten werden
  • Es müssen häufige Kontrollen stattfinden und Verstöße konsequent geahndet werden (dafür bedarf es eines Sanktionskataloges). Für die Durchführung von Kontrollen ist zudem mehr Personal einzustellen.
  • Sind die vorgelegten Unterlagen zu Fahrtstrecken, Fahrtzeiten und Versorgungsstationen nicht plausibel, dürfen Transporte nicht abgefertigt werden.
  • Nicht abgesetzte Kälber, Lämmer und Zicklein dürfen nicht länger als acht Stunden lang transportiert werden.
  • Bei internationalen Transporten sind die Transportzeiten auf maximal acht Stunden zu beschränken.
  • Rinder dürfen nicht in Doppelstocktransportern transportiert werden, da die Deckenhöhe oft zu niedrig sind und die Tiere mit Kopf und Rücken anstoßen können sowie die Luftzirkulation behindert sein kann.
  • Der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss dringend verbessert und Vollzug und Sanktionen sollten vereinheitlicht werden.
  • Transporte in Drittstaaten, die nicht die OIE-Standards zu Transport und Schlachtung einhalten, sind zu verweigern – auch für Zuchttiere.

Tierschutzkennzeichnung

  • Eigenständige verpflichtende EU-weite Tierschutzkennzeichnung.
  • Einheitlich, einfach, glaubwürdig, leicht verständlich und vermittelbar.
  • Kennzeichnung aller tierischen Produkte und solcher, die tierische Bestandteile enthalten.
  • Das Haltungssystem als Bewertungsbasis (bzw. die Hauptanforderungen Platzbedarf, Einstreu, Tageslicht, Beschäftigung, Strukturierung, Außenklimareize), das um die Bewertung der Kriterien Tierverhalten, -gesundheit und Management abgerundet wird (tierbezogene Indikatoren).
  • Zunächst für die Tiere der Hauptproduktionsrichtungen, langfristig alle Tierarten.
  • Standards grundsätzlich deutlich über dem gesetzlichen Mindeststandard, mit klarem Mehrwert an Tierschutz.
  • Möglichkeit, bestehende Tierschutzlabel explizit zusätzlich auszuweisen, wenn ihr Standard nachweislich den Anforderungen an eine verbindliche EU-Kennzeichnung entspricht oder darüber hinausgeht.

GAP (Gemeinsame Agrarpolitik)

  • Die GAP muss zu den Klimazielen des European Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie beitragen, dies ist nur durch eine starke Reduzierung der Tierbestände und einer tierfreundlichen Ernährung (Clean Meat, Proteine aus Hülsenfrüchten oder Algen) möglich.
  • Abkehr von den pauschalen flächengebundenen Direktzahlungen (1. Säule) und stattdessen verstärkte finanzielle Unterstützung für ambitionierte Tierschutz-, Klima- und Umweltprojekte, die über dem gesetzlichen Standard liegen (2.Säule) nach dem Prinzip „Öffentliche Gelder nur noch für öffentliche Leistungen“.

Illegaler Welpenhandel

  • Einführung einer europaweiten Verpflichtung zur Kennzeichnung und Registrierung von Hunden und Katzen auf Basis des Animal Health Law.
  • Forderung nach einer EU-weiten Regelung des Verkaufs von Tieren im Online-Handel, härtere Strafen für Tierhändler nach Vorbild und Umsetzung der Resolution des EU-Parlaments zur Bekämpfung des illegalen Heimtierhandels.
  • Einführung einer europaweiten Richtlinie (alternativ Leitlinien) für die Heimtierzucht inklusive klarer Definition von sogenannten „Qualzuchten“ zur besseren Umsetzung von bereits bestehenden nationalen Verboten.

Tierversuche

  • Erarbeitung einer Strategie mit konkreten Maßnahmen und Zeitplänen zum EU-weiten Ausstieg aus Tierversuchen zur Erfüllung des in Präambel 10 der EU-Tierversuchsrichtlinie erklärten Ziels, Tierversuche vollständig zu ersetzen.
  • Gezielte Förderung von tierversuchsfreien Methoden in Ausbildung und Lehre und Ermöglichung eines tierverbrauchfreien Studiums durch beispielsweise die Etablierung von Skills Labs zum Erlernen von Operationstechniken.

Nutztierhaltung

Wildtiere

  • Verbot des Imports von Wildfängen für kommerzielle Zwecke in die EU sowie ein Verbot von Wildtiermärkten in der EU bzw. des kommerziellen Handels mit Wildtieren.
  • EU-weites Pelzfarmverbot oder zumindest eine EU-weite Kennzeichnungspflicht für alle Produkte, die Echtfell enthalten, um Verbrauchertäuschung zu verhindern und für eine bessere Verbraucheraufklärung zu sorgen.
  • EU-weites Verbot von Wildtieren im Zirkus.

EU-Gesetzgebungen

  • Die im European Green Deal in Aussicht gestellte Revision der EU-Tierschutzregelungen muss umgesetzt und die bekannten Regelungslücken müssen geschlossen werden. Das betrifft unter anderem die Haltung von Rindern, Schafen oder Puten, den gesamten Bereich der Tierzucht sowie den Umgang mit Heim- und Straßentieren, sowie Equiden.

Weitere Forderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

  • EU-weites Verbot der Herstellung von Stopfleber sowie ein Importverbot.
  • Um dem Insektensterben entgegenzuwirken, ist ein europaweiter Ausbau von Biotopverbünden nötig. Gleichzeitig muss der Pestizideinsatz weiter reduziert werden.