Aus dem Print-Magazin
Novellierung des Tierschutzgesetzes

Nicht länger warten

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Novellierung des Tierschutzgesetzes

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Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erarbeitet zurzeit einen Entwurf zur Novellierung des Tierschutzgesetzes. Der Deutsche Tierschutzbund appelliert an die Politik, diese besondere Chance zu ergreifen und versäumte Verbesserungen für den Tierschutz in Deutschland zu beschließen.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Es ist die Chance, die Situation von Millionen Tieren flächendeckend zu verbessern – für den Tierschutz ein ganz wichtiger Moment, wie er nur alle paar Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte vorkommt. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erarbeitet zurzeit einen Referent*innenentwurf für ein neues Tierschutzgesetz – die Vorlage soll voraussichtlich noch in diesem Jahr (Redaktionsschluss: 25. August 2023) im Bundestag eingebracht werden. Nachdem das Gesetz vor mehr als 50 Jahren in Kraft trat, wurde es zuletzt vor zehn Jahren reformiert. Trotz des Grundsatzes, dass niemand „einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen“ darf, lässt die Politik bis heute große Missstände zu: Ob in der Landwirtschaft, in der Wissenschaft, in Zirkussen oder im Heimtierbereich.

Eine Kuh schaut aus einem Tiertransporter. Zu sehen ist nur der schwarz-weiße Kopf des Tieres, das eine gefleckte Nase hat und Ohrmarken trägt.

Tiertransporte in Drittstaaten gehören aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes komplett verboten.

Wirtschaftliche Interessen legitimieren kein Tierleid

Doch nun plant die Bundesregierung offenbar, ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und eine durchgreifende Novellierung des Tierschutzgesetzes vorzunehmen. „Die Bundesregierung ist in der Pflicht, die überfälligen Reformen endlich anzugehen und dem Tierschutz den Stellenwert beizumessen, der ihm laut Grundgesetz als Staatsziel zukommt“, mahnt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Denn im Kern ist das Tierschutzgesetz noch ein reines Tiernutzgesetz.“ Allerdings dämpfen Medienberichte über erste Inhalte des Gesetzesentwurfs die Hoffnung bereits. Demnach wurde eine zunächst darin enthaltene Passage wieder gestrichen: Diese hatte erstmals festgehalten, dass wirtschaftliches Interesse keinen vernünftigen Grund für eine Beeinträchtigung von Leben und Wohlbefinden eines Tieres darstellt. Dabei hätte der Satz nur ins Gesetz aufgenommen, was spätestens seit 2019 geltendes Recht ist: Das Bundesverwaltungsgericht urteilte damals zur Praxis der Tötung männlicher Küken, dass rein ökonomische Gründe grundsätzlich nicht als vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes ausreichen. Nun aber hält die Ampelkoalition offenbar weiterhin an einem kaputten System fest, wie Schröder scharf kritisiert: „Der durchaus vorhandene gute Wille im BMEL, die Lebensbedingungen für Tiere in der Landwirtschaft zu verbessern, wird regelmäßig durch den Zangengriff von wirtschaftlichen Lobbyinteressen und deren politischen Repräsentant*innen abgewürgt. Eine Koalition erzwingt Kompromisse. Aber wenn die regelmäßig zu Lasten des Tierschutzes gehen, dann ist das nicht akzeptabel.“ Der Deutsche Tierschutzbund appelliert daher an das BMEL, die Definition des „vernünftigen Grundes“ noch einmal zu überarbeiten – denn wirtschaftliche Interessen legitimieren kein Tierleid.

