Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Schuhe aus Pilzleder, Portemonnaies aus Bananenfasern und Taschen aus Kork – immer mehr vegane Lederalternativen erobern den Markt. „Zahlreiche Verbraucher achten nicht nur bei ihrer Ernährung, sondern auch beim Kauf von Kleidung, Accessoires oder der neuen Wohnzimmercouch vermehrt auf tierleidfreie, nachhaltige Produkte. Leder kommt für sie somit nicht infrage – denn mit der Herstellung geht schier unvorstellbares Tierleid einher“, sagt Verena Jungbluth, Leitung Veganismus beim Deutschen Tierschutzbund (lesen Sie zu diesem Thema unseren Artikel „Leder – mehr als ein Nebenprodukt: Grenzenloses Leid auf unserer Haut“ in der aktuellen Printausgabe 3/2022 von DU UND DAS TIER).
Neben den Verbrauchern sind gleichzeitig zahlreiche Firmen rund um den Globus auf der Suche nach neuen Materialien. So ist der Markt im Umbruch: Start-up-Unternehmen und Forscher entwickeln ganz unterschiedliche Alternativen, die aus veganen Rohstoffen bestehen und oft genauso robust, stylish und weich sind wie die gegerbte Tierhaut. Im Vergleich zu synthetischem Kunstleder schneiden pflanzliche und natürliche Lederalternativen in vielen Punkten besser ab: Die meisten von ihnen sind nicht nur atmungsaktiver, sondern auch weitaus ressourcenschonender, ökologisch abbaubar und somit deutlich nachhaltiger. Aber auch recycelte Kunstlederprodukte sind zum Beispiel eine gute Alternative zum tierischen Original.
Besonders gefragt ist zurzeit Pilzleder, beispielsweise aus Myzel, dem Wurzelgeflecht von Pilzen. „Es wird im Labor herangezüchtet – die Zellen werden dabei mit organischen Abfällen wie Mais und Sägespänen gefüttert“, berichtet Dr. Isabel Knößlsdorfer, Referentin für Veganismus beim Deutschen Tierschutzbund. „Die fadenartigen Myzelien breiten sich aus und bilden ein festes Gewebe, das schon nach kurzer Zeit geerntet und anschließend zu Produkten wie Schuhen, Handtaschen oder Geldbörsen weiterverarbeitet werden kann.“ Solche Lederalternativen aus Pilz haben einige Vorteile. Zum Beispiel benötigen sie im Herstellungsprozess im Gegensatz zu tierischem Leder keine giftigen Chemikalien und wachsen oft schnell nach, außerdem ist der Wasserverbrauch niedrig. Das trifft beispielsweise auch auf den Zunderschwamm zu, einen Baumpilz. Im rumänischen Transsilvanien kommt er besonders häufig vor – dort ansässige Familienbetriebe verarbeiten ihn bereits seit Generationen. „Der Pilz wird per Hand geerntet, bis zu einem Jahr getrocknet und anschließend geschält und von Hand weiterverarbeitet“, erläutert Knößlsdorfer. Um das Zunderschwamm-Leder vor Nässe zu schützen, tragen Unternehmen heutzutage verschiedene Beschichtungen auf, damit die Produkte noch haltbarer sind.
Mit einer Lebensdauer von mindestens zehn Jahren gilt auch das Leder der Nopal-Kakteen als besonders langlebig. Unternehmen nutzen es daher gern für Möbel und Autositze. Noch dazu ist Kaktusleder atmungsaktiv, biegsam und steht von der Haptik her tierischem Leder in nichts nach. „Außerdem gehört der Kaktus zu den nachhaltigsten Ressourcen – er benötigt besonders wenig Wasser und wächst auf Flächen, die anderweitig nicht genutzt werden können.“, sagt Knößlsdorfer. „Wie alle anderen Pflanzen hat er zudem den Vorteil, dass er zusätzlich CO2 speichert.“
Als Alternativen eigenen sich zudem verschiedene Obstsorten, darunter Ananas, Bananen, Äpfel und Birnen. Bei all diesen Sorten kommen Abfallprodukte zum Einsatz, die bei der Ernte, der Lebensmittel- oder der Saftproduktion anfallen. „Für Ananasleder zum Beispiel werden die langen Fasern von Ananasblättern verarbeitet, die normalerweise nach der Ernte übrig bleiben“, schildert Knößlsdorfer. Auch die Fasern von Bananenstauden sind Überbleibsel der Bananenernte. Sie gehören zu den stärksten Naturfasern und lassen sich sehr vielseitig einsetzen – etwa für Brieftaschen oder Schuhsohlen. „Apfelleder besteht wiederum größtenteils aus Apfelresten, die nach dem Entsaften getrocknet und gemahlen werden.“ Damit das „Leder“ eine stabile Textur erhält, wird entweder noch der Kunststoff Polyurethan, recycelte Baumwolle oder Abfallmaterial aus der Textilherstellung hinzugemischt. Ähnlich stellen Firmen auch Birnenleder her – Hauptbestandteil sind Birnenreste, die mit weiteren veganen und biologischen Zutaten vermischt und mit pflanzlichen Ölen beschichten werden, die die Produkte wasserabweisend machen. Wertvolle Reste fallen auch bei der Weinproduktion an: So gibt es Firmen, die aus Trester, also den Rückständen aus Stielen, Traubenschalen und Kernen, Weinleder herstellen.
Weitere Start-ups setzen auf Pflanzenblätter, zum Beispiel von Palmen, oder auf Holz wie etwa Kork. „Die Blätter der Betelnusspalme aus Indien werden zum Beispiel zu ‚Leder‘ verarbeitet, indem die eigentlich eher spröden, brüchigen Blätter in einer speziellen biologischen Lösung enthärtet werden. Nach einigen Tagen sind sie dann formbar und geschmeidig und können weiterverarbeitet werden“, so Knößlsdorfer. Eine etablierte vegane Lederalternative ist darüber hinaus Kork, ergänzt die Expertin. „Es wird aus der Rinde der Korkeiche hergestellt. Bäume müssen dafür nicht gefällt werden – die Rinde wird lediglich alle acht bis zwölf Jahre abgeschält.“ Hersteller zermahlen die Rindenteile dann zu feinem Granulat, das anschließend mit Bindemitteln und Klebstoffen vermischt und zu Blöcken gepresst wird. Was die Produkte aus Korkleder besonders begehrt macht: Sie alle behalten die unverwechselbare Maserung der Korkrinde bei – somit ist jedes Produkt ein Unikat.
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Anders als pflanzliche und natürliche Lederalternativen sind Produkte aus Kunstleder schon jetzt überall erhältlich. „Tatsächlich ist synthetischer Lederersatz oft nicht so schlecht, wie sein Image vermuten lässt“, so Knößlsdorfer. Zwar werden die verarbeiteten Kunststoffe aus erdölbasierten Ressourcen hergestellt, die biologisch nicht abbaubar sind, so die Expertin. „Dennoch schneidet beispielsweise Kunstleder aus Polyurethan, das zu den ungiftigen Kunststoffen gehört, hinsichtlich Nachhaltigkeit viermal besser ab als tierisches Leder.“ Darüber hinaus gilt Kunstleder als besonders haltbar, pflegeleicht sowie wasserabweisend und witterungsbeständig. Außerdem ist es vergleichsweise preiswert. „Bei Kunstleder, das nicht explizit als vegan gekennzeichnet ist, sollten Verbraucher vorsichtig sein – es ist möglich, dass dann tierische Bestandteile im Leim oder Kleber enthalten sind“, berichtet Knößlsdorfer. „Noch nachhaltiger sind Produkte aus recyceltem Kunststoff, zum Beispiel aus PET-Flaschen.“ Auf diese Weise wird nicht nur Plastikmüll sinnvoll wiederverwertet, es werden auch keine neuen fossilen Rohstoffe benötigt.
„Es ist erfreulich, dass die Auswahl tierleidfreier Produkte auch außerhalb der Ernährungsindustrie rasant wächst und immer mehr Start-ups den Markt mit ihren kreativen Ideen revolutionieren“, sagt Jungbluth. „Dies und die hohe Nachfrage nach solchen veganen Alternativen führen in eine hoffentlich tierleidfreie und nachhaltigere Zukunft.“