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„Landwirtschaft und vegane Ideale unter einen Hut“

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„Landwirtschaft und vegane Ideale unter einen Hut“

Im Gespräch mit Alina Gieseke, Projektassistenz beim Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau. Der Verein berät Betriebe bei der Umstellung auf die biozyklisch-vegane Anbauweise, klärt über das Biozyklisch-Vegane Gütesiegel auf, sensibilisiert die Öffentlichkeit für die Vorteile und begleitet diverse Forschungsvorhaben.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Porträtbild von Alina Gieseke, die vor einem Feld steht. Dahinter sind Bäume und der blaue Himmel zu sehen.

Alina Gieseke, Projektassistenz beim Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau

Frau Gieseke, warum ist Gemüse und Obst nicht per se vegan, wenn man sich alle Teile des Produktionsprozesses ansieht?

Es ist so, dass in der Erzeugung ganz viele tierische Dünge- und Betriebsmittel eingesetzt werden. Das sind zum einen tierische Exkremente wie Gülle oder Mist und zum anderen ganz viele Schlachtabfälle wie Hornspäne, Haar-, Feder- oder Borstenmehle, aber auch Blut- oder Fleischmehle, die auch in der ökologischen Landwirtschaft oft aus konventionellen Quellen stammen. Darüber hinaus gibt es Pflanzenschutzmittel, die tierische Bestandteile wie Molke enthalten.

Was macht die biozyklisch-vegane Landwirtschaft anders?

Da gibt es im Grunde drei große Punkte. Zunächst einmal ist die kommerzielle Nutztierhaltung verboten und sind keine Dünge- und Betriebsmittel tierischen Ursprungs zugelassen. Außerdem wird die Artenvielfalt zusätzlich zu diesen beiden Punkten gefördert. Es werden also keine sogenannten Nutztiere gehalten oder ausgebeutet und dadurch wird sehr viel physisches und psychisches Leid vermieden. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die wild lebenden Tiere und das Bodenleben einzubeziehen. Blühstreifen für Insekten, Totholz- und Steinhaufen für Amphibien und Reptilien oder auch mal einen Igel oder Fuchs. Je mehr Tiere man da hat, desto mehr kann man in Kreisläufen arbeiten. Wenn man zum Beispiel einen Fuchs hat, hat man nicht zu viele Mäuse, und so wird alles wieder ein bisschen mehr in die natürlichen Bahnen gelenkt.

Wie funktioniert das in der Praxis? Wie werden die tierischen Dünge- und Betriebsmittel in der biozyklisch-veganen Landwirtschaft ersetzt?

Zu der Frage, wie die Düngung anders funktioniert: Da wird ganz viel über die Fruchtfolge geregelt, also welche Kultur zuerst, danach und dann im nächsten Jahr angebaut wird. Durch eine Abwechslung von Starkzehrern und Schwachzehrern kann ganz viel gemacht werden, also mit Pflanzen, die mehr oder weniger Nährstoffe brauchen. Und dann ist es auch ganz wichtig, dass man Leguminosen in die Fruchtfolge einbaut, also Hülsenfrüchte, weil diese eine Symbiose mit den sogenannten Knöllchenbakterien an den Wurzeln eingehen, die Luftstickstoff fixieren können und der Pflanze so zur Verfügung stellen. Ein Teil davon bleibt dann sogar für die nächste Kultur im Boden. Dadurch kann man schon an viele Nährstoffe gelangen – Stickstoff ist zum Beispiel einer der wichtigsten. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, mit Kompost und biozyklischer Humuserde zu arbeiten oder Kleegras anzubauen. Kleegras zu nutzen bedeutet, dass es auf einem Geberfeld angebaut sowie geschnitten und anschließend auf einem Nehmerfeld ausgebracht wird. Dort können dann die Nährstoffe, die in dem Kleegras enthalten sind, genutzt werden. Es ist aber auch denkbar, mit rein pflanzlichem Biogassubstrat, zum Beispiel Gärresten aus der Biogasgewinnung, oder Resten aus der Lebensmittelproduktion zu düngen, wie zum Beispiel Kartoffelfruchtwasser. Letztendlich können Landwirte auch pflanzliche Handelsdünger zukaufen, da gibt es eine ganze Reihe an veganen Varianten und Alternativen.

Das Gütesiegel gibt Verbrauchern die Sicherheit, dass gekennzeichneten Produkte nach ökologischen und nach veganen Prinzipien angebaut wurden.

Jetzt könnten Kritiker sagen, dieser Mist und diese Schlachtabfälle fallen automatisch an, da ist es doch gut, wenn diese genutzt und nicht weggeworfen werden. Was sagen Sie dazu?

