Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Da die Lucky Luke-Reihe bereits seit 75 Jahren besteht, ist es gar nicht so leicht, Themen zu finden, die geschichtlich verankert sind und deren Charaktere tatsächlich existiert haben. Darum lese ich sehr viel über die USA im 19. Jahrhundert. Bei der Recherche habe ich einen Artikel über Henry Bergh entdeckt, der 1866 die erste Gesellschaft für Tierschutz in den USA gegründet hat, und festgestellt, dass diese Geschichte in Lucky Luke noch nie erzählt worden ist. Ich habe mich ein wenig eingelesen und bin dabei auf viele Überschneidungen zwischen dem Wilden Westen und dem Thema Tierschutz gestoßen. Die Sichtweisen der damaligen Zeit scheinen sich stark von unseren heutigen und unserem modernen Leben zu unterscheiden. Doch tatsächlich hat der große Wandel in der Einstellung zu Tieren sowohl in Europa als auch in den USA bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen.
Die globale Situation unserer Umwelt zeigt uns, dass wir offensichtlich den Fleischkonsum reduzieren müssen. Nicht jeder muss ein Vegetarier sein. Aber die Zucht und all die riesigen Herden von Tieren sind nach globalem Maßstab absolut unnütz in unserer heutigen Welt. Auch die Jagd und der Artenschutz sind wichtige Themen. Es vergeht kaum eine Woche ohne Nachrichten über Arten, die so bedroht sind, dass wir Schutzmaßnahmen ergreifen müssen. Ebenso ist die Tierquälerei in der Lebensmittelindustrie allgegenwärtig.
Die Bandbreite der Themen ist also sehr groß und wir versuchen, sie alle in diesem Band zu behandeln, indem wir uns vorstellen, wie die amerikanischen Ureinwohner aufhören, Büffel zu jagen, Pelzjäger aufhören, Tiere zu töten und Cowboys keine riesigen Herden mehr zu den Schlachthäusern treiben müssen. Das würde alles verändern und daher haben wir versucht, uns genau das vorzustellen. Was wäre, wenn der Wilde Westen sich all dieser Fragen bewusst gewesen wäre. Das wäre einer Revolution gleichgekommen.
Ich glaube, individuelles Engagement ist der Anfang von allem. Tatsächlich ist genau das in den USA passiert. Als Philanthropen wie Henry Bergh starteten, waren sie allein auf sich gestellt. Doch sie knüpften schnell Bande zu anderen Organisationen, Jugendgruppen und Schulen, die plötzlich die Natur entdeckten, Tiere beobachteten und sich mehr mit ihnen auseinandersetzten. Durch sein Engagement kam Bergh auch mit den Kirchen in Berührung. Die bischöfliche Kirche feierte jedes Jahr eine spezielle Messe rund um Tiere. Das war in den USA ganz neu. Wenn jemand also charismatisch ist und an seine Ziele glaubt, kann er viel erreichen und dieses Bewusstsein weiterverbreiten. Natürlich geht es letztendlich nicht ohne die jeweiligen Regierungen, aber es startet mit Einzelnen. Dies zeigt sich auch in vielen Familien, in denen ein Kind oder Teenager erklärt, vegetarisch leben zu wollen. Das kann ein Schock sein. Ich komme selbst aus einer Familie von regelmäßigen Fleischessern.
Das ist eben eine andere Generation. Auch hier ist es interessant zu sehen, welche Rolle dann ein Einzelner spielen kann. Wenn es uns gelingt, mit anderen zu diskutieren, ohne immer gegeneinander zu kämpfen, sondern wir wieder lernen, sachlicher zu argumentieren und Debatten zu führen, wäre das ganz wichtig und letztlich das, wodurch sich etwas verändern kann. Letztlich ist das auch das Ziel unseres Buches. Ein solches Comicbuch konsumieren alle Generationen aus allen Bereichen der Gesellschaft. Es kann sie alle gemeinsam an einen Tisch bringen, wo sie darüber diskutieren. In den sozialen Medien oder Talkshows im Fernsehen gelingt dies seltener, weil die Menschen hier die Konfrontation suchen. Daher glaube ich fest daran, dass man mit dieser Art von Comic Dinge bewegen kann.
