Stuten

Wundermilch mit Schattenseiten

Hinter den Kulissen
Stuten

Wundermilch mit Schattenseiten

„Sanft und wohltuend für Körper und Seele“ – Stutenmilch gilt als Schönheitsessenz und wahrer Heilsbringer. Doch wie sieht es hinter den Kulissen dieses sagenumwobenen Wunderprodukts aus?

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Trinkendes Fohlen

Für die Gewinnung von Stutenmilch kommen mehr Jungtiere auf die Welt, als für die Nachzucht nötig sind.

Das Streben nach vollkommener Schönheit und die Sehnsucht nach Heilmitteln, die Wunder bewirken, vereint Menschen rund um den Globus. Stutenmilch, also die Muttermilch von Pferden, war in China schon vor 3.000 Jahren bedeutend. So schworen bereits die Kaiser der Ming-Dynastie auf die Wirkung des „göttlichen Nektars“. Im Orient bezeichneten Scheichs die Milch schon vor langer Zeit als „ein von Allah gesegnetes Heilmittel“. In der neueren Geschichte nutzten als Erstes russische Mediziner die viel beschworene Heilkraft und gründeten 1858 ein Stutenmilchsanatorium in Samara. Kein geringerer als Lew Nikolajewitsch Tolstoi schrieb einst: „Stutenmilch regeneriert meinen Körper und beflügelt meinen Geist.“ Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Arzt Dr. Rudolf Storch als Kriegsgefangener mit der Stutenmilch vertraut und machte sie anschließend auch hierzulande bekannt. 1959 gründete er das erste Stutenmilchgestüt.

Heute existieren in Deutschland circa 40 Stutenmilchbetriebe – mit fünf bis 150 Stuten pro Hof –, und noch immer werden der Milch zahlreiche positive Eigenschaften sowie eine heilende Wirkung zugeschrieben. So soll sie zum Beispiel bei chronischen und allergischen Haut-, Magen-Darm- und Lungenerkrankungen helfen und wird zudem als Ersatz von Muttermilch bei der Säuglingsernährung verwendet – sie ist in ihrer Zusammensetzung der menschlichen Milch sehr ähnlich. Ein von der Schulmedizin anerkanntes Heilmittel ist die Stutenmilch jedoch nicht. Sie gilt als sogenanntes diätetisches Nahrungsmittel und findet sich heute als Milchpulver, Emulsion, Trinkkur, vergorener „Kumys“, in Form von Tabletten oder Kapseln und vor allem in zahlreichen Kosmetikprodukten wieder. Ob Cremes, Dusch- und Vollbäder, Gesichtsmasken oder Seifen – die kosmetischen Produkte sind so vielfältig wie die Schönheitsideale der Menschheit. Bis heute versprechen die Hersteller den Konsumenten „wohltuende und vitalisierende Pflege“, „Kraft und Dynamik“ und eine „echte Erfrischung bei Müdigkeit und Antriebslosigkeit“. Doch wie geht es den Pferden, die den kostbaren Rohstoff liefern?

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Ohne Nachwuchs keine Stutenmilch

„In den meisten Fällen stammt die Milch von Haflingerstuten, einer Pferderasse, die heute vor allem im Freizeitreitsport geschätzt wird“, sagt Dr. Esther Müller, Geschäftsführerin Wissenschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Aber es gibt auch Betriebe, die Warmblutpferde, Kaltblüter und Spezialrassen melken. „Andere wiederum versuchen zudem durch die Einkreuzung von Rassen wie Pinto, Criollo, Welsh oder Araber die Attraktivität der Haflingerfohlen zu verbessern, um diese später gewinnbringender als Reit- oder Fahrpferde vermarkten zu können.“ Das führt auch schon zur größten Tierschutzproblematik: den „überzähligen“ Fohlen. Wie immer bei der Produktion von Milch tierischen Ursprungs müssen auch Stuten jedes Jahr Nachwuchs bekommen, damit ihre Körper die vom Menschen verlangte Milch produzieren. „Bereits innerhalb der ersten drei Wochen nach der Geburt ihrer Fohlen, in der sogenannten Fohlenrosse, werden sie erneut gedeckt“, so die Expertin. Genau wie bei Kühen oder Ziegen kommen dadurch mehr Jungtiere auf die Welt, als für die Nachzucht nötig sind. Die Tiere sind „überzählig“ und für die Milchgewinnung wirtschaftlich nicht brauchbar. „Genaue Zahlen über den Verbleib dieser Fohlen gibt es nicht, doch die Vermutung liegt nahe, dass die meisten von ihnen geschlachtet werden – besonders die Hengstfohlen“, kritisiert Müller. Da Pferde zu den sogenannten schlachtbaren Tieren gehören, ist rein rechtlich nichts gegen diese Schlachtung einzuwenden. „Dennoch bleiben ethische Bedenken, da in hiesigen Breiten kein nennenswerter Bedarf an Pferdefleisch besteht. Zudem ist bekannt, dass Fohlen auch zu weit entlegenen Schlachtbetrieben in Frankreich und Italien transportiert werden, da die Nachfrage nach Pferdefleisch dort wesentlich höher ist als hier“, berichtet Müller. Diese Transporte sind für die jungen Tiere unheimlich belastend und rauben ihnen ihre ganze Kraft. Sie sind zum Teil tagelang unterwegs, gestresst, haben Angst und verletzen sich. Häufig ist diesen Transporten auch noch eine Auktion oder ein Fohlenmarkt vorgeschaltet, wo die Tiere als Ware angeboten werden. Und all das nur, um am Ende viel zu jung im Schlachthof zu sterben. „Sowohl den Verkauf der Fohlen auf Auktionen und Märkten als auch die Langstreckentransporte lehnen wir strikt ab. Für die Milchproduktion sollten nur so viele Fohlen auf die Welt kommen, wie später auch als Reitpferde vermittelt werden können“, fordert Müller. „Hierbei sollte jedoch nicht einfach nur vermehrt, sondern auch auf die Gesundheit der Nachkommen besonderer Wert gelegt werden.“