Uns geht es um das Bewusstsein und den Umgang mit den Tieren generell. Wir würden uns freuen, wenn viel, viel weniger Tiere genutzt würden. Letztendlich ist es so, dass vegane Produkte, wenn man sich einen Apfel oder Salat anschaut, sehr in das System der Nutztierhaltung eingebunden sind – und das, ohne dass sich ein normaler Landwirt derzeit vorstellen kann, dass es auch anders geht. Die vegane Utopie, die wir haben, ist derzeit noch sehr weit entfernt. Daher versuchen wir eine Alternative aufzuzeigen und zu sagen, hey, Landwirtschaft geht auch ohne und so können wir dahin kommen´.

Was genau hat es mit dem Begriff „biozyklisch-vegan“ auf sich?

Der Begriff biozyklisch kommt aus dem Griechischen. Bios bedeutet Leben und Kyklos ist der Kreislauf. Im Grunde geht es um das Erhalten gesunder Lebenskreisläufe. Wir sagen immer vom gesunden Boden über die gesunde Pflanze zum gesunden Menschen. Dabei geht es vor allem um die gezielte Förderung der Biodiversität und den systematischen Boden- und Humusaufbau. Biozyklisch-vegan anzubauen bedeutet das konsequente Verfolgen der Biozyklisch-Veganen Richtlinien. Das geht zum Beispiel so weit, dass keine Honigbienen gehalten werden dürfen und stattdessen die gezielte Förderung der Biodiversität im Vordergrund steht. Das geschieht unter anderem dadurch, dass man Blühstreifen oder so etwas wie Totholzhaufen als Nützlings- und Wildtierhabitate anlegt. Zudem werden die menschlichen Mitarbeitenden durch ganz umfassende Sozialstandards geschützt.

Aus welchen Beweggründen entscheiden sich die meisten Landwirte für die biozyklisch-vegane Landwirtschaft?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche haben eine tierethische oder ökologische Motivation, andere machen es aus Klimaschutzgründen, wünschen sich ein Alleinstellungsmerkmal bei der Vermarktung ihrer Produkte oder wollen ihre Betriebskreisläufe intern oder lokal schließen und Transportwege minimieren. Ganz oft ist es eine Kombination.

Ist die Umstellung mit viel Aufwand verbunden?

Das kommt auf den Betrieb an und wie dieser bisher gewirtschaftet hat. Wenn ein Betrieb schon biozertifiziert ist, ein veganes Düngesystem installiert hat und weitgehend vegan wirtschaftet, ist es relativ wenig Aufwand. Wenn es ein konventioneller Betrieb ist oder das Düngesystem noch umgestellt werden muss, ist das Ganze natürlich etwas aufwändiger, aber machbar. Wenn in der vorangegangenen Vegetationsperiode schon nach den Biozyklisch-Veganen Richtlinien gewirtschaftet wurde, kann ein Betrieb sofort umstellen und das Biozyklisch-Vegane Gütesiegel nutzen. Wenn ein Betrieb bio ist, dauert es in der Regel ein Jahr, bei konventionellen Betrieben zwei oder bei Dauerkulturen drei Jahre. Während dieser Umstellungsfristen bieten wir eine Vorstufe unseres Siegels an, die die Landwirte nutzen können.

Wie viele Betriebe wirtschaften derzeit biozyklisch-vegan? Gibt es Länder, die Vorreiter sind, und wie ist die Tendenz?

In Deutschland gibt es im Moment fünf, im deutschsprachigen Raum, für den der Förderkreis zuständig ist, gibt es sieben. Zusätzlich gibt es noch einige Verarbeitungsbetriebe. Weltweit sind es ungefähr 60 Betriebe, wobei Griechenland Vorreiter ist. Da gibt es im Moment um die 40 Betriebe, die zertifiziert oder in Umstellung sind. Generell kann man sagen, dass die Tendenz steigend ist. Letztes Jahr wurde zum Beispiel der erste Betrieb in Kanada zertifiziert.

Wie effizient ist diese Form der Landwirtschaft?

Bisher sind die Rückmeldungen der Landwirte so, dass die Erträge durchaus mit denen aus normaler Biolandwirtschaft zu vergleichen sind.

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Sind die Produkte teurer?

Ja, die Produkte sind definitiv noch teurer als normale Bio-Ware, was im Moment an so kleinen Dingen wie aufwändigere Logistik oder kleineren Chargen liegt. Aber das wird sich wahrscheinlich mit der Zeit geben, wenn es mehr Betriebe, mehr Ware und eine Abnahmesicherheit gibt.

