Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Drei Jahre lang haben Dr. Esther Müller, Geschäftsführerin Wissenschaft beim Deutschen Tierschutzbund, und ihr Team mit vollem Einsatz für die Sportpferde in Deutschland gekämpft. Dabei haben sie wissenschaftliche Stellungnahmen abgegeben, im Sinne der Tiere verhandelt, Kompromisse geschlossen und immer wieder gegen die Widerstände der beteiligten Sportverbände argumentiert. Das hat sich ausgezahlt. Denn die überarbeiteten Leitlinien „Tierschutz im Pferdesport“, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Herbst herausgegeben hat, enthalten laut Müller „viele gute Neuerungen für die Tiere“.
So legt das Ministerium beispielsweise das Alter, ab dem Pferde frühestens für das zielgerichtete Training zum Reitpferd zugelassen sind, von nun an grundsätzlich auf 30 Monate fest, das für die ersten Turnierstarts und öffentlichen Präsentationen präzise auf 36 Monate. Die bisherige Formulierung, nach der Tiere ab drei Jahren starten durften, umgingen viele Halter und Verbände, indem sie nur das Geburtsjahr berücksichtigten und nicht bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres warteten. Junge Pferde müssen mindestens die ersten 30 Monate ihres Lebens in der Gruppe leben, und gezieltes Training für Fohlen und Jährlinge stuft das BMEL jetzt als tierschutzrelevant ein.
Die Rollkur lehnt es endlich als tierschutzwidrig ab. Bei dieser leider viel zu oft zu beobachtenden Trainingsmethode ziehen Reiter die Köpfe der Pferde mit den Zügeln fast oder bis auf die Brust. Damit überbeugen sie Hals und Genick der Tiere, erschweren die Atmung und schränken den Blickwinkel der Pferde so ein, dass sie Angst, Stress und Schmerzen erleiden. Das Ministerium nimmt alle Verbände zudem ab jetzt in die Pflicht, die Gesundheit der Tiere und den korrekten Sitz der Ausrüstung bei Wettbewerben zu kontrollieren, sicherzustellen und die Resultate der Kontrollen zu veröffentlichen. Und auch ihre Anforderungen an die Haltung während der Ausbildung hat die Behörde tierschutzkonform formuliert. „Unabhängig von der Art der Nutzung muss das Wohlbefinden der Pferde jederzeit oberste Priorität haben“, heißt es.
Um genau solche und viele weitere Anforderungen für einen besseren Schutz der Tiere einzubinden, haben der Deutsche Tierschutzbund und weitere Tierschutzverbände seit 2018 fachlich an dem 44-seitigen Dokument mitgearbeitet. Die Mindeststandards, die die BMEL-Pferdesportleitlinien nun enthalten, bieten allen Personen, die mit Pferden umgehen, aber auch Behörden und Gerichten eine wichtige Orientierungs- und Beurteilungshilfe. Das Dokument listet auf, welche Anforderungen an den Umgang, die Haltung, das Training und an jegliche Nutzung von Pferden unter den Aspekten des Tierschutzes zu stellen sind. Es gilt also für alle Pferde, nicht nur für die im Pferdesport. Auch Freizeitreiter haben die Leitlinien beispielsweise zu beachten.
Dr. Esther Müller, Geschäftsführerin Wissenschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Sie wirkte an der Erstellung der Leitlinien mit und kämpfte dabei für den Tierschutz. Lesen.
Der Verband begrüßt daher das Ergebnis – abgesehen von einer Ausnahme. Ausgerechnet die Besitzer von Trab- und Galopprennpferden dürfen ihre Tiere laut den Leitlinien schon deutlich vor Ablauf der vorgegebenen 30 Monate trainieren, und auch Zweijährige können weiter an Rennen teilnehmen. „Das ist tierschutzfachlich völlig inakzeptabel und hat rein wirtschaftliche Gründe“, erklärt Andrea Mihali, Leiterin der Abteilung für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. Die Rennsportverbände wollen international wettbewerbsfähig bleiben. „Darum stellen sie das stark leistungsorientierte Training aus Gründen des Profits seit Jahren über das Wohl der Tiere, obwohl bekannt ist, dass im Rennsport Früh- oder Spätschäden wie instabilere Knochen oder geschädigte Knorpel drohen.“ Die Rennsportverbände konnten dies während der Beratungen auch nicht objektiv wissenschaftlich entkräften.