Fohlen Pferd

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Fohlen als „Nebenprodukt“

Im Unterschied zu Milchkühen geben Stuten nur Milch, wenn ihre Fohlen bei ihnen sind. Daher bleiben sie im Gegensatz zu Kühen und ihren Kälbern zusammen – fast. Denn etwa einen Monat nach der Geburt beginnen die Landwirte in der Regel dreimal am Tag mit dem Melken. Während dieses nun etwa fünf Monate lang andauernden Melkprozesses können sie nach eigenen Angaben je Tier etwa 458 Liter Stutenmilch gewinnen – sprich ein bis zwei Liter pro Stute und Melkvorgang. Kaltblutpferde haben im Durchschnitt eine höhere Milchleistung als Warmblutpferde – das Ergebnis variiert also je nach Rasse. „Um an die Milch zu gelangen, werden die Fohlen bis zu neun Stunden täglich von ihren Müttern getrennt. Zwar gibt es zu Beginn jeder Melksaison oder bei Jungstuten oft eine Eingewöhnungsphase, in der die Stuten bereits nach einem oder zwei Melkvorgängen zu den Fohlen zurückgebracht werden, dennoch setzt auch diese Trennung die Fohlen in den ersten Lebenswochen erheblichem Stress aus“, kritisiert Müller. Dadurch sind sie weniger widerstandsfähig und anfälliger für Krankheiten. Beobachtungen von Przewalski-Pferden haben gezeigt, dass sich Fohlen in den ersten beiden Lebensmonaten etwa 90 Prozent der Zeit näher bei ihrer Mutter als bei anderen Artgenossen aufhalten. Erst ab dem dritten Lebensmonat wird dieser Kontakt lockerer. „Ein späterer Melkbeginn als oft üblich wäre für die Fohlen daher wesentlich unproblematischer“, so Müller. Doch generell bleiben die Fohlen, vor allem die männlichen, ein „Nebenprodukt“. Um sie zu beschäftigen und an den Umgang mit dem Menschen zu gewöhnen, bleibt vor allem in größeren Betrieben kaum Zeit. Dabei ist genau das eine wesentliche Voraussetzung, um ihnen den Weg in die Zukunft als Reitpferd zu ebnen. Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Missstand: Damit die Betriebe ganzjährig Milch gewinnen können, müssen einige Stuten ihre Fohlen wider die Natur im Herbst statt im Frühjahr gebären. „Diese Fohlen kommen in der kalten Jahreszeit zur Welt und dadurch seltener auf die Koppel. Sie können sich weniger bewegen und sind im Stall mit schlechteren Licht- und Luftverhältnissen konfrontiert“, kritisiert Müller. „Solche Herbstabfohlungen lehnen wir klar ab.“ Generell gibt es für die Haltung von Pferden keinerlei rechtliche Vorgaben. „Es existieren lediglich Leitlinien zur Haltung, die keinen Gesetzescharakter haben, aber als Gutachten vor Gericht herangezogen werden können“, erklärt die Expertin. In der Realität ist die Haltung der Tiere daher sehr unterschiedlich. „Stutenmilcherzeugung wird häufig unter Bio-Standards durchgeführt, weshalb die Pferde oft in Gruppen in Laufställen mit Weidegang leben.“ Schlechte Haltungen gibt es aber natürlich auch. Und neben den rein wirtschaftlich ausgerichteten Betrieben existieren auch Ferienhöfe, die Stuten halten. Dort dienen die Fohlen zusätzlich als Touristenattraktion. „Wir fordern ausnahmslos, dass die Haltungsbedingungen stets den Bedürfnissen der Pferde entsprechen. Das heißt mehrstündiger Weidegang täglich gemeinsam mit Artgenossen. Und auch in den Wintermonaten muss es den Tieren möglich sein, sich gleichermaßen frei bewegen zu können“, so Müller. Dass darüber hinaus die gesamte Betreuung und Fütterung der Pferde sachkundig und im Sinne der Tiere sein muss, sollte selbstverständlich sein.

Ist es das wert?

Die Stutenmilchproduktion zeigt: Einmal mehr müssen Tiere den Preis für unseren Luxus bezahlen. Eine zarte Haut oder ein wohltuendes Bad ermöglichen uns auch vegane Kosmetikprodukte. Brauchen wir dafür wirklich die Muttermilch von Pferden? Auch bei Allergien oder Erkrankungen helfen andere Dinge. Für den Deutschen Tierschutzbund hat Stutenmilch leider nichts mit einem vielversprechenden Wundermittel gemein. Sie ist lediglich ein weiteres Produkt, das der Welt Schönheit und Heil verspricht – und hinter dessen Kulissen Pferde leiden und sterben.

Bildrechte: Artikelheader und Fotos: Shutterstock – Katho Menden