Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Kühe, die den ganzen Tag über sattgrüne Weiden wandern, friedlich grasen, frische Luft genießen und ihre Kälber säugen. Dieses idyllische Bild von glücklichen Kühen kennen die meisten von uns nur aus der Werbung für Milch, Butter oder Käse. Doch dies ist reine Augenwischerei, denn ein solches Leben bleibt den meisten Milchkühen verwehrt. Die Realität sieht vielmehr so aus: Viele von ihnen sind monatelang, oft sogar ganzjährig im Stall angebunden, sodass sie sich nicht einmal umdrehen können. Grüne Weiden sind dem Großteil fremd, denn weniger als 40 Prozent der Milchkühe in Deutschland haben Zugang zur Weide. Und statt frischem Gras erhalten viele von ihnen lediglich Silage und Kraftfutter.
Die Tiere sind Teil einer modernen Milchindustrie, die zum Teil absurde Ausmaße angenommen hat und ein übergeordnetes Ziel verfolgt: höchste Effizienz und möglichst viel Ertrag. So gehören auch vollautomatische Melkkarussells und Melkroboter zur Ausstattung der meisten Milchbetriebe, mit denen die Kühe zwei- bis dreimal täglich gemolken werden. Um ständig Milch sowohl für unseren unersättlichen Konsum als auch den Export in alle Welt zu liefern, müssen die Kühe im Durchschnitt jedes Jahr ein Kalb gebären. Bereits kurz nach der Geburt werden die Kühe von ihrem Nachwuchs getrennt, obwohl sie von Natur aus eine enge Mutter-Kind-Bindung haben. Die Zucht wurde unterdessen immer weiter „perfektioniert“, sodass Hochleistungskühe heute deutlich mehr der weