Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Immer mehr Menschen hinterfragen ihre Lebensweise und Konsumgewohnheiten und machen sich Gedanken, wie sie einen Beitrag für eine bessere Welt leisten können. Angesichts des großen Tierleids in der Lebensmittelproduktion, des Klimawandels und der Plastikflut suchen sie nach Alternativen zu herkömmlichen Produkten. So ist neben der veganen Ernährung auch die Zero-Waste-Bewegung längst mehr als ein Trend. Die einen kaufen nur Secondhand oder setzen im Bad auf festes Shampoo, Produkte ohne Mikroplastik und wiederverwendbare Abschminkpads, während die anderen mit nachfüllbaren Coffee-To-Go-Bechern losziehen, in Unverpacktläden einkaufen oder in der Küche nur noch rein pflanzliche und biologisch produzierte Lebensmittel verwenden. Jeder, der sich einmal mit den Themen Nachhaltigkeit, Tier- und Umweltschutz beschäftigt, wird schnell merken, dass es in allen Lebensbereichen Verbesserungspotenzial gibt – auch im Kleiderschrank.
Wer an die Modeindustrie denkt, dem fallen als erstes die unsäglichen Arbeitsbedingungen in den Ländern ein, in denen der größte Teil der Mode für Europa entsteht. Allein sie sind Grund genug, um der konventionellen Billigmode den Rücken zu kehren und dafür auf fair produzierte Kleidung zu setzen. Dabei ist es sinnvoll, dass jeder Einzelne auch überlegt, welche Kleidungsstücke er wirklich braucht. Denn im Durchschnitt kaufen die Deutschen 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr – tragen davon einen Teil aber gar nicht oder nur für einen kurzen Zeitraum. Laut einer repräsentativen Umfrage von Greenpeace wird jedes fünfte Kleidungsstück so gut wie nie getragen, was sich auf eine Milliarde ungenutzter Kleidungsstücke in Deutschlands Kleiderschränken summiert. Eine Idee, die genau bei diesem Problem ansetzt, ist das Konzept der Capsule Wardrobe. Dieses System setzt darauf, die eigene Garderobe auf möglichst wenige Teile zu reduzieren, die sich gleichzeitig so vielfältig wie möglich kombinieren lassen. Farben und Muster, die gut zusammenpassen, und Stoffe und Schnitte, die sich sowohl für den Alltag als auch für besondere Anlässe eignen, sind hier das Geheimnis. Wer insgesamt weniger Kleidungsstücke kauft, kann gleichzeitig etwas mehr für nachhaltigere Produkte ausgeben. Im Idealfall sind diese nicht nur langlebiger und hochwertiger, sondern auch von Herstellern produziert, die ökologisch und ressourcensparend wirtschaften, faire Löhne zahlen und lange Transportwege vermeiden.
Neben den Arbeitsbedingungen und Produktionsprozessen ist es wichtig, auch die Materialien der Kleidungstücke genau unter die Lupe zu nehmen. Denn der Handel mit tierischen Rohstoffen für die Modeindustrie ist bis heute ein lukratives Geschäft. Über 110 Millionen Felle von Pelztieren wie Nerz, Fuchs, Marderhund, Kaninchen und Chinchilla kommen jährlich in den weltweiten Handel. Auch wenn immer mehr Unternehmen auf Pelz verzichten, leiden und sterben jährlich immer noch mehrere Millionen Tiere für die Modeindustrie. Auch Leder ist nicht, wie viele Menschen denken, einfach nur ein Nebenprodukt der Fleischproduktion – abgesehen davon, dass die industrielle Tierhaltung allein schon unsägliches Leid verursacht. Egal, ob Rinder oder Exoten wie Reptilien – Schätzungen zufolge dienen 40 Prozent der weltweiten Schlachtungen ausschließlich der Lederproduktion. Neben China produzieren vor allem Bangladesch und Indien unzählige Quadratmeter. Der Großteil der Tiere lebt dafür unter tierschutzwidrigen Bedingungen und muss sehr qualvoll sterben. Auch die Tiere, die nicht unmittelbar getötet werden – zum Beispiel Kaschmirziegen, Alpakas oder Gänse, die Wolle und Daunen liefern – werden Fell und Federn oft auf quälerische Art und Weise beraubt. Um möglichst viel Profit zu machen oder vermeintlich gute Ware anbieten zu können, dreht sich im Produktionsprozess meist alles um das Endprodukt und nicht um die Gesundheit oder das Wohlergehen der Tiere.
