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Zweinutzungshühner statt Hochleistungszuchten

Eine Branche muss umdenken

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Zweinutzungshühner statt Hochleistungszuchten

Eine Branche muss umdenken

Masthühner sind zu schwer für ihre eigenen Knochen. Legehennen legen so viele Eier, dass ihnen Kalzium für die Knochen fehlt. Und ihre männlichen Küken werden zwar nicht mehr vergast, doch auch die Alternativen sind tierschutzwidrig. Das ist grausame Realität in der Geflügelindustrie. Ein Umdenken in der Hühnerzucht muss her – hin zu robusteren und gesünderen Rassen, den sogenannten Zweinutzungshühnern.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Harte Arbeit wird belohnt, so heißt es. Vielerorts gehört es zum ungesunden Weltbild, rund um die Uhr im Einsatz und erreichbar sein zu müssen. Zahlreiche Menschen sind gezwungen, sich in Nachtschichten oder gleich mehreren Jobs abzurackern, um über die Runden zu kommen. Spezialist*innen gehören zu den gefragtesten Arbeitskräften. Aber auch Allrounder sind in vielen Branchen begehrt, bringen sie doch gebündeltes Wissen mit und sind vielseitig einsetzbar. Die Haltung von Hühnern in der Landwirtschaft ist ein Abbild dieses Gesellschaftsmodells. Hier zählen einzig und allein Ergebnisse, Profit und Leistung, Leistung, Leistung. Tiere, die der Industrie keinen Gewinn mehr erwirtschaften, werden üblicherweise aussortiert, sprich getötet und entsorgt. Diese Industrie ist es auch, die die Tiere ohne Rücksicht auf Verluste zu spezialisierten „Hochleistungsmaschinen“ heranzüchtet – als Legehennen oder Masthühner. Allrounder sind hier jedoch überhaupt nicht gefragt. Um aus diesem tierquälerischen System auszubrechen, muss ein Umdenken in der Hühnerzucht und -industrie passieren – hin zu den sogenannten Zweinutzungshühnern.

Überzüchtete Masthühner und Legehennen leiden tagtäglich

„Bisher ist es das oberste Ziel der Tierzucht, die Gewinne zu maximieren. Bei Hühnern konnten die Zuchtunternehmen extreme Leistungen erreichen, indem sie sich bei der Zucht auf jeweils nur ein Merkmal konzentriert haben – entweder den Fleischansatz oder die Eierproduktion“, erklärt Annika Lange, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Das Ergebnis zeigt sich in der industriellen Landwirtschaft. Masthühner erreichen ihr Schlachtgewicht in nur sechs Wochen. Sie wiegen mehr als das Fünffache einer Legehenne im gleichen Alter. „Die Tiere sind so einseitig überzüchtet, dass die Knochen und Organe gar nicht so schnell wachsen können, wie sie Gewicht zulegen. Bis zu 50 Prozent leiden unter Knochen- und Gelenkproblemen. Und viele kämpfen mit schmerzhaften Lahmheiten.“

Anders als Masthühner setzen Legehennen wenig Fleisch an, legen aber etwa 300 Eier pro Jahr – mehr als das Fünffache ihrer Vorfahren.

„Das sind mehr als zweifelhafte Höchstleistungen. Als Folge leiden sie oftmals an schmerzhaften Eileiterentzündungen und Osteoporose, die zu qualvollen Knochenbrüchen führt“, schildert Lange.

Ende des Kükentötens beendet Tierschutzprobleme nicht

An den gravierenden Tierschutzproblemen um das System der Legehennenhaltung hat auch das Ende des Kükentötens nichts geändert. Noch bis 2022 wurden männliche Küken am Tag des Schlüpfens vergast. Denn sie wachsen zuchtbedingt langsamer und setzen zu wenig Fleisch an, um profitabel zu sein. Das Kükentöten ist mittlerweile verboten. Doch die dramatischen Auswüchse der Hochleistungszucht bleiben. Und die Alternativen, die die Industrie anwendet – sie zieht die Bruderhähne auf oder bestimmt das Geschlecht im Ei – sind ebenfalls oft tierschutzwidrig. Es gibt bisher keine speziellen Regelungen oder Mindeststandards für die Aufzucht, Haltung und Schlachtung der Bruderhähne. „Darum ist nicht auszuschließen, dass die Tiere dicht gedrängt in großen Beständen ohne Tageslicht, Beschäftigungsmaterial und Sitzstangen aufgezogen werden und lange Transporte ins Ausland über sich ergehen lassen müssen“, erklärt Lange.

Selbst bei der Produktion von Bio-Eiern ist es nicht bei allen Verbänden verboten, die Bruderhähne in eine Aufzucht unter konventionellen Bedingungen abzugeben und sie dafür ins Ausland zu bringen.

