Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Etwas zaghaft blickt Chile aus ihrer Höhle, doch dann traut sich die Bärendame heraus und erkundet ihre neue Umgebung. Sie schnuppert an den Grashalmen, nascht Beeren von den Sträuchern und genießt kurz darauf schon ihr erstes Bad in einem großen Teich – sie scheint sich sichtlich wohlzufühlen. Es dauert nicht lange, bis die Bärin sich mit ihrem neuen Zuhause vertraut gemacht hat. Chile gehört zu den neuesten Bewohnern der in Kappeln an der Schlei gelegenen Einrichtung des Deutschen Tierschutzbundes, die bereits drei Braun- und zwei Kragenbären in einer 2019 eigens für sie errichteten Anlage beherbergt.
Reichlich Platz, Badeseen, Höhlen als Rückzugsmöglichkeiten, ganz viel Grün, Bäume zum Klettern, artgemäßes Futter – der Kontrast zwischen ihrer neuen Heimat und ihren früheren Lebensbedingungen könnte kaum größer sein. Denn das etwa 20 Jahre alte Tier wurde aus einer schlechten Haltung in einem Freizeitpark in Litauen gerettet, wo es ebenso wie zahlreiche weitere Wildtiere in zu kleinen, verschmutzten Gehegen untergebracht war und weder die richtige medizinische Versorgung noch geeignetes Futter erhielt. Auf Druck von Tierschützern, die über Monate mit Tierärzten und Behörden eng zusammenarbeiteten, konnten dem Betreiber des Freizeitparks mehrere Tierschutzverstöße und irreguläre Machenschaften nachgewiesen werden. Deshalb wurde Chile zusammen mit anderen Braunbären, einem Puma, einem Löwen, drei Affen und vielen weiteren Tieren beschlagnahmt und auf Auffangstationen in Deutschland, Holland und Belgien verteilt.
Nach einer Strecke von mehr als 1.500 Kilometern und einer rund 24-stündigen Fahrt kam die Bärin schließlich Ende Juli 2021 in Weidefeld an. Die Tierpfleger des Tierschutzzentrums ließen sie direkt aus ihrer Transportbox, damit sie erst einmal in den Stallungen der Anlage zur Ruhe kommen und sich erholen konnte. Wenige Tage später durfte sie bereits den Außenbereich der großzügigen Anlage kennenlernen, in der auch schon ihre Artgenossinnen Maya, Mascha und Ronja sowie die Kragenbären Serenus und Balou leben – diese beobachteten hinter einem Zaun neugierig die Ankunft des Neuankömmlings. „Wenn Chile sich schnell bei uns einlebt und es draußen kälter wird, wird sie vielleicht in ein paar Monaten genau wie unsere anderen Bären in Winterruhe gehen“, sagt Patrick Boncourt, Referent im Tierschutzzentrum Weidefeld und Leiter des Bärenprojekts. „Vielleicht können wir sie anschließend im Frühjahr mit Maya zusammenführen, die ebenfalls aus Litauen stammt und 2012 vom Deutschen Tierschutzbund übernommen wurde.“ Insgesamt war die Rettung von Chile und den anderen Tieren aus dem litauischen Freizeitpark eine konzertierte Aktion von Tierschützern aus ganz Europa und damit durchaus eine Besonderheit, so Boncourt.
Leider verstarb Chile jedoch während ihrer Winterruhe, vermutlich aufgrund eines unerkannten Herzproblems, denn alle tierärztlichen Untersuchungen waren unauffällig. Im Tierschutzzentrum Weidefeld durfte sie zumindest an ihrem Lebensende ein schönes, bärengerechtes Zuhause genießen.
Bildrechte: Artikelheader: Deutscher Tierschutzbund e.V. (Bär vor Höhle); Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V. (Bär im Grünen, Bär im Wasser); Deutscher Tierschutzbund – Marcus Dewanger (Transport, Bär in Stallung)