Lassen sich alle derzeit in Deutschland angebauten Gemüse-, Getreide- und Obstsorten biozyklisch-vegan anbauen – oder gibt es Grenzen?

Meines Wissens nach lassen sich alle Erzeugnisse auch biozyklisch-vegan anbauen.

Bisher ist der biozyklisch-vegane Landbau noch eine Nische. Hat diese Form der Landwirtschaft grundsätzlich das Potenzial, alle Menschen in Deutschland oder sogar weltweit zu ernähren?

Zu der Frage gibt es meines Wissens nach bisher noch keine Studien, aber wir denken, dass das so ist, weil bei dieser Form der Landwirtschaft alle zur Verfügung stehenden Ackerflächen für die menschliche Ernährung genutzt werden könnten. Wenn man es ganz deutlich sagen möchte: Tierhaltung verschwendet, zu viele Äcker landen im Futtertrog. Wenn man das weniger machen würde, würde ein enormes Flächenpotenzial frei.

Warum engagieren Sie sich persönlich im Bereich biozyklisch-veganer Anbau, was ist Ihr Antrieb?

Ich bin vor allem tierethisch motiviert. Ich habe aber sowohl Landwirtschaft als auch Mensch-Tier-Beziehung studiert, das heißt, ich habe auch ein Herz für Landwirte. Da ich schon seit einigen Jahren vegan lebe, finde ich es einfach super, dass es eine Möglichkeit gibt, Landwirtschaft und vegane Ideale unter einen Hut zu bringen. Mir ist es ganz wichtig aufzuzeigen, wie wir in diese vegane Utopie, die viele von uns haben, gelangen können. Also dass wir anfangen können, uns vorzustellen, wie eine andere Zukunft aussehen könnte – wie das Zusammenleben mit den sogenannten Nutztieren auch möglich sein kann, ohne dass man sie ausnutzt und ihnen Leid zufügt. Es ist wichtig, wirklich etwas vor Augen zu haben. Wenn man sich etwas nicht vorstellen kann, kann man auch nicht dahin gelangen. Ich glaube, dass der biozyklisch-vegane Anbau das sehr gut schafft, weil er das Tier aus dem Kreislauf, der immer so schön dargestellt wird, rausnimmt und sagt ‚hey, wir brauchen das gar nicht auf diese Art‘.

Was wünschen Sie sich von Wirtschaft und Politik, um den biozyklisch-veganen Anbau besser fördern zu können?

Wir wünschen uns eine größere Sichtbarkeit in der politischen Debatte rund um die Themen Landwirtschaft und Ökolandbau, aber vor allem natürlich auch in der Diskussion um den Klimaschutz. Immerhin ist die tierhaltende Landwirtschaft einer der größten Treiber der Klimakrise. Unser aktuelles Projekt VegÖl wird maßgeblich vom Umweltbundesamt gefördert, da ist die Message schon angekommen und da sind sehr aktive, begeisterte Menschen, die uns unterstützen. Neben der Sichtbarkeit brauchen wir vor allem Projektmittel und finanzielle Unterstützung, damit wir mehr Arbeit leisten können, damit wiederum mehr Landwirte umstellen können und die Produkte im Handel verfügbar werden.

Was wünschen Sie sich von den Verbrauchern?

In erster Linie wäre uns wichtig, dass die Konsumenten sich bewusstmachen, was sie konsumieren und sich darüber klarwerden, dass auch für vegane Produkte Tiere leiden und dass auch durch vegane Produkte die Tierindustrie am Laufen gehalten wird. In zweiter Linie wünschen wir uns, dass sie biozyklisch-vegane Produkte nachfragen.

Sind Sie optimistisch, dass die Welt in den nächsten Jahren veganer wird?

Ja, definitiv. Ich glaube, die letzten Jahre haben schon gezeigt, dass es möglich ist, dass sich das Bewusstsein in allen Altersstufen wandelt. Vor allem in der jüngeren Generation ist das Bewusstsein für das Klima und die Tiere groß. Die Klimakrise schreitet immer weiter voran und wir brauchen Lösungen, um die Katastrophen abzumildern. Und ich denke, wenn man diese Lösungen anbietet, die auch funktionieren, hat man gute Chancen, dass wir das auch irgendwie noch erreichen. Ich bin grundsätzlich sehr optimistisch.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weiterführende Informationen

  • Mehr über die Grundlagen des biozyklisch-veganen Anbaus und die zertifizierten Betriebe erfahren Sie unter:
    biozyklisch-vegan.org