Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Die allermeisten Schweine, Hühner, Rinder und Puten sind Teil eines Systems, das sie als reine Produktionsware abfertigt. Großbetriebe mit vielen Tausend Tieren sind die Regel. Anstatt die Bedingungen an ihre Bedürfnisse anzupassen, werden die Tiere in die auf Massenproduktion und maximalen Profit ausgerichtete Haltung gezwängt. So ist es in den meisten Betrieben völlig normal, äußerst schmerzhafte Amputationen an ihnen durchzuführen. Das soll Verletzungen und Kannibalismus in den vollgepfropften Ställen verhindern. Eine Manipulation, die etwa männliche Ferkel über sich ergehen lassen müssen, ist die Kastration. Diese soll den sogenannten Ebergeruch verhindern – ein für manche Menschen strenger Geruch, den das Fleisch von einzelnen unkastrierten Schweinen haben kann. Seit Anfang 2021 gilt zwar ein Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration. Doch auch unter Betäubung bleibt dies ein riskanter und unnötiger Eingriff: Aus Tierschutzsicht wäre es am besten, die Ferkel gar nicht zu kastrieren. „Wenn unbedingt nötig, ist nur die Immunokastration eine tierschutzkonforme Alternative zur chirurgischen Kastration“, sagt Dr. Melanie Dopfer, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund.
Da es den Schweinen in den meisten Betrieben nicht möglich ist, ihren natürlichen Bedürfnissen nachzugehen, zum Beispiel in Stroh zu wühlen oder in Schlamm zu suhlen, sind Verhaltensstörungen vorprogrammiert. Die beweglichen Schwänze der Artgenossen bieten dann eine Ablenkung von ihrem tristen Alltag, und so kommt es vor, dass sie sich gegenseitig blutig beißen. Um Verletzungen vorzubeugen, amputieren Betriebe Ferkeln daher bereits in den ersten Lebenstagen die Ringelschwänze – bei weiblichen Ferkeln ohne jegliche Betäubung; bei männlichen geschieht dies im Zuge ihrer Kastration. Danach erhalten sie keine Schmerzmittel. „Tatsächlich ist das routinemäßige Schwanzkupieren in der Europäischen Union seit vielen Jahren verboten“, so Dopfer. In Einzelfällen ist dies jedoch laut EU-Recht und Tierschutzgesetz möglich – nämlich dann, wenn Betriebe nachweisen können, dass andere Maßnahmen nicht geholfen haben. So verhält es sich auch mit dem Abschleifen der Eckzähne von Ferkeln: Diese Methode wenden Betriebe ebenfalls oft an, damit die Tiere weder sich noch die Zitzen der Muttersau verletzen. „Dieses Schlupfloch nutzen Betriebe flächendeckend als Legitimation“, kritisiert Dopfer. „Die traurige Wahrheit: Unter den aktuellen tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen, die wir bei circa 95 Prozent der deutschen Schweinebetriebe sehen, könnte es sogar noch gesundheitsgefährdender sein, unkupierte Tiere zu halten. Denn die Verletzungen, die sie sich in dieser restriktiven und reizarmen Umwelt zufügen können, wären lebensbedrohlich. Zudem fehlt dem Betriebspersonal oft die notwendige Tierhaltungskompetenz auf diesem Gebiet – auch hier muss die Branche dringend nachbessern.“
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Auch andere Tiere bleiben von Amputationen nicht verschont. Zum Beispiel war es bis 2017 Routine, Legehennenküken den Schnabel zu kürzen. Das sollte verhindern, dass es unter den gestressten Tieren zu Federpicken oder Kannibalismus kommt. Dieser schmerzhafte Eingriff kann langfristige Gesundheitsprobleme zur Folge haben. „Mittlerweile erteilen die zuständigen Veterinärbehörden bei Hühnern keine Genehmigungen mehr zum Schnabelkürzen“, berichtet Franziska Hagen, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Damit sie gar nicht erst Verhaltensstörungen entwickeln, müssen die Betriebe ihnen mehr Platz und Beschäftigung bieten. Während inzwischen fast alle Legehennenbetriebe Tiere mit intakten Schnäbeln halten, wird diese Prozedur bei Puten noch immer vorgenommen. Denn sie gelten im Vergleich zu Hühnern als anfälliger für Federpicken. Normalerweise dient der Schnabel ihnen auch als Tastorgan – gekürzt erfüllt er diese Funktion nur eingeschränkt. Zudem können die Tiere zum Teil nicht mehr normal fressen oder ihr Gefieder pflegen.
Bei Rindern nehmen derweil die Hörner eine wichtige Funktion ein, etwa für die Kommunikation und ihr soziales Miteinander. Außerdem kratzen die Tiere sich damit und leiten überschüssige Körpertemperatur darüber ab. Doch heutzutage sind Rinder mit Hörnern ein seltener Anblick – schätzungsweise mehr als 80 Prozent der hierzulande lebenden Rinder werden bereits im Alter von wenigen Wochen die Hornanlagen ausgebrannt. Dies soll ihr Hornwachstum stoppen und Verletzungen gegenüber Menschen und Artgenossen in den engen Ställen vorbeugen. Viele von ihnen leiden noch Wochen später unter den Nachwirkungen. Bei gutem Management, ausreichend Platz und einer stabilen Herdenstruktur ist es jedoch möglich, das Risiko für Streitigkeiten und Verletzungen von Rindern mit Hörnern gering zu halten.
Der Deutsche Tierschutzbund lehnt all diese grausamen Manipulationen strikt ab. Es handelt sich dabei um eine reine Symptombehandlung, die das wirkliche Tierschutzproblem der nicht artgerechten Tierhaltung und der falschen Zuchtziele umschifft. Um solche Eingriffe überflüssig zu machen, müssen die Haltungsstandards für alle landwirtschaftlichen Tiere deutlich angehoben werden, da schließlich tierschutzwidrige Zustände in den Ställen die Ursache für problematische Verhaltensweisen bei den Tieren sind. Zudem ist es wichtig, das Personal der Betriebe besser zu schulen, um notwendige Kompetenzen zu vermitteln. Letztendlich brauchen wir tiergerechtere Haltungssysteme, die sich den Bedürfnissen der Tiere anpassen – nicht umgekehrt.
Bildrechte: Artikelheader: stock.adobe.com – st.kolesnikov (Puten); Fotos: stock.adobe.com – krumanop (Schweine), Clara (Kühe)