Aus dem Print-Magazin
Menschen erschweren Igeln die Futtersuche vor dem harten Winter

Stachelige Spürnasen

Aus dem Print-Magazin
Menschen erschweren Igeln die Futtersuche vor dem harten Winter

Stachelige Spürnasen

Im Herbst raschelt es wieder häufiger in der Gartenhecke oder unter dem Laubhaufen. Sobald die Dämmerung einsetzt, gehen Igel verstärkt auf Futtersuche, um sich Reserven für den Winter anzufressen. Dabei könnten sie sich ganz auf den Schutz ihres Stachelkleids und auf ihren hervorragenden Geruchssinn verlassen – wenn der Mensch ihnen nicht das Leben schwermachen würde.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Ein Igel stöbert durch Gras.

Igel können außergewöhnlich gut riechen.

Die charakteristischen Stacheln fallen uns zuerst ein, wenn wir an Igel denken. Bei der Geburt haben die Jungtiere bereits rund 100 von ihnen. Zu diesem Zeitpunkt sind sie noch weiß, weich und eingebettet in die Rückenhaut. Später bilden bis zu 8.000 das dichte Stachelkleid, mit dem die Tiere sich zusammengerollt gegen Angreifer verteidigen können. Dieses sicherlich prägnanteste Merkmal der Igel ist aber nicht ihre einzige Besonderheit. Die Insektenfresser, die bis zu 30 Zentimeter lang werden und bis in den Ultraschallbereich hören können, sind auch ausgezeichnete Spürnasen. Dabei hilft ihnen ein zusätzliches Sinnesorgan, mit dem beispielsweise auch Schlangen über ihre Zunge Gerüche wahrnehmen: das Jacobson’sche Organ. Wenn Igel auf etwas stoßen, dessen Geruch sie nicht kennen, kauen sie darauf, bis ein schaumiger Speichel entsteht. Dieser nimmt die Geruchsstoffe auf und transportiert sie zu den winzig kleinen Einbuchtungen des Organs im Mund-Nasenraum, an die die Atemluft sonst nicht gelangt. Mit dessen Rezeptoren machen die Tiere sich ein noch genaueres Bild des fremden Etwas und profitieren so von einem außergewöhnlich guten Geruchssinn. Danach verteilen sie den Speichel übrigens auf ihren Stacheln. So machen sie das Maul frei für neue Gerüche.

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Igel brauchen dringend Reserven für den Winter

Die stacheligen Tiere, die bei der Futtersuche nachts bis zu fünf Kilometer zurücklegen, sind in den Herbstmonaten häufiger zu beobachten. Denn in dieser Zeit müssen sie sich Fettreserven für die Wintermonate anfressen. Neben erwachsenen Tieren sind jetzt auch viele Jungtiere unterwegs. „In Deutschland werden rund 80 Prozent aller Igel im August und September geboren“, erklärt Denise Ritter, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. „Ihr Geburtsgewicht von zwölf bis 25 Gramm müssen sie vor dem Winter – ihre Mutter säugt sie immerhin 42 Tage – auf 550 bis 600 Gramm steigern.“ Denn, obwohl ihr Herz nur achtmal pro Minute schlägt und sie ihre Körpertemperatur von 36 auf fünf Grad absenken, um Energie zu sparen, verlieren Igel während des Winterschlafs dennoch 20 bis 40 Prozent ihres Körpergewichts. Erwachsene Tiere sollten darum vorher mindestens 1.000 Gramm wiegen.

Gefahren lauern auf Straßen und in Gärten

Doch die Tiere haben es immer schwerer, sich Fettpolster anzufressen. Denn ihre Lebensräume werden kleiner und gefährlicher. „Komplett eingezäunte Gärten versperren ihnen den Weg und Mähroboter, Laubsauger sowie -bläser verletzen oder töten viele Igel. Teiche mit steilen Rändern oder unabgedeckte Lichtschächte sind zudem lebensbedrohliche Fallen“, sagt Ritter. Schätzungsweise mehrere hunderttausend Igel sterben darüber hinaus jährlich im Straßenverkehr. Die vielen Gefahren und das Insektensterben – bevorzugt fressen die Tiere Käfer, Würmer, Larven und Schnecken – setzen ihnen enorm zu. „Ein Großteil der Jungtiere erreichen das Erwachsenenalter meist nicht.“

Schwache Tiere füttern, aber nicht voreilig aufnehmen

Menschen können Igeln, die unterernährt wirken, die anders als üblich auch tagsüber nach Futter suchen oder die noch jung sind, Futter in den Garten stellen. „Falsche, nicht artgerechte Ernährung kann für Igel jedoch tödlich sein“, warnt Ritter. Die Tiere dürfen weder Milch noch Obst, Gemüse oder Essensreste bekommen. „Bieten Sie täglich frisches Wasser an“, rät die Expertin und empfiehlt hochwertiges Katzen-Dosenfutter ohne Zusatzstoffe. Hartgekochte Eier oder ungewürztes Rührei sind ebenfalls geeignet, um den Tieren beizustehen. Keine Hilfe, sondern falsch verstandene Tierliebe ist es, sie zu frühzeitig in Obhut zu nehmen. Beim Verdacht, dass ein Tier in Not ist, ist es ratsam, es zunächst zu beobachten und Futter anzubieten. „Nur Igel, die tatsächlich krank, verletzt oder bei Wintereinbruch stark untergewichtig sind, brauchen Hilfe von Fachleuten.“

Ein Igel stöbert in der Abenddämmerung durchs Gras.

Wenn Igel nachts nach Futter suchen, legen sie dabei bis zu fünf Kilometer zurück.

Zahlreiche Gäste überwintern in Weidefeld

Dann übernehmen vielerorts Auffangstationen, Tierheime und private Pflegestellen. Dies bedeutet oft einen immensen Aufwand neben der alltäglichen Pflege dervielen anderen Tiere. Da Wildtiere grundsätzlich rein rechtlich „herrenlos“ sind, gibt es zudem keine Fundtierkostenpauschalen der Kommunen und Tierschützer sowie helfende Tierärzte müssen die Kosten selbst tragen. So auch in der Igelstation des Tierschutzzentrums Weidefeld des Deutschen Tierschutzbundes. Dort versorgt das Team jedes Jahr verletzte Igel und verwaiste Igelkinder, bis sie wieder ausgewildert werden können. „2021 war mit 122 bei uns abgegebenen Igeln ein Rekordjahr. Viele dieser Tiere haben die Finder aber leider unnötig eingesammelt. Ein Drittel haben wir direkt wieder in die Natur zurückgebracht, 80 Tiere brauchten wirklich Unterstützung“, berichtet Patrick Boncourt, Referent im Tierschutzzentrum Weidefeld des Deutschen Tierschutzbundes. Die wirklich hilfsbedürftigen Tiere bringen die Mitarbeiter auch in diesem Herbst in Boxen unter, die für jedes Tier ein Schlafhaus enthalten. Sie wiegen sie täglich und entlassen diejenigen, die vor dem ersten Frost genug Fettreserven angefuttert haben, noch in die Freiheit. „Die anderen können bei uns überwintern und wir lassen sie dann im anschließenden Frühjahr frei.“

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Bildrechte: Artikelheader: stock.adobe.com – AGAMI (Igel frontal); Fotos: Pixabay – Alexas_Fotos (Igel tagsüber im Gras), Alexa (Igel in der Dämmerung)