Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Schnecken sind langsam, keine Frage. So langsam, dass Redewendungen à la „lahm wie eine Schnecke“ und Wortschöpfungen wie „Schneckentempo“ zum allgemeinen Wortschatz gehören. Tatsächlich legen die hiesigen Arten nur zwei bis immerhin 16 Zentimeter pro Minute zurück. Hobbygärtner*innen sorgen sich beim Gedanken an sie dennoch, dass sie ihre Pflanzen im Eiltempo vertilgen. Dabei fallen in Gärten nur drei Nacktschneckenarten als besonders gefräßig auf. Vermeintlichen Gourmets läuft hingegen das Wasser im Munde zusammen. Denn die Tiere gelten noch immer als Delikatesse. In der Regel landen gleich ein halbes oder gar ein ganzes Dutzend von ihnen auf einen Schlag auf dem Teller – meist Weinberg- oder Gefleckte Weinbergschnecken. Davor werden die Tiere weder artgerecht ernährt noch schonend transportiert – von ihrem qualvollen Tod ganz zu schweigen.
Weinbergschnecken sind in der Europäischen Union und nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen besonders geschützt. „Es ist verboten,sie aus der Natur einzusammeln. Die Schnecken in Restaurants oder Supermärkten stammen meist aus der Schneckenzucht“, erklärt Nina Brakebusch, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. Viele dieser europäischen Zuchtfarmen sind in Frankreich angesiedelt, etwa 400 sind es dort, aber auch hierzulande gibt es einige. Die größte in Sachsen-Anhalt hält etwa drei Millionen Schnecken. Gerade in Frankreich züchten die Betriebe vor allem Gefleckte Weinbergschnecken. Sie wachsen schneller und werden schneller geschlechtsreif als Weinbergschnecken. Beide Arten besitzen als Zwitter männliche und weibliche Geschlechtsteile. Die Tiere können sich aber nicht selbst befruchten. „Wenn sich Weinbergschnecken paaren, richten sie sich aneinander auf. Oftmals stechen sie sich dabei gegenseitig sogenannte Liebespfeile in den Körper“, sagt Brakebusch. Diese bestehen aus Kalk und sind circa elf Millimeter lang. Wenn sie sie in den anderen Körper bohren, sondern sie ein Sekret ab, das die Bewegung der Samenzellen durch den Eisamenleiter unterstützt. Vier bis sechs Wochen später legen die Zuchttiere 40 bis 60 Eier in kleinen Kunststoffgefäßen ab. Bei Gefleckten Weinbergschnecken sind es sogar schon nach zehn Tagen bis zu 100 Eier. Dann werden sie ausgesiebt und umgebettet. Wenige Wochen nach dem Schlüpfen kommen die Tiere entweder direkt in vor Vögeln, Igeln und anderen Tieren gesicherte Außenbereiche oder sie bleiben in klimatisierten und bewässerten Räumen. „Schneckenfarmen, die die Tiere drinnen halten, füttern vorwiegend Schneckenkraftfutter, damit sie schnell zunehmen. Das besteht unter anderem aus Mehl, Stärke und Vitaminen. Artgerecht ist das allerdings nicht, ideal wäre stattdessen Grünfutter“, berichtet Brakebusch.
Die Teams in den Schneckenfarmen „ernten“ die ersten Tiere bereits zehn Wochen, nachdem sie geschlüpft sind. Nach rund drei Monaten sind alle Tiere ausgewachsen. Ein Teil überwintert für die Zucht. „Die anderen Schnecken erhalten drei Tage lang nur Wasser, in wenigen Fällen noch etwas Maismehl“, erläutert Brakebusch. „Das soll ihren Darm leeren, bedeutet für sie aber Hunger und Stress.“ Die Industrie begründet das unfreiwillige Fastenmit der Hygiene, doch notwendig ist es nicht. Denn abgesehen von der Speiseröhre liegt der überwiegende Teil des Verdauungstraktes innerhalb des Gehäuses. „Er wird nach der Tötung eh entfernt.“ Und die erfolgt, wie es die EU-Tierschlachtverordnung vorschreibt, in siedendem Wasser oder 100 Grad heißem Wasserdampf. „Das ist äußerst schmerzhaft und qualvoll, denn die Tiere sterben nicht sofort. Insbesondere, wenn sie sich in ihr Haus zurückziehen, werden sie langsam durchkocht“, schildert Brakebusch. Da oft viele Schnecken auf einmal in das kochende Wasser geworfen werden, sinkt die Temperatur im Topf ab. Das verlängert die Schmerzen bis zum Tod. „Es gibt zahlreiche Argumente und Studien, die nahelegen, dass Schnecken ähnlich empfindungsfähig sind wie etwa Hummer“, erklärt die Expertin. So haben Schnecken Rezeptoren, die Schmerzreize weiterleiten können. Zudem meiden sie Situationen, in denen sie bereits Schmerzen erlebt haben. Und auch ihre Reaktion auf Schmerzen fällt je nach Stärke des Reizes unterschiedlich aus, es handelt sich also nicht bloß um einen unwillkürlichen Reflex.
