Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Die Zucht von Zootieren besser kontrollieren, ihr Erbgut erhalten und zum Schutz bedrohter Tierarten beitragen – diesen Zielen haben sich die Zoos und Aquarien verschrieben, die dem europäischen Dachverband angeschlossen sind, der „European Association of Zoos and Aquaria“ (EAZA). Mit mehr als 300 Zoos, Aquarien und Zooverbänden aus 45 Ländern in Europa und dem Nahen Osten ist es zugleich eine der größten Zoovereinigungen der Welt. Für die Zucht müssen die Einrichtungen der EAZA gewisse Richtlinien einhalten, die über das 1985 ins Leben gerufene Europäische Erhaltungszuchtprogramm, heute „EAZA Ex situ Programme (EEP)“, oder über das als weniger streng geltende Europäische Zuchtbuch (ESB) geregelt sind. So wird die Zucht von Tieren wie Säugetieren, Vögeln, Amphibien sowie Reptilien, Fischen und Wirbellosen derzeit mit mehr als 330 Europäischen Erhaltungszuchtprogrammen und weiteren 113 Zuchtbüchern gesteuert.
Während zahlreiche europäische Zoos bis in die 1970er Jahre ihre Tiere aus der freien Natur einfingen und somit ihrem natürlichen Lebensraum entrissen, handelt es sich bei den meisten Zootieren heute um deren gezüchtete Nachkommen. Ihre Zucht und Verteilung sollen die Tierparks über das EEP und das ESB koordinieren: Innerhalb des EAZA-Netzwerkes tauschen sich die Mitgliedseinrichtungen aus und vermitteln Tiere untereinander. Für die verschiedenen Tierarten gibt es Programm-Koordinator*innen, die Daten über die Bestände in den EAZA-Einrichtungen sammeln und diese abgleichen. Anhand derer geben sie gemeinsam mit einem Komitee verbindliche Zuchtempfehlungen an die teilnehmenden Einrichtungen ab. Im Vergleich dazu sind die Zucht- und Transferempfehlungen des ESB nicht bindend. Zwar erwartet die EAZA, dass die Einrichtungen, die an dem ESB teilnehmen, diese befolgen. Die letzte Entscheidung treffen jedoch die Tierparks in diesem Fall selbst.
„Mithilfe der Zuchtprogramme sieht die EAZA unter anderem vor, eine möglichst hohe genetische Vielfalt zu erhalten, Inzucht zu vermeiden und für eine gesunde und stabile Population der verschiedenen Tierarten innerhalb der EAZA und darüber hinaus zu sorgen“, erläutert Denise Ritter, Referentin für Wildtiere beim Deutschen Tierschutzbund. Die Zoos sollen daher Jungtiere, aber auch ältere Tiere so verteilen, dass sich möglichst nur Paare fortpflanzen, die nicht miteinander verwandt sind. Und anstatt wie früher üblich Tiere aus der Wildnis einzufangen, sollen die Zoos mithilfe der Zuchtprogramme einen von der Natur unabhängigen Bestand aufrechterhalten. Doch nicht selten sieht die Realität anders aus: „Auch wenn die Einrichtungen Wildfänge grundsätzlich vermeiden sollen, schließt die EAZA sie noch nicht gänzlich aus“, kritisiert Ritter. „Unter anderem kommt es bei verschiedenen Fischarten vor, dass die Zucht nicht wie geplant klappt – dann greifen manche Aquarien auch auf Wildfänge zurück.“
Auch unabhängig von solchen Wildfängen tragen Tierparks mit ihrer Zucht äußerst wenig zum Schutz bedrohter Tierarten bei. Denn bei den meisten Tierarten ist ohnehin keine Auswilderung vorgesehen – viele Säugetiere werden zum Beispiel nicht ausgewildert, weil sie sich in der freien Natur nicht zurechtfinden könnten. Tierparks müssten sie dafür mit viel Aufwand von Geburt an auf eine Auswilderung vorbereiten, unter anderem mit Gehegen in ihrem natürlichen Lebensraum.
Aus Tierschutzsicht gibt es noch weitere Kritikpunkte an den Erhaltungszuchtprogrammen der EAZA. „Die Betreiber*innen leihen ihre Tiere für die Zucht an andere Zoos aus oder geben sie dauerhaft an eine andere Einrichtung ab – für die Tiere ist das mit großem Stress verbunden, da sie lange Transportwege zurücklegen müssen und dann in eine für sie neue, unbekannte Gruppe integriert werden. Es kann vorkommen, dass die Tiere die Neuankömmlinge nicht sofort akzeptieren oder sie sich überhaupt nicht vertragen“, sagt Ritter. Außerdem lasse sich das Ziel, eine genetische Vielfalt zu erhalten, nur bedingt umsetzen, so die Expertin. „Die Zahl der Tiere, die auf europäischer Ebene innerhalb der Zuchtprogramme verpaart werden, ist teils recht gering. Deshalb ist der Genpool einiger Tierarten bald ‚ausgeschöpft‘ – die wenigen Zuchtpaare sind zu nah miteinander verwandt, sodass Inzucht und daraus resultierende Erbkrankheiten nicht unwahrscheinlich sind.“ Wie nachhaltig die Zuchtprogramme der EAZA-Einrichtungen tatsächlich sind, lässt sich nicht sagen. Denn dazu gibt es keine veröffentlichten Daten. Dafür ist ein anderes internationales Beispiel umso vielsagender: Verschiedene Untersuchungen haben sich mit dem Zuchterfolg der vorwiegend nicht-europäischen Zoos, die der Association of Zoos and Aquariums (AZA) angehören, befasst. Diese ergaben, dass jährlich lediglich etwa 25 Prozent des AZA-Managements von Tierarten bei der Zucht erfolgreich waren und sich somit als nachhaltig erwiesen haben.
– Denise Ritter
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Um wirklich erfolgreich zum Erhalt der Tierarten beizutragen und ihnen zu helfen, ist es aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes grundsätzlich am besten, Projekte zu unterstützen, die zusätzlich den Lebensraumerhalt oder Artenschutz in der Natur zum Ziel haben. Nur dann wären etwaige Auswilderungen von Wildtieren überhaupt möglich. Voraussetzung wäre dann immer noch, dass sich die Tiere im natürlichen Lebensraum zurechtfinden können. Das ist bei Wirbellosen, Amphibien sowie einigen heimischen Säugetierarten wie Feldhamstern allerdings deutlich einfacher als bei Tigern, Primaten oder Eisbären. So könnten Tierparks deutlich mehr bewirken. Denn der direkte Schutz des ursprünglichen Lebensraums der Tiere ist der einzige langfristige Weg, um bedrohte Tierarten zu schützen.
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