Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Sie sind die grüne Lunge unserer Erde und gelten als die größten Biodiversitätshotspots der Welt. In den tropischen Regenwäldern rund um den Globus tummelt sich das Leben wie in keinem anderen Teil dieses Planeten. Während sich in Indonesien Orang-Utans von Ast zu Ast hangeln und sich in den Bäumen auf Madagaskar Lemuren tummeln, wiegen sich in Südamerika Faultiere genüsslich im Schlaf. Jaguare und Tiger, Ameisenbären, Gürteltiere, Elefanten und Nashörner sind in den Regenwäldern der Welt genauso zu Hause wie Tapire, Papageien, Tukane und Schmetterlinge. Ganz zu schweigen von Chamäleons, Fröschen, Schlangen, Ameisen und unzähligen Arten mehr. Obwohl nur knapp zweieinhalb Prozent unseres Planeten mit Regenwald bedeckt sind, lebt hier vermutlich mehr als die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten. Nirgendwo sonst gibt es einen derart ausgeprägten Artenreichtum. Zudem haben Regenwälder Wissenschaftlern zufolge einen enorm wichtigen Regulierungseffekt für das Weltklima und die Verteilung von Regenfällen. Einen noch größeren Anteil am Klima hat das Meer. Mit einer Fläche von 361 Millionen Quadratkilometern machen die verschiedenen Meere 70 Prozent der Erdoberfläche aus und produzieren zwei Drittel des Sauerstoffs der Erde. Von Walen, Delfinen, Haien und Schildkröten über unzählige Fisch-, Korallen- und Muschelarten bis hin zu noch weitestgehend unerforschten Tiefseebewohnern – zahllose Arten sind in diesem Ökosystem beheimatet. Bis heute ist nur ein Bruchteil von ihnen erforscht. „Die Wälder und Meere regulieren das Klima, speichern Wasser, geben uns Menschen und Tieren ein Zuhause und sichern den Erhalt aller Nahrungskreisläufe“, sagt Katrin Pichl, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. Sie sind die Basis allen Lebens und machen unsere Existenz auf diesem Planeten erst möglich. Dennoch berauben wir uns dieser Lebensgrundlage – und das jeden Tag ein Stück mehr.
„Unser Planet ist unser Zuhause, unser einziges Zuhause. Wo sollen wir denn hingehen, wenn wir ihn zerstören?“, fragte der Dalai Lama vor 16 Jahren in einem Interview. Seitdem sind riesige Eisberge geschmolzen, unfassbar große Waldfl ächen zerstört worden und unzählige Arten ausgestorben. Seit der Mensch auf der Erde schaltet und waltet, hat unser Planet 83 Prozent der wild lebenden Säugetiere, 80 Prozent der Meeressäuger, 50 Prozent der Pflanzen und 15 Prozent der Fische verloren. Aktuell vernichten wir jede Minute Regenwald in der Größe von 30 Fußballfeldern. Wir asphaltieren Straßen, bauen Häuser, Fabriken und Kraftwerke, zerstören Lebensräume an Land und im Wasser, töten Abermilliarden Tiere und bringen jährlich bis zu 400 Millionen Tonnen Pestizide und Chemikalien in den Naturkreislauf ein – von dem, was unser Plastikkonsum anrichtet, gar nicht erst zu sprechen. Auch wenn wir längst in der Lage sind, zum Mond zu fliegen, selbstfahrende Autos zu bauen oder weltumspannende Kommunikationsnetzwerke zu erfinden, muss uns allen klar sein, dass wir die Natur nicht durch technischen Fortschritt oder sonst irgendeine neue Erfindung zurückholen oder einfach ersetzen können.