Ganz generell wünsche ich mir Respekt gegenüber der Natur. Denn alles ist miteinander verbunden. Wenn wir Pflanzen vernichten, werden wir die Tiere vernichten und dann letztlich die Menschheit. Wir müssen uns bewusstmachen, dass wir alle zur selben Welt gehören und wir keine Überlegenheit gegenüber anderen Lebewesen haben. Unser Interesse sollte darauf abzielen, Tiere zu bewahren. Wir sind auch nur eine Art von ihnen.
Lucky Luke hatte in der Form noch nicht von Tierschutz gehört, bevor er unseren Charakter Ovide Byrde trifft, der sich ganz stark dafür einsetzt. Byrde legt Luke nahe, dass er sicher aufhören könne, Fleisch zu essen, wenn ihm das auch mit dem Rauchen gelungen ist. Lucky Luke zieht dies in Erwägung, aber in seinem speziellen Fall würde das bedeuten, dass er dann arbeitslos wäre. Denn er verdient seinen Lebensunterhalt damit, Cowboy zu sein. Und damit gehört es zu seinen Aufgaben, das Vieh zum Schlachter zu bringen. Darum verzichtet er nicht. Aber wenn er sich noch mehr auf seinen Zweitjob konzentriert, die bösen Jungs ins Gefängnis zu bringen, könnte er diese Sichtweise nochmal überdenken.
Bevor ich die Lucky Luke-Reihe als Cartoonist übernommen habe, habe ich Alben über Philosophie gezeichnet. Dafür habe ich die Bücher des australischen Philosophen Peter Singer gelesen. Er ist einer der ersten Denker, die im 20. Jahrhundert über den Zustand und das Bewusstsein für Tiere geschrieben haben. Er dient Menschen weltweit als Quelle und seine Ansätze über die Tiere greife auch ich immer wieder auf. Zudem habe ich viele kurze Geschichten über einzelne Arten gelesen. Das hat mir dabei geholfen, mein Bewusstsein für die Tierwelt zu entwickeln.
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Es war nicht von Natur aus so. Ich gehöre zur Generation der Baby Boomer und bin damit aufgewachsen, dass viel Fleisch auf den Tisch kommt und wir Menschen uns die Natur zu eigen machen. Ich bin bei uns der letzte aus dieser Generation und sehe nun, dass wir vielleicht die Chance haben, die Dinge etwas zu ändern.
Ich erinnere mich nicht genau, wann ich bei der Recherche zum ersten Mal auf Henry Bergh gestoßen bin. Aber als Cartoonist ist mir Bergh durch seinen großen Schnurrbart und seinen langen Hals besonders aufgefallen. Dadurch wusste ich schnell, dass ich ihn genauso einsetzen kann, wie Morris und Goscinny Billy the Kid oder Calamity Jane dargestellt haben. Das sind allesamt sehr gute Charaktere, die sehr gut zu zeichnen sind. Man kann sich direkt ein ganzes Comicuniversum um sie herum vorstellen. Darum war ich mir sicher, dass dieser Henry Bergh genauso funktionieren könnte. Für den Band musste ich mir jedoch einen seiner Schüler ausdenken – hier kommt Ovide Byrde ins Spiel – denn Bergh war sehr gerecht und gewissenhaft. Doch für die Geschichte brauchten wir Byrde als Extremisten, der sich auch auf Banditen einlässt. Er geht für seine Ziele so weit, dass ihm niemand folgen kann, bis hin zur Kriminalität.
Darum ist der Charakter so wichtig, weil er alle an einen Tisch holen kann, damit sie über alles reden. Und das ist nicht so einfach heutzutage.
Es ist ein gängiges Klischee, dass sich nur ältere Damen und Kinder um Tiere kümmern. Ich glaube, das ändert sich ganz stark. Heute sind tatsächlich alle irgendwie mit dem Thema verbunden. Aber natürlich spielen Kinder und Teenager eine besondere Rolle, gerade innerhalb ihrer Familien. Denn dort erhalten sie und das, was sie zu sagen haben, heute mehr Aufmerksamkeit, als es früher der Fall war.
Das zeigt sich auch beim Umweltschutz. Schon seit sie ein junges Kind ist, ist Greta Thunberg die Ikone des Klimaaktivismus. Und in jedem Land stehen sehr junge Menschen an der Spitze der Demonstranten. Kinder spielen eine große Rolle und der Planet wird jünger. Der Großteil der Menschheit ist jünger als 20, also müssen wir natürlich darauf hören, was die Jugend zu sagen hat.
Als ich Lucky Luke vor etwa zehn Jahren übernommen habe, war das eine große Verantwortung und für mich sehr schmeichelhaft, einer der Nachfolger der Erfinder zu sein. Aber ich habe den Job nicht nur angenommen, um eine Menge Geld zu verdienen, eine Menge Bücher zu verkaufen und Menschen zu unterhalten. Es soll auch eine Bedeutung haben. Millionen Leser kommen mit Lucky Luke Comics in Berührung. Doch wenn wir einzig und allein dafür sorgen, dass sie Spaß haben, ist es nichtssagend. Auch dieser Band soll die Menschen etwas lehren, sie zum Denken anregen und zu Themen zusammenbringen. Das ist sehr selten geworden und umso wertvoller, denn heutzutage ist unser Konsum sehr divers. Jeder hat seinen eigenen Bildschirm. Big Data bestimmt, was wir wissen und denken sollten. Man gehört zu vielen kleinen Gemeinschaften und tauscht sich weniger mit anderen aus. Und was wir denken, wird durch das, was wir konsumieren, immer wieder bestätigt. Lucky Luke gehört heute zu den seltenen Teilen der Popkultur, mit denen wir alle Generationen und Klassen in so vielen Ländern erreichen. Es geht um mehr als Unterhaltung, aber natürlich hoffe ich, dass der Band die Leser auch unterhält.
Cowboys treiben Rinderherden zum Schlachthaus während Trapper ihre Tierfelle auf den staubigen Straßen verkaufen, im Saloon ein blutiges Steak zum guten Ton gehört und klapprige Pferde die Kutschen ihrer gleichgültigen Besitzer bei sengender Hitze durch die Einöde ziehen. Der Wilde Westen, in dem Lucky Luke seit seinem ersten Abenteuer 1949 zu Gast ist, ist ein hartes Pflaster für Tiere. Bis jetzt. Denn der neueste Band der legendären Comicreihe widmet sich dem Tierschutz. Die chaotischen Ereignisse in „Rantanplans Arche“ basieren auf der wahren Geschichte von Henry Bergh, der 1866 die erste Gesellschaft für Tierschutz in den USA gründete. Daran lehnen die Schöpfer Achdé und Jul ein irrwitziges Abenteuer an: Vermeintliche Tierschützer verleiten den gutherzigen und zu Reichtum gekommenen Tierfreund Ovide Byrde dazu, nicht mehr nur verletzte und ausgesetzte Tiere auf seiner Farm aufzunehmen, sondern auch weniger sanfte Methoden anzuwenden, um seine Ansprüche an den Tierschutz durchzusetzen. Lucky Luke versucht für Gerechtigkeit zu sorgen, ohne dass die Tierwelt dabei zu Schaden kommt. Der Deutsche Tierschutzbund und der Verlag Story House Egmont kooperieren anlässlich der Veröffentlichung von „Rantanplans Arche“.
Achdé und Jul: Rantanplans Arche
48 Seiten, Egmont Ehapa Media, Berlin 2022
ISBN 978-3-7704-0418-6, 14 Euro (Hardcover) oder 7,99 Euro (Softcover)
Bildrechte: Artikelheader: Lucky Comics 2022/ Story House Egmont (Lucky Luke und Tiere); Fotos: Lucky Comics 2022/ Story House Egmont (Comic-Zeichnungen); Story House Egmont (Porträt)