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Systemwechsel in der Landwirtschaft

Generell ist im Bereich Landwirtschaft ein Systemwechsel unumgänglich, um all den Missständen im Umgang mit sogenannten Nutztieren ein Ende zu bereiten. Der Deutsche Tierschutzbund fordert deshalb eine nachhaltige Strategie hin zu mehr Tierschutz – etwa über den Abbau der Tierbestände und eine Dezentralisierung der Landwirtschaft: Aufzucht, Haltung und Schlachtung sollten möglichst nah beieinander erfolgen, um Tiertransporte zu vermeiden. Tiertransporte in Drittstaaten gehören aus Sicht des Verbandes ohnehin komplett verboten. Ebenso wichtig ist ein Verbot nicht-kurativer Eingriffe – denn noch immer ist es üblich, vorsorglich die Ringelschwänze von Ferkeln, die Schnabelspitzen von Puten und die Hörner von Rindern zu amputieren. Erforderlich ist aus Tierschutzsicht zudem ein vollständiges Verbot der Anbindehaltung. Auch wenn es Betriebe gibt, die ihren Rindern im Sommer Zugang auf eine Weide gewähren, werden die Tiere mindestens für die Hälfte des Jahres in ihren Bedürfnissen extrem eingeschränkt – permanent an einem Platz angebunden, können sie sich kaum bewegen. Ähnlich ergeht es Millionen Sauen, die mehrere Monate im Jahr in engen Käfigen, sogenannten Kastenständen, fixiert werden. Infolgedessen entwickeln sie nicht nur Verhaltensstörungen, durch das dauerhafte beengte Liegen leiden sie auch unter schmerzhaften Entzündungen und anderen Erkrankungen. Diese Haltungsmethode soll verhindern, dass die Muttertiere ihre Ferkel erdrücken. Hätten die Schweine jedoch ausreichend Platz in ihren Buchten, würde es gar nicht erst dazu kommen. Der Deutsche Tierschutzbund fordert daher auch ein ausnahmsloses Verbot dieser Praxis. Darüber hinaus legen diverse Skandale seit Jahren offen, dass es bei der Schlachtung ebenfalls immer wieder zu Tierquälereien kommt – eine Videoüberwachung aller Schlachthöfe mit verpflichtenden Überprüfungen, eine Zulassungspflicht für Betäubungsanlagen, bessere Schulungen des Personals einschließlich der amtlichen Tierärztinnen und Tierärzte sowie strenge Strafen bei Verstößen sind somit weitere Punkte, die die Politik dringend in der Gesetzesnovelle berücksichtigen muss.

Heimtiere schützen, Tierheime entlasten

Akuter Handlungsbedarf besteht derweil auch in zahlreichen anderen Bereichen, etwa beim Thema Heimtiere. Eine Kernforderung des Deutschen Tierschutzbundes ist zum Beispiel die Erweiterung des im Tierschutzgesetz enthaltenen „Qualzuchtparagrafen“ (11b). Das bereits bestehende Verbot sollte die Qualzuchtmerkmale aller Tierarten konkreter benennen. Zudem ist es wichtig, dass der Paragraf ein Verbot der Haltung – mit Ausnahmen für Tierschutzvereine –, des Imports, des Verkaufs von und der Werbung mit Qualzuchten wie Mops, Schottische Faltohrkatze und Co. berücksichtigt – also Tiere, die durch die Zucht unter erheblichen gesundheitlichen Beschwerden leiden. Um Heimtiere generell besser zu schützen, ist auch eine Heimtierschutzverordnung nötig, die konkrete Vorgaben zur Haltung verschiedener Tierarten enthält, darunter eine bundeseinheitliche Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Hunde und Katzen. Sind sie mit einem Mikrochip gekennzeichnet und bei einem Haustierregister wie FINDEFIX, dem Haustierregister des Deutschen Tierschutzbundes, registriert, lassen sich verloren gegangene Tiere identifizieren und zuordnen, wenn sie gefunden werden. Auch der illegale Welpenhandel ließe sich durch solch eine Pflicht eindämmen. Dazu beitragen würde außerdem eine strenge Regulierung des Online-Handels mit Tieren. Denn gerade im Internet floriert das dubiose Geschäft mit Hunden, Katzen und Co. Das Inserieren von Tieren darf nur für Tierheime möglich sein, die ihre tierischen Bewohner auf seriösen Webseiten vorstellen und sie vor Ort persönlich vermitteln. Es ist außerdem wichtig, dass die Heimtierschutzverordnung eine Verpflichtung zu einem Sachkundenachweis für Halter*innen aufnimmt sowie eine bundesweite Kastrationspflicht für alle Freigängerkatzen. Diese würde auch das große Leid der hierzulande lebenden Straßenkatzen reduzieren. Zusätzlich sollte mit der Gesetzesnovelle eine Positivliste für Tiere, die als Heimtiere gehalten werden dürfen, eingeführt werden. All diese Maßnahmen würden auch den in Not geratenen Tierheimen enorm helfen. Damit der karitative Tierschutz auch finanziell entlastet wird, muss der Bund zudem Mittel für eine Verbrauchsstiftung bereitstellen, wie im Koalitionsvertrag der Ampelparteien versprochen. So könnten Tierheime ihre Räumlichkeiten energetisch optimieren und Quarantäne- und Krankenstationen ausbauen.