Und genau hier kommen die pflanzlichen Alternativen ins Spiel, die sich insgesamt gesehen noch in einer Nische befinden, den Markt aber dennoch stetig erobern. Taschen und Schuhe aus Kork oder Ananasleder haben es zum Beispiel längst in die Kleiderschränke der Konsumenten geschafft. Kork wird aus der Rinde der Korkeiche hergestellt und ist damit ein nachwachsender und natürlicher Rohstoff, der sich aufgrund seiner Eigenschaften wunderbar für den Ersatz von tierischem Leder eignet. Der weltweit größte Korkproduzent ist Portugal. Montados nennen die Portugiesen die uralten Landschaften der Korkeichen, die zu den biologisch reichsten Biotopen der Welt gehören. Das Besondere an der Korkeiche: Sie ist der einzige Baum, der durch das Schälen seiner Rinde keinen Schaden nimmt. So können die Bauern die Bäume, die bis zu 250 Jahre alt werden können, alle acht bis zwölf Jahre schälen und so das besonders widerstandsfähige, wasserabweisende und hitzebeständige Material gewinnen, ohne dass die Bäume dafür gefällt werden müssen. Darüber hinaus haben zahlreiche Korkproduzenten Zertifizierungspläne und Methoden entwickelt, mit denen die Wälder verantwortungsvoll bewirtschaftet werden können. Schließlich dienen sie nicht nur bedrohten Tierarten wie dem Iberischen Luchs, dem Spanischen Kaiseradler oder dem Mönchsgeier als Rückzugsgebiet, sondern sind auch die Heimat von zahlreichen weiteren Tier- und Pflanzenarten. Neben Taschen, Rucksäcken und Schuhen sind Yoga-Matten, Schmuck und Portemonnaies aus Kork im Handel erhältlich.
Für die Schuhe, Taschen und Rucksäcke aus Ananasleder, die ebenfalls über verschiedene Anbieter im Internet erhältlich sind, machen sich die Hersteller die Blätter der Ananaspflanzen zunutze, die bei der Ernte der Früchte anfallen und normalerweise weggeworfen werden – ein weiterer sehr nachhaltiger Ansatz. Oft kombinieren die Designer auch Kork und Ananasleder, was die Produkte durch den Materialmix besonders spannend macht. Über die Ananasblätter hinaus liegt in vermeintlichen Abfällen der Lebensmittelindustrie generell sehr großes Potenzial. So gibt es inzwischen Firmen, die Leder aus den Fasern und Blättern der Bananenstaude herstellen oder aus den Resten der Weintrauben und Äpfel, die bei der Wein- beziehungsweise Saftherstellung anfallen. Eine weitere aufstrebende Lederalternative, die schon bei den ersten großen Marken Verwendung findet, wird aus Pilzen gewonnen. Auch aus diesem Material werden Schuhe, Handtaschen und Portemonnaies hergestellt. Wie lang die Liste der pflanzlichen Alternativen ist, zeigt auch das nächste Beispiel. So hat sich ein Unternehmen in Mexiko für Kaktus als Ressource entschieden, da die Pflanze so gut wie kein Wasser benötigt, um zu wachsen, und vor Ort in großer Menge vorhanden ist. Dieses Material hat es bereits in die Haute Couture geschafft. Im Gegensatz zu der Entwicklung von veganen Lederalternativen steckt die von tierleidfreier Seide noch in den Kinderschuhen. Doch auch hier gibt es bereits vielversprechende Ansätze, vegane Seide aus den Produktionsrückständen der Verarbeitung von Sojabohnen oder aus Fasern der Lotuspflanze herzustellen. Mit den weichen Fasern des Kapokbaumes steht zudem eine pflanzliche Alternative für Daunen zur Verfügung, die bereits von mehreren bekannten nachhaltigen Modemarken verwendet wird. Der Erfindergeist der jungen Start-ups und Designer scheint endlos zu sein und sie werden in den nächsten Jahren sicher noch einiges auf die Beine stellen, um den Modemarkt zu revolutionieren und so in eine hoffentlich tierleidfreie und nachhaltigere Zukunft zu führen. Ein Blick auf die alternativen Kollektionen lohnt sich schon jetzt allemal.
Bildrechte: Artikelheader: Pixabay – Free Photos (Schaufenster); Foto: AdobeStock – Vlasto Opatovsky (Frau); Illustrationen: between (Korkeiche, Kaktus)