Doch obwohl all das bekannt und auch der Klimawandel längst in der Gegenwart angekommen ist, scheint es, als ob der weitaus größte Teil der Wirtschaft und Menschen, zumindest in der westlichen Welt, weitermacht, als ob uns zahlreiche zusätzliche Planeten zur Verfügung stünden. „Kurzfristige, materielle Errungenschaften auf Kosten der Natur und Tiere sind das Gegenteil von Fortschritt einer Zivilisation. Jedoch ist dieses Prinzip des blinden Konsums in unseren heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen nach wie vor ein gängiges Leitbild“, kritisiert Pichl. Von der ursprünglichen globalen Waldfläche sind heute nur noch 60 Prozent übrig. „Und von den noch bestehenden Wäldern sind 40 Prozent so stark durch den Menschen bewirtschaftet oder verändert, dass große Säugetier- und Vogelarten dort entweder schon ausgestorben sind oder die waldtypischen Lebensgemeinschaften nur noch in verarmter Form existieren.“ Die Wissenschaft geht derzeit davon aus, dass innerhalb der nächsten Jahrzehnte rund eine Million weitere Tier- und Pflanzenarten aussterben werden – mehr als je zuvor in der Geschichte. Es sind erschreckende Zahlen.
Denn jedes Lebewesen hat seine eigene spezifische Aufgabe im Ökosystem und in den damit verbundenen Kreisläufen. Geht auch nur ein Teil verloren, gerät die Welt außer Balance. Jedes Jahr macht uns der „Earth Overshoot Day“, auch Erdüberlastungs- oder Welterschöpfungstag genannt, aufs Neue klar, wie sehr wir über unsere Verhältnisse leben. Dieser symbolische Tag – dieses Jahr lag er auf dem 22. August – zeigt uns, wann unsere Gier nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion übersteigt. „Wir in Europa konsumieren heute mehr als das Doppelte dessen, was die Böden und Meere in der EU als natürliche Ressourcen bereitstellen können“, sagt Pichl. Für uns ist es völlig selbstverständlich, dass die Geschäfte voller Waren aus dem weltweiten Ausland sind und uns nahezu alle Produkte ausnahmslos zu jeder Zeit und zu möglichst günstigen Preisen zur Verfügung stehen. Neben den auf den ersten Blick offensichtlich massenhaft zu Billigpreisen angebotenen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch und anderen tierischen Produkten sowie Kaffee, Kakao oder Bananen hat vor allem unser Konsum von Palmöl massive Auswirkungen auf die Umwelt. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende Verbrauch von Bodenschätzen. „Wir Europäer sind in hohem Maße an dem Import von Ressourcen aus Ländern außerhalb der EU und damit für die Zerstörung der Natur und Artenvielfalt weltweit verantwortlich“, sagt Pichl.
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Die globale Fleischproduktion hat sich in den letzten 50 Jahren mehr als verdreifacht und die Ernährungs und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erwartet, dass sie bis zum Jahr 2050 noch einmal um 85 Prozent steigen wird. Welches Ausmaß dieser Konsum schon heute erreicht hat, zeigt unter anderem ein Blick auf die Verteilung der Lebewesen. 60 Prozent der Säugetiere, die heute auf der Erde leben, sind vom Menschen gezüchtete „Nutztiere“ wie Rinder und Schweine. Dem stehen lediglich vier Prozent Wildtiere gegenüber. 36 Prozent sind wir selbst. 70 Prozent der Vögel sind Geflügel in der Landwirtschaft und lediglich 30 Prozent wild lebende Individuen. Schon heute werden 77 Prozent des globalen Agrarlandes für die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern benötigt. Allein der Anbau von Futter-Soja nimmt weltweit 120 Millionen Hektar Ackerfläche ein – Tendenz steigend. Zusätzlich grasen in Lateinamerika Rinderherden auf riesigen Flächen. Die Gewinnung von neuen Weideflächen ist in Argentinien für 45 Prozent und in Brasilien sogar für über 80 Prozent der Abholzung der Regenwälder verantwortlich. Je weniger Bäume existieren, desto weniger Kohlenstoffdioxid können sie binden. „In der Kombination mit dem Ausstoß klimarelevanter Gase durch den landwirtschaftlichen Anbau, die Tierhaltung sowie die Produktion und den Transport von Lebensmitteln stellt der landwirtschaftliche Sektor eine Doppelbelastung für die Umwelt dar.
