Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
„Elvis ist tot.“ Als diese Meldung im August 1977 um die Welt ging, stürzte sie Millionen Fans des „King of Rock ’n‘ Roll“ in tiefe Trauer. Der Tod des kleinen Elvis im Tierheim Süderstraße des Hamburger Tierschutzvereins von 1841 (HTV) hat es nicht in die Weltpresse geschafft. Und doch traf er die Beteiligten bis ins Mark. „Als Elvis in unserem Tierheim ankam, machte er zunächst einen fitten Eindruck. Niemand ahnte, dass der kleine Hund schon bald um sein Leben kämpfen würde“, berichtet Nicole Hartmann, Tierschutzberaterin beim HTV. Der Mitgliedsverein des Deutschen Tierschutzbundes hatte in einer dubiosen Online-Anzeige den „Havaneser Jack Russel Mix Welpen“ entdeckt und einen Fall von illegalem Welpenhandel vermutet. Daraufhin kontaktierte der HTV die Verkäufer*innen verdeckt, vereinbarte eine Übergabe und schaltete die Polizei ein. „Obwohl sein Fell kotverschmiert, er verfloht und die Augen entzündet waren, war er munter. Relativ schnell stellten wir einen massiven Wurmbefall bei Elvis fest, und die notwendige Entwurmung setzte seinem kleinen Körper doch sehr zu.“ Das schätzungsweise fünf bis sechs Wochen alte Jungtier – das so jung gar nicht hätte gehandelt werden dürfen und laut Anzeige 13 Wochen alt und geimpft sein sollte – fraß nur noch wenig. Trotz Dauerpflege, Wärmebettchen und Medikamenten verschlechterte sich sein Zustand. Sein kleines Herz hörte auf zu schlagen. „Elvis war ein absoluter Kämpfer und hat uns damit alle tief berührt“, schildert Hartmann.
Elvis ist ein tragisches, aber typisches Opfer des illegalen Welpenhandels, bei dem profitorientierte Händler*innen Tiere meist schon vor der 16. Lebenswoche verkaufen und bei Zucht und Transport kaum Rücksicht auf tierärztliche Versorgung, Leiden oder Schäden der Welpen und Elterntiere nehmen. Impfungen, korrekte Papiere oder die Kennzeichnung und Registrierung der Tiere? Meistens nicht vorhanden oder gefälscht. Im Jahr 2022 hat der Deutsche Tierschutzbund bundesweit 292 Fälle von illegalem Handel mit insgesamt mindestens 1.230 betroffenen Katzen, Hunden und anderen Tierarten dokumentiert. Fast alle wurden beschlagnahmt. Nach einem traurigen Rekord in 2021 sind die Zahlen nur geringfügig zurückgegangen. Sie bleiben besorgniserregend hoch und die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. „Das ist die Spitze des Eisbergs, nur ein Bruchteil der illegalen Transporte wird aufgedeckt“, sagt Dr. Romy Zeller, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund. Unter den im vorigen Jahr illegal gehandelten Tieren befanden sich unter anderem 96 Katzen und sogar ein Nasenbär sowie ein Puma. Mit 1.027 Hunden gehören die „besten Freunde des Menschen“ jedoch eindeutig zu den häufigsten Opfern. „Besonders die große Nachfrage nach Rassehunden bedeutet für die organisierten Banden ein lohnendes Geschäft. 2022 waren Zwergspitze, Malteser und Französische Bulldoggen sehr oft betroffen.“
Wie fast alles im digitalen Zeitalter werden auch Tiere immer häufiger online auf diversen Plattformen angeboten. „Dort finden illegale Händler*innen ideale Möglichkeiten, um Tiere schnell und anonym zu verkaufen, ohne dass sich deren Herkunft zurückverfolgen lässt“, berichtet Zeller. Sie verweist auf eine Analyse von Online-Suchmaschinen, laut der in Deutschland monatlich über einhunderttausendmal nach „Hund kaufen” und über achtzigtausendmal nach „Katze kaufen“ gesucht wird. Diese alarmierenden Zahlen resultieren oft in Spontankäufen und saftigen Gewinnen für die Anbieter*innen. Darum recherchiert auch die Tierschutzberatung des HTV, wie viele andere Mitgliedsvereine des Deutschen Tierschutzbundes, regelmäßig nach Anzeigen, um zumindest einigen von ihnen das Handwerk zu legen und Tiere zu retten. „Der Onlinehandel war immer präsent, aber seit Corona ist er regelrecht explodiert“, so Hartmann.
„Es ist online sehr einfach, Tiere spontan zu kaufen. Doch den Halter*innen ist oft nicht bewusst, was sie erwartet und was die Tiere und ihre Eltern zuvor durchmachen“, erklärt Zeller. Denn die meisten illegal gehandelten Hunde stammen aus Welpenfabriken in Osteuropa. Im vorigen Jahr kamen die beschlagnahmten Tiere vor allem aus Rumänien, Bulgarien, Polen und Ungarn. Dort müssen die Mütter und Väter der Welpen, die laut den Inseraten mit im familiären Umfeld leben, in kleinen, schmutzigen Verschlägen vor sich hinvegetieren – in ihrem Kot und Urin, häufig ohne Tageslicht und erst recht ohne menschliche Nähe. „In besonders schlimmen Fällen werden die Rüden mit tierquälerischen Maßnahmen wie Tritten und Stromschlägen zum Decken gezwungen“, skizziert Zeller. Die Hündinnen sind für die Kriminellen reine Gebärmaschinen. Sobald sie läufig sind, müssen sie sich paaren und erhalten weder tiergerechtes Futter noch tierärztliche Betreuung oder Auslauf.
„Die Welpen bleiben meist nur wenige Wochen bei ihren Müttern“, so die Expertin. Nach deutschem Recht dürften sie frühestens nach acht Wochen voneinander getrennt werden. Da ein Welpe bei einem Transport aus einem EU-Mitgliedstaat eine gültige Tollwutimpfung und einen EU-Heimtierausweis benötigt, in dem die Mikrochipkennzeichnung des Tieres eingetragen ist, darf er legal frühestens mit 15 Wochen nach Deutschland importiert werden. Denn die Impfung erfolgt nach zwölf Wochen und ist erst nach drei weiteren gültig. Auf ihrer viel zu frühen, teils tausende Kilometer langen Odyssee nach Deutschland und in andere Länder harren sie stundenlang verängstigt, unterversorgt und in ihren eigenen Exkrementen in Kisten, Käfigen oder Koffern aus – für die Tiere ein traumatisches Erlebnis. „Zudem ist ihr Immunsystem in diesem Alter noch nicht ausgereift. Darum werden sie unterwegs häufig schwer krank oder sterben sogar. Die Händler*innen nehmen das in Kauf“, so Zeller. Bei 82 Prozent der Fälle aus 2022, in denen der Deutsche Tierschutzbund Informationen zum Gesundheitszustand erhalten hat, waren Tiere erkrankt und litten unter anderem an schweren Durchfallerkrankungen. Diese Tiere benötigen tierärztliche Hilfe und kostspielige Behandlungen oder entwickeln Verhaltensprobleme. „Denn die frühe Trennung von ihrer Mutter, der Transport sowie die ständig wechselnden Umgebungen und Bezugspersonen in dieser wichtigen Lebensphase hinterlassen Spuren. Die können sich auch im Erwachsenenalter noch zeigen“, sagt Zeller. Durch die unkontrollierte Zucht können sich zudem bestimmte genetische Probleme verschärfen, besonders bei Qualzuchten. Auch dies erfordert oft teure, teils lebenslange Behandlungen.
Wenn ihre Halter*innen die Kosten für die Tiere nicht tragen können oder möchten, sie mit ihnen nicht zurechtkommen oder die Behörden Transporte abfangen und Tiere beschlagnahmen, landen illegal gehandelte Welpen im Tierheim. Beispielsweise in dem des Tierschutzvereins Freital und Umgebung, Mitgliedsverein des Deutschen Tierschutzbundes. „Etwa 300 waren es in den letzten vier Jahren“, merkt Vorsitzende Regina Barthel-Marr an. Freital liegt in Sachsen, das mit Bayern und Berlin zu den Bundesländern mit den meisten aufgedeckten Fällen zählt. „85 bis 90 Prozent von ihnen haben bei der Ankunft sehr zu kämpfen.“ Entweder, weil die Tiere zu jung sind und teils sogar noch die Flasche benötigen, oder weil sie schwer krank sind. Oft greift die Polizei nachts Transporte auf und benachrichtigt die Tierschützer*innen. Dann müssen sie binnen kürzester Zeit eine Großzahl an Tieren versorgen, säubern und pflegen. Das reizt die personellen und räumlichen Kapazitäten schnell aus und schlägt auf die Psyche. Doch auch Einzelfälle bereiten Barthel-Marr und ihrem Team oft Sorgen. „Wenn zu junge Welpen allein zu uns kommen, ist das für die Zeit der Quarantäne besonders schlimm. Dann fehlt jeglicher Sozialkontakt zu Artgenossen.“ Die Tierpfleger*innen müssen für sie noch mehr Zeit aufbringen als ohnehin schon. „Aber auch bei kleineren Gruppen übernehmen wir in Teilen die Rolle der Mutterhündin, die beispielsweise sozialisierend bei Rüpeleien unter den Welpen eingreift.“ So investieren die Mitarbeiter*innen in Freital wie in allen Tierheimen viel Zeit, Kraft und Liebe, um den Tieren in die Spur zu helfen. Das ist anstrengend und kostspielig. Die Unterbringung und Pflege eines illegal gehandelten Hundes oder einer Katze kosteten die Tierheime 2022 durchschnittlich 19,21 Euro pro Tier und Tag, dabei reicht die Spanne bis 33 Euro. „Diese Beträge werden ihnen oftmals nicht voll erstattet, obwohl sie eine öffentliche Pflichtaufgabe im Auftrag der Behörden erledigen – ein unhaltbarer Zustand, der dringend gesetzlich geregelt werden muss“, erklärt Zeller. Dazu kommt die psychische Belastung, wenn der Einsatz der Tierschützer*innen ohne Happy End bleibt. Ungefähr zehn Prozent der Tiere können sie in Freital nicht retten. „Wenn ein Welpe verstirbt, ist es mental kaum auszuhalten“, sagt Barthel-Marr. „Wir alle haben damit sehr zu kämpfen und stumpfen auch nicht ab. Wir heulen, sind wütend, können es nicht verstehen und können nicht abschalten.“ Auch lange Zeit später kämpfen sie mit Alpträumen. Viele Tierheimmitarbeiter*innen denken darum über einen Jobwechsel nach. „Aber dann halten wir doch durch, weil wir in die Schnuten und Schnäuzchen schauen. Genau dafür tun wir es.“
Der illegale Welpenhandel ist für die Tiere die reinste Qual und bringt die Tierheime ans Limit. Doch wie können wir sie davor schützen? „Zunächst kann jede*r Einzelne seinen Beitrag leisten und keine Tiere im Internet kaufen, sein Umfeld über das leidvolle Geschäft aufklären und verdächtige Angebote dem Veterinäramt oder der Polizei melden“, sagt Zeller. Das ist aufgrund der oft professionellen Anzeigen jedoch nicht ganz einfach. „Richtig sicher sein kann man sich immer erst, wenn man vor Ort ist und den Welpen sieht“, erklärt Hartmann (wie Sie mögliche Warnsignale erkennen, lesen Sie unten). Wer sich einen Hund oder eine Katze wünscht, sollte das örtliche Tierheim kontaktieren. Dort warten viele wunderbare Tiere auf ein neues Zuhause. Auch der Deutsche Tierschutzbund unterstützt die ihm angeschlossenen Tierschutzvereine und Tierheime, wenn sie kurzfristig viele illegal gehandelte und beschlagnahmte Welpen aufnehmen. In solchen Notsituationen springt der Verband schnell und unbürokratisch mit einem Zuschuss aus dem Feuerwehrfonds ein. Zudem hat er 2021 eine Welpenstation auf dem Sonnenhof in Bayern errichtet, die Hunden aus illegalem Welpenhandel eine Chance auf ein neues Leben bietet. „Auf Tierheime, die beschlagnahmte Welpen aus illegalen Transporten aufnehmen, kommt eine Mammutaufgabe zu. Wir können die Einrichtungen, die bei der Versorgung vieler kranker und geschwächter Welpen oft an ihre Grenzen gelangen, entlasten“, erklärt Hannah Wendt, Leiterin des Sonnenhofs. Sie und ihr geschultes Team versorgen und sozialisieren bis zu 25 Jungtiere in einer Quarantänestation, einer Krankenstation sowie Hundehäusern mit großzügigen Ausläufen. „Dabei möchten wir zudem grundlegende Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich die Zukunftsaussichten der Welpen trotz ihres schlechten Starts ins Leben verbessern lassen“, so Wendt.