Ein weißes Kaninchen sitzt auf einem weißen Tisch. Eine Person im Laborkittel hält es mit Schutzhandschuhen am Nacken fest.

Auch für wissenschaftliche Zwecke leiden und sterben hierzulande Millionen Kaninchen, Ratten und andere Tiere.

Handlungsbedarf auch bei Tierversuchen und Wildtieren

In der Pflicht sieht der Deutsche Tierschutzbund die Bundesregierung auch, wenn es um Tierversuche und Wildtiere geht. Eine Strategie zum Ausstieg aus Tierversuchen ist ebenso überfällig wie ein Wildtierverbot für Zirkusse. Jährlich leiden und sterben für wissenschaftliche Zwecke Millionen Mäuse, Ratten, Kaninchen und andere Tiere durch Methoden, die sowohl ethisch als auch wissenschaftlich völlig überholt sind – schließlich gibt es inzwischen zahlreiche moderne, tierversuchsfreie Methoden, denen eine deutlich höhere Förderung zukommen muss. Nicht zuletzt schreibt die EU-Tierversuchsrichtlinie vor, dass Tierversuche ersetzt werden müssen, sobald dies wissenschaftlich möglich ist. Im EU-weiten Vergleich hinkt Deutschland auch beim Thema Zirkus weit hinterher: Während die anderen EU-Länder die Wildtierhaltung in Zirkussen verboten oder eingeschränkt haben, bildet Deutschland das traurige Schlusslicht. Um all diesen Missständen endlich ein Ende zu bereiten, hat der Deutsche Tierschutzbund gemeinsam mit dem Bündnis Tierschutzpolitik bereits die Agrar- und Tierschutzminister*innen der Bundesländer angeschrieben und ihnen seine Kernforderungen übermittelt. Zudem plant das BMEL eine Verbändeanhörung, bei der der Deutsche Tierschutzbund die Dringlichkeit dieser Maßnahmen ebenfalls hervorheben wird. „Es ist eine historische Chance“, so Schröder. „Jetzt wird sich zeigen, ob der Politik wirklich daran gelegen ist, bundesweit für grundlegend mehr Tierschutz zu sorgen.“

Aktiv werden

  • Auch Sie können helfen: Schreiben Sie Ihren Bundestagsabgeordneten im Wahlkreis und fordern Sie sie auf, sich für eine Novellierung des Tierschutzgesetzes einzusetzen, die dem Staatsziel Tierschutz gerecht wird.
  • Mit seiner Kampagne „Jetzt mehr Tierschutz!“ informiert der Deutsche Tierschutzbund über den aktuellen Stand der Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung.
    jetzt-mehr-tierschutz.de

Bildrechte: Artikelheader: stock.adobe.com – SGr (Tiger); Fotos: stock.adobe.com – Elnur (Kaninchen), vadish (Kuh)