Andere Brütereien bestimmen das Geschlecht der Embryonen im Ei, um die männlichen auszusortieren. Damit werden 50 Prozent der Nachkommen „entsorgt“, bevor sie schlüpfen können. Und auch den Legehennen, die weiterhin unter ihrer enormen Legeleistung leiden, ist nicht geholfen.

Männliche Küken sind nicht mehr „wertlos“

Aus Tierschutzsicht muss sich die Geflügelindustrie grundlegend neu aufstellen. „Wir müssen weg von den immer extremeren Leistungen auf Kosten der Tiere“, erläutert Lange. Eine Lösung, damit es in der Fleisch- und Eierproduktion tiergerechter zugehen kann, sind Zweinutzungshühner. Das sind Hühnerrassen, die die Landwirtschaft sowohl zur Eier- als auch zur Fleischproduktion halten kann. Bevor die Branche in den 1950er-Jahren damit begonnen hatte, Bauernhöfe zu vergrößern, zu industrialisieren und über die Jahrzehnte immer weiter wirtschaftlich zu optimieren, war die Haltung dieser Hühner über Jahrtausende üblich. „Die Tiere legen weniger, teilweise kleinere Eier und setzen langsamer Fleisch an als die einseitig hochgezüchteten Artgenossen, sie sind dafür jedoch robuster und gesünder und kommen sehr gut mit regionalem Futter zurecht“, berichtet Lange. Ein weiterer wesentlicher Vorteil: Das Problem der aus ökonomischer Sicht „wertlosen“ männlichen Legehennenküken entsteht nicht, wenn sie auch für die Mast geeignet sind. Der Begriff Zweinutzungshuhn ist nicht geschützt. Daher gibt es keine Definitionen, wie viele Eier sie legen, wie viel sie täglich zunehmen oder welches Gewicht sie in einem bestimmten Zeitraum erreichen müssen, um offiziell für beide Nutzungsformen geeignet zu sein. „Dass Tiere überhaupt in solche Maßeinheiten eingeteilt werden, zeigt die Perversion des Systems, in dem das Schicksal einzelner Tiere keine Rolle spielt.“

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Nachfrage noch schwach, aber ansteigend

Mehrere hierzulande etablierte Zuchtunternehmen haben mittlerweile Zweinutzungshühner im Angebot. Unter anderem beschreiben sie diese für die profitorientierte Branche jedoch wenig ansprechend mit „moderaten Legeleistungen bei geringer Eigröße“ und „akzeptablen Wachstumsleistungen mit einer verlängerten Mastdauer“. Sie werben aber auch für „äußerst ruhige und ausgeglichene Tiere“ und damit, dass „der Hahn aufgezogen und geschlachtet werden kann“. Die Nachfrage nach dem bisherigen „Nischenprodukt“ Zweinutzungshuhn ist entsprechend schwach, aber immerhin ansteigend. Unternehmen, die umstellen, leisten nicht nur einen Beitragzu mehr Tierschutz und können die Hähne wirtschaftlich nutzen. „Sie vermeiden auch Krankheiten, die durch die Hochleistungszucht entstehen. Es geht ihren Tieren besser und die Verluste für sie sind geringer“, sagt Lange.

Politik, Industrie und jede*r Einzelne sind gefragt

Damit die Haltung und die Produkte von Zweinutzungshühnern ihren Weg aus der Nische finden und diese Form der Landwirtschaft großflächig gängige Praxis werden kann, sind auch die Verbraucher*innen gefragt. „Wer Eier kaufen möchte, sollte seine Erwartungen ein wenig anpassen. Denn unzählige Eier und riesige Mengen an Brustfleisch zum kleinen Preis müssen der Vergangenheit angehören“, sagt Lange. Wenn Betriebe ihren Tieren eine bessere Umgebung schaffen oder Rassen halten, die als Lege- und Masttier gegenüber hochgezüchteten Exemplaren weniger Profit versprechen, „müssen immer mehr Menschen verstehen, wie wichtig es ist, dafür etwas mehr zu bezahlen.“ Der Deutsche Tierschutzbund fordert aber auch die Industrie und die Politik auf, endlich umzudenken. Es ist an der Zeit, dass sich die Landwirtschaft offen für neue Ansätze zeigt und auf den Wechsel zum ganzheitlichen System hinarbeitet. Dabei braucht sie auch Unterstützung aus Berlin. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat in der Vergangenheit Fördermittel für die Verwendung von Zweinutzungshühnern bereitgestellt. „Daran gilt es anzuknüpfen, die Förderung von Forschungsprojekten zu diesem Thema auszubauen und die landwirtschaftlichen Unternehmen bei der Umstellung stärker zu unterstützen“, fordert Lange. Um das millionenfache Tierleid endlich zu beenden, braucht es ein grundlegendes Umdenken.

Bildrechte: Artikelheader: Terra Naturkost – Lukas Freitag (Hühner); Foto: Terra Naturkost – Lukas Freitag (Hühner)