Mittlerweile sind die Online-Anzeigen illegaler Tierhändler*innen kaum noch von denen seriöser Anbieter*innen zu unterscheiden. Die Verkaufspreise sind oft genauso hoch, zum Teil höher als bei ihnen. Bei den im Jahr 2022 aufgedeckten Fällen wurden Rassehundewelpen für bis zu 3.200 Euro angeboten. Dabei können Käufer*innen das Tier vor dem Handel aber nicht kennenlernen, erhalten keine Beratung zur Rasse und Haltung, die Identität der Anbietenden lässt sich meist nicht überprüfen und nach dem Kauf sind sie für Rückfragen nicht erreichbar. Diese Warnsignale deuten auf einen unseriösen Verkauf hin:
Doch Tierschützer*innen und Interessent*innen können dem kriminellen Welpenhandel nicht allein begegnen. Auch die Internetplattformen und der Gesetzgeber stehen in der Verantwortung. Der Deutsche Tierschutzbund appelliert an die Politiker*innen, diesen Praktiken bei der Novellierung des Tierschutzgesetzes einen Riegel vorzuschieben und auch auf EU-Ebene aktiv zu werden. Tiere sind schließlich keine Ware. Der Verband fordert ein Verbot des Handels von lebenden Tieren über das Internet, das neben Heimtieren auch für Wildtiere, insbesondere gefährdete oder geschützte Arten gilt. „Eine Ausnahme sollte für Tierschutzeinrichtungen wie Tierheime gelten, die ihre Tiere zwar online vorstellen, jedoch vor Ort beraten und vermitteln“, sagt Zeller. „Zudem brauchen wir vermehrte Kontrollen, eine bessere länderübergreifende Zusammenarbeit der Behörden und härtere Strafen für illegale Tierhändler*innen.“ Bis es soweit ist, sollten Verkäufer*innen nur inserieren dürfen, wenn sie sich den Plattformen gegenüber identifiziert haben und diese das auch überprüfen. Außerdem würde die Einführung einer Heimtierschutzverordnung den Welpenhandel einschränken und Spontankäufe verhindern, wenn etwa die Pflicht bestünde, Hunde und Katzen kennzeichnen und registrieren zu lassen, und es Halter*innen nur dann erlaubt, Haustiere anzuschaffen, wenn sie zuvor einen Sachkundenachweis abgelegt haben. „Die Plattformen selbst sollten auch eigenverantwortlich ihre Regeln überarbeiten und den Verkauf lebender Tiere verhindern. Mindestens sollten sie den von Qualzuchten verbieten, Anzeigen nur nach Prüfung freischalten oder ausschließlich Inserate von nachweislich gekennzeichneten und registrierten Hunden und Katzen zulassen“, sagt Zeller. Einige der Online-Marktplätze haben erste Maßnahmen ergriffen und etwa den Verkauf von Reptilien und Qualzuchten verboten oder den von Welpen an eine behördliche Erlaubnis geknüpft. Da illegale Händler*innen aber nach wie vor Schlupflöcher nutzen, führt aus Tierschutzsicht kein Weg daran vorbei, die Option zum Handel mit lebenden Tieren komplett einzustellen. Für Elvis käme das zwar zu spät, aber es könnte abertausenden anderen Tieren das Leben retten und nach und nach das Geschäft mit dem Tierleid beenden.
Bildrechte: Artikelheader: Hamburger Tierschutzverein von 1841 e. V. (Hund auf Tisch); Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V. (Welpen in Korb); Hamburger Tierschutzverein von 1841 e. V. (Screenshot); Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern e.V (Welpen in Boxen, viele Welpen, Hund auf Arm)