„Wir kritisieren, dass das BMEL nach einem langen und konstruktiven Prozess unter wissenschaftlicher Beteiligung seine neutrale Moderatorenrolle verlassen und letztlich dem Willen der Rennsportverbände nachgegeben hat“, sagt Mihali. Diese hätten wieder unter Beweis gestellt, dass Tierschutz im Rennsport keine nennenswerte Rolle spielt. Darum haben die beteiligten Tierschutzverbände, die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz, die Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland, die Landestierschutzbeauftragten sowie die Vertreter der Länder Berlin und Hessen dem Dokument ein Differenzprotokoll beigefügt, in dem sie sich trotz der grundsätzlichen Unterstützung der Leitlinien von den entsprechenden Passagen distanzieren.
„Natürlich sind solche Leitlinien immer ein Kompromiss, wenn verschiedene Interessenverbände beteiligt sind“, sagt Müller. Daher freut sie sich, dass es den beteiligten Tierschützern, abgesehen von der kritisierten Ausnahme, gelungen ist, viele wichtige Fortschritte und Konkretisierungen gegenüber der ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1992 zu erzielen. Insgesamt ist die überarbeitete Version konkreter. Sie berücksichtigt sehr viel stärker, dass jedes Tier individuell ist. Dazu beschreibt sie das Verhalten der Pferde ausführlich.
„Diese Ergänzungen tragen entscheidend zum Umgang mit den Tieren bei. Unter anderem konnten wir einfügen, dass es falsch ist, sie wegen ihrer instinktiven Fluchtreaktionen zu bestrafen oder ihnen Kontakte zu Artgenossen vorzuenthalten, da dies zu Verhaltensstörungen führen kann“, erläutert Müller. Das Kapitel zum Thema Lernen ist ebenfalls neu in den Leitlinien verankert. Es fordert von den Trainern einen geduldigen, selbstbeherrschten und einfühlsamen Umgang mit den Tieren ein. Dazu führt es die Vorteile positiver Verstärkung auf und bewertet Strafen als ungeeignet. Im Wortlaut heißt es: „Der Versuch, Ausbildungsziele durch Zwang, Bestrafung oder Anwendung von Gewalt zu erreichen, ist tierschutzwidrig und führt nicht zum Erfolg.“ Des Weiteren erklärt das Doping-Kapitel, dass die Anwendung von solchen Mitteln jetzt bereits im Training nicht mit dem Tierschutz zu vereinen ist.
Die Liste der Verbesserungen ist noch länger und umfasst zum Beispiel Vorgaben zur Zäumung, damit die Atmung der Pferde nicht beeinträchtigt wird. Sie lehnt Hilfszügel auf dem Laufband oder in Führmaschinen ab, appelliert an die Verbände, den Gebrauch von Peitschen wirksam zu sanktionieren, und gibt vor, die Tiere nur so kurz wie möglich auf Transportfahrzeugen zu belassen. Doch darauf ruhen sich die Beteiligten nicht aus. Nicht alle Aspekte konnten sie abschließend klären. Deshalb geht die Arbeit an den Leitlinien weiter. „Es ist ein großer Erfolg, dass sich das BMEL verpflichtet hat, zeitnah umfassende wissenschaftliche und praktische Untersuchungen zu initiieren. Darin stehen die Trainingsbedingungen und die Haltung im Vordergrund, aber auch, wie sich die frühe Nutzung von Pferden auf sie auswirkt und wie physisch und psychisch belastbar die Tiere sind. Damit sind die Leitlinien ein ‚lebendes Dokument‘ für den Tierschutz, das immer wieder überprüft wird und in das regelmäßig neue wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen“, fasst Müller zusammen.