In der Regel verkauft der Handel Weinbergschnecken in Europa vorgekocht und tiefgefroren oder in Konserven. In einigen südlichen Ländern wie Griechenland und Italien werden sie jedoch auch lebend in Säcke gefüllt und transportiert. „Dazu machen sich die dortigen Firmen eine besondere Fähigkeit der Tiere zunutze: Sie können sich bei anhaltender Trockenheit im Sommer in eine Trockenstarre versetzen“, so Brakebusch. Wie in der hiesigen Winterstarre ziehen sich Schnecken in ihr Gehäuse zurück und verschließen es, damit sie nicht austrocknen. Darum setzen die Betriebe Schnecken vor dem Verkauf in große Boxen mit trockenen Nudeln. Darin fressen sie sich satt und verdeckeln sich dann, weil ihnen Wasser fehlt. So können sie über mehrere Monate gelagert werden. „Diese Trockenstarre wird allein für den Transport der Tiere ausgelöst. Das ist mit großem Stress für die Schnecken verbunden und zudem sehr belastend, da sich ihr Stoffwechsel komplett umstellen muss.“
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Nicht nur die Lebensmittel-, auch die Kosmetikindustrie nimmt keine Rücksicht auf die Schnecken. Sie hat es seit Jahren auf ihren Schleim abgesehen und verarbeitet meist den der Gefleckten Weinbergschnecke als Zusatz für Cremes und Lotionen. Laut den Firmen trägt er angeblich dazu bei, Falten zu reduzieren oder Hautschäden zu reparieren. Der Schleim der Schnecken kann schnell viel Wasser aufnehmen und gibt es nur langsam ab. „Ob er in Kosmetika bei Menschen aber tatsächlich wirkt wie behauptet, ist umstritten. Für die Tiere ist das Sekret jedoch lebenswichtig. Soviel ist sicher“, sagt Brakebusch. Denn dank ihm trocknen sie nicht aus. Ihre Wunden heilen schneller. Sie können kleine Insekten damit fernhalten und sich leichter fortbewegen. Die Tiere schaffen sich so einen eigenen Untergrund, auf dem sie besser haften. So können sie sich an Wänden festsaugen und problemlos über scharfe Kanten kriechen. „Alles andere als problemlos sind die belastenden und schmerzvollen Methoden, mit denen die Unternehmen den Schleim gewinnen“, erklärt Brakebusch. Manche Firmen schleudern die Tiere lebend in einer Zentrifuge, andere besprühen sie mit Chemikalien oder Salzwasser, damit die Schnecken austrocknen und neuen Schleim produzieren. Genauso gehören Stromschläge mancherorts zum Alltag. „Die meisten Hersteller schweigen über die genauen Abläufe, aber für die Tiere bedeuten alle von ihnen Stresssituationen, allein, weil die Tiere viel Schleim in kurzer Zeit ausscheiden müssen“, so die Expertin. Selbst angeblich sanftere Methoden – einige Firmen fördern die Schleimproduktion nach eigenen Angaben, indem sie die Schnecken mit Pinseln „streicheln“ oder „kitzeln“ – sind belastend. Denn in der Natur werden Schnecken nur vom Boden hochgenommen, wenn andere Tiere sie fressen wollen. „Es gibt bisher keine wissenschaftlich abgesicherte Methode, die es ermöglicht, den Schleim ohne Belastungen für die Schnecke zu gewinnen.“ Kein Tier sollte leiden, weil wir nicht sichtbar altern möchten. Das Leben der Schnecken als sogenannte Nutztiere ist nicht so schön wie die Werbeversprechen der Beautybranche. Im Gegenteil. Setzen wir daher lieber auf vegane Kosmetik sowie pflanzliche Gerichte und erfreuen wir uns beim Spaziergang oder im Garten an den faszinierenden Tieren mit ihren wunderschönen Gehäusen.
Bildrechte: Artikelheader: Pixabay – 995645 (Schnecke); Fotos: Pixabay - Couleur (Starre), Alexa (Schnecken), Stefan Schweihofer (Paarung)