Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Nicht nur George Clooney und Brad Pitt haben ihn schon getragen: den Ziegenbart. Mit dieser nach wie vor beliebten Bartfrisur bedienen sich die menschlichen Herren der Schöpfung ganz klar eines unverkennbaren Markenzeichens der Ziegen, das in der Natur jedoch nicht nur die Männchen schmückt. Auch Frau Ziege trägt Bart – warum weiß allerdings niemand genau. „Bei den männlichen Tieren dient der Bart als Duftfänger und hilft ihnen, die Weibchen in der Paarungszeit anzulocken. In den langen Haaren bleibt ihr Geruch gut haften“, erklärt Dr. Anna Kirchner, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. Während die Bärte Männern als Vorbild dienen, werden Frauen oft als blöde Ziegen oder Zicken beschimpft. Das ist nicht nur zwischenmenschlich alles andere als ehrenhaft, sondern wird auch den Tieren nicht gerecht.
Ziegen sind wahre Überlebenskünstler. Ob im hohen Gebirge, in Halbwüsten oder Steppen – sie leben oft dort, wo viele andere Arten nicht überleben können. Sie bewegen sich überaus sicher in felsigem Gelände, durch dorniges Gestrüpp und kommen in kargen Landschaften wunderbar zurecht. Sie zupfen Blätter von Büschen, schälen Rinde ab und zeichnen sich durch einen ausgeprägten Charakter aus. Sie sind frech, neugierig und leben gesellig in Herden, in denen weibliche Leitziegen das Sagen haben. Sie lieben es zu toben, zu klettern, auf erhöhte Gegenstände und Felsen zu springen und ruhen sich am liebsten auf höher gelegenen Flächen aus. „Ursprünglich im Gebirge Asiens beheimatet gehören Ziegen mit zu den ältesten domestizierten Nutztieren der Menschen“, so Kirchner. „Dadurch, dass die Tiere an so unterschiedliche Klimaregionen angepasst sind, stellen die verschiedenen Rassen ganz unterschiedliche Anforderungen an ihre Halter“, erklärt die Expertin. Weltweit gibt es etwa eine Milliarde Ziegen, knapp 17 Millionen davon in Europa – verteilt auf rund 200 verschiedene Rassen. „In Mitteleuropa dienen Ziegen heute hauptsächlich der Milchgewinnung sowie der Landschaftspflege oder Zwergziegen auch als Hobbytiere. Die Gewinnung von Fleisch spielt hierzulande eher eine untergeordnete Rolle.“
Unsere Hausziegen stammen von der Bezoarziege ab, die es in freier Natur heute noch in kleiner Anzahl auf Kreta sowie in Ländern östlich des Mittelmeers bis Pakistan gibt. Wie ihre wilde Stammform bevorzugen auch Hausziegen trockene, gebirgige Gegenden. „Eine Haltung ganz ohne Stall und ausreichenden Witterungsschutz ist daher hierzulande nicht möglich. Ziegen sind sehr nässeempfindlich.“
Generell gibt es für die Ziegenhaltung in Deutschland jedoch keine speziellen Vorgaben. In der Regel halten Betriebe kleine Bestände von weniger als 50 Tieren – im Vergleich zur Haltung von Schweinen und Co. handelt es sich also um eine Nische. „Aber die Ziegenhaltung professionalisiert sich und richtet sich zunehmend erwerbsorientiert aus. Aufgrund stabiler Preise und einer steigenden Nachfrage ist die Produktion von Ziegenmilch eine der aufstrebenden Bereiche der Landwirtschaft“, so Kirchner. Auch wenn sie vermutlich immer eine Nische bleiben wird, steigen durch den Aufschwung die Tierzahlen. Aus Tierschutzsicht sollten jedoch maximal 50 Tiere gemeinsam in einer Gruppe leben. Generell kritisch zu sehen sind ein fehlender Witterungsschutz auf der Weide und Halter, die ihre Tiere vernachlässigen. „Es kommt immer wieder vor, dass Halter die Klauen nicht genügend pflegen, die Ziegen nicht ausreichend vor Parasiten schützen und sie auch nicht dagegen behandeln.“
Zudem brechen immer wieder Ziegen aus nicht genügend gesicherten Weiden aus, verletzen sich, weil ihre Ohrmarken ausreißen, oder fressen giftige Pflanzen. „Jede Herde muss mindestens einmal täglich kontrolliert und jedes Tier individuell betreut und beobachtet werden“, so Kirchner. Im Frühjahr, wenn die Ziegen Nachwuchs bekommen, ist eine noch intensivere Betreuung nötig. Um die Verletzungen durch ausgerissene Ohrmarken zu verhindern, plädiert der Deutsche Tierschutzbund zudem dafür, dass die Tiere zukünftig mit Mikrochips gekennzeichnet werden dürfen. „Außerdem fordern wir einen Sachkundenachweis für jeden Besitzer. Es kann nicht sein, dass jeder – ohne ausreichendes Wissen – Ziegen halten darf“, sagt Kirchner.
Ein weiteres Problem: Milchziegen in der Laufstallhaltung werden im Kitzenalter enthornt, was unter anderem mit der Verletzungsgefahr von Mensch und Tier begründet wird. In der Biohaltung dürfen die Ziegen ihre Hörner behalten. „Das Enthornen ist mit hohen Belastungen und Risiken für die Tiere verbunden. Vielmehr sollten die Halter ihre Ställe großzügig gestalten und zum Beispiel Rückzugsmöglichkeiten für rangniedrige Tiere schaffen sowie auf kleine stabile Gruppen setzen. So können Rangkämpfe zwar auch nicht vollständig verhindert, aber deutlich reduziert werden. Bei gutem Management ist das Enthornen also unnötig“, sagt Kirchner. Milchziegen werden in der Regel zwei Mal täglich gemolken und geben dabei bis zu 3,5 Liter Milch. Diese wird hauptsächlich zu Käse verarbeitet – nur etwa zehn Prozent wird frisch oder pasteurisiert verkauft.
Damit Ziegen Milch geben, bekommen sie – genau wie Milchkühe – jedes Jahr, manchmal auch jedes zweite, Jungtiere. Auch die Kitzen werden früh von ihren Müttern getrennt. „Eine mutterlose Aufzucht, bei der die Kitzen schon nach drei bis vier Tagen abgesetzt werden, lehnen wir ab. Diese Trennung sollte frühestens nach 65 Tagen erfolgen – die muttergebundene Aufzucht macht das vor“, sagt Kirchner. Doch es gibt noch ein ganz anderes Problem. Genau wie bei der Produktion von Kuhmilch kommen auch hier zahlreiche Jungtiere auf die Welt, die nicht für die Nachzucht verwendet werden und wirtschaftlich unbrauchbar sind. Steigt die Ziegenmilchproduktion wie erwartet an, wird es noch mehr dieser „überzähligen“ Tiere geben. Diese werden oft geschlachtet und direkt vermarktet oder zur Mast und Schlachtung ins Ausland transportiert.
Im Gegensatz zu vielen anderen sogenannten Nutztieren leben Ziegen in kleineren Gruppen und spüren Gras unter ihren Klauen sowie Sonne auf ihrer Haut. Dennoch darf es einfach nicht sein, dass viele von ihnen zu wirtschaftlichen Abfallprodukten werden.