Die Landnutzung ist somit für etwa 24 Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich“, erklärt Pichl. Im Vergleich liegt der Verkehrssektor bei etwa 14 Prozent. Von den Emissionen, die direkt durch die Lebensmittelproduktion verursacht werden, sind 70 Prozent auf tierische und nur etwa 30 Prozent auf pflanzliche Lebensmittel zurückzuführen. Weil für eine vegane Ernährung weniger Land und Wasser nötig ist, ist sie nicht nur tierschutz-, sondern auch klima- und artenschutzrelevant.
Was in Lateinamerika der Anbau von Soja und die Erschließung neuer Weideflächen ist, ist in Indonesien und Malaysia die Kultivierung von Ölplantagen. Die Palmölpflanze gehört zu den ertragreichsten Pflanzen der Welt. „Das Öl ist billig, hitzebeständig und lange haltbar, weshalb es heute in jedem zweiten Produkt im Supermarkt zu finden ist“, sagt Pichl. „Alleine Deutschland verbraucht pro Jahr rund 1,8 Millionen Tonnen, wovon 41 Prozent in die Produktion von Biodiesel, 40 Prozent in die von Nahrungs- sowie Futtermitteln sowie 17 Prozent in die industrielle chemische Verarbeitung und Produktion von Reinigungsmitteln, Medikamenten und Kosmetika fließen.“ Die Folge: fatale Umweltschäden, Tier- und Artenschutzprobleme sowie soziale Missstände. Ständig müssen für die Erschließung neuer Plantagenflächen wichtige Naturgebiete weichen und verlieren stark bedrohte Arten wie Sumatra-Tiger oder Orang-Utans ihren Lebensraum. „Familienverbände werden auseinandergerissen und Tiere bei den Rodungen verletzt oder durch den massenhaften Einsatz von Pestiziden vergiftet. Viele von ihnen sterben an den Folgen. Andere, darunter Affen, Wildschweine und Ratten, werden zudem vielerorts als ‚Schädlinge‘ bejagt“, kritisiert Pichl. Hinzu kommt, dass die Genehmigungen für die Nutzung der Waldgebiete kaum nachzuvollziehen und geregelt sind. So werden Landnutzungsrechte von Plantagenbetreibern missachtet und geschützte Wälder einfach illegal gerodet und anschließend zu Nutzwäldern deklariert. „Massive soziale Probleme und Menschenrechtsverletzungen sind in der Palmölproduktion gang und gäbe.“ Das Problem: Der totale Verzicht von Palmöl würde dazu führen, dass Monokulturen mit weniger ertragreichen Kokos-, Erdnuss- oder Sojapflanzen entstehen und sich der Teufelskreis wiederholt. Dennoch ist es wichtig, den eigenen Konsum auf ein Minimum zu reduzieren und Produkte mit Palmöl vor allem nur dann zu kaufen, wenn dieses aus biologischem, nachhaltigem und sozial gerechtem Anbau stammt.
Auch Smartphones und Laptops, LEDs, Elektroautos, Herzschrittmacher, Häuserleitungen oder Schmuck sind eng mit dem Raubbau am Regenwald verknüpft. Neben Bauxit, der Basis von Aluminium, stammen auch weitere Rohstoffe aus tropischen Regenwaldgebieten. So gehört Brasilien zum Beispiel zu den drei weltweit größten Produzenten von Eisen und exportiert zudem Bauxit, Gold, Stahl, Kupfer sowie Nickel, und Indonesien ist einer der bedeutendsten Zinn-Exporteure. Die Demokratische Republik Kongo baut vor allem Coltan ab und ist zudem der mit Abstand wichtigste Produzent von Kobalt. „Insbesondere das Coltan wird im Kongo unter menschenunwürdigen Bedingungen und in weiten Teilen völlig unreguliert aus der Erde geholt“, berichtet Pichl. Bewaffnete Milizen errichten zahllose illegale Minen immer tiefer im Wald und gefährden damit nicht nur die Existenz der letzten auf diesem Planeten lebenden Grauergorillas, sondern auch unzähliger weiterer Arten.
Das Pendant zu unserem Raubbau an Land ist unser Fischhunger und die Gewinnung von Öl und Erdgas im Meer. „Laut FAO gelten heute mehr als 90 Prozent der Weltfischbestände als überfischt oder bis ans Limit genutzt, was zwangsläufig zu einer Veränderung des gesamten Ökosystems führt“, sagt Pichl. 2018 wurden über 84 Millionen Tonnen Fisch aus dem Meer geholt, dazu kommen knapp zehn Millionen Tonnen Beifang, darunter eine Million Seevögel, über acht Millionen Schildkröten, 650.000 Meeressäuger und zehn Millionen Haie. Meeresbewohner, die illegal gefangen, durch die Schifffahrt, Ölkatastrophen oder andere Einwirkungen des Menschen gestorben sind, sind hierbei noch nicht eingerechnet.
„Darüber hinaus werden jedes Jahr etwa 30 Millionen Meerespflanzen für den menschlichen Konsum, Tierfutter oder Kosmetika entnommen, was den Meereslebewesen die Lebensgrundlage entzieht und das Ökosystem zusätzlich beeinträchtigt.“ Laut einer Studie der britischen New Economics Foundation liegt Deutschland auf Platz fünf der Rangliste der schlimmsten Überfischungs-Sünder. Insgesamt haben die EU-Länder demnach in den vergangenen 20 Jahren etwa 8,78 Millionen Tonnen mehr aus den Meeren geholt, als es wissenschaftlich empfohlen war. Doch der Mensch fegt nicht nur alle Lebewesen aus dem Wasser. Da die Reserven auf dem Festland knapp werden, weichen auch Mineralöl- und Erdgaskonzerne immer mehr auf das Meer aus. „Rund ein Drittel der Produktion stammt inzwischen aus dem Meer, Tendenz steigend. Auch die Arktis gerät immer mehr ins Visier, da sich durch das Verschwinden der Eisflächen dort neue Gebiete auftun“, kritisiert Pichl. Die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen steigert auch das Interesse an Kupfer, Nickel oder Kobalt aus der Tiefsee. Bei den Arbeiten auf den Ölplattformen kommt es regelmäßig zu Unfällen und extremen Umweltverschmutzungen. „Allein nach der Explosion auf der BP-Bohrinsel ‚Deepwater Horizon‘ im Jahr 2010 flossen knapp 800 Millionen Liter Öl ins Meer entlang der Golfküste.“ Ein weiteres großes Problem ist der Unterwasserlärm. „Bei der Sondierung von Öl- und Erdgasvorkommen setzen die Firmen seismische Druckluftkanonen ein, die oftmals 24 Stunden am Tag oder über mehrere Wochen ohrenbetäubenden Lärm verursachen. Auch das Militär setzt Sonar ein.“ Hinzu kommt der Lärm des Schiffsverkehrs. In der Folge stranden zahllose Wale und Delfine, weil sie die Orientierung verlieren. Unzählige Meeresbewohner erleiden Hörschäden, können nicht mehr arttypisch miteinander kommunizieren, werden aus ihren Gebieten vertrieben und pflanzen sich vor lauter Stress nicht mehr ausreichend fort. Auch die Schwarmstruktur bei Fischen wird gestört, und viele Tiere sterben zum Beispiel durch die Folgen, wenn sie vor Panik zu schnell auftauchen.
Ob an Land oder unter Wasser: Dies alles sind nur einige Beispiele für die vielen Folgen unseres übermäßigen Konsums. Die Auswirkungen sind erschreckend und die Zahlen kaum zu ertragen. Allerdings ist es vollkommen falsch, zu erstarren oder aufzugeben. Vielmehr müssen wir jetzt alle gemeinsam dafür sorgen, dass es so nicht weitergeht. In der Marktwirtschaft, in der wir leben, gibt es schließlich nichts Stärkeres als die Konsumenten. Setzen Sie sich gemeinsam mit uns für die Tiere und unsere Erde ein. Noch ist es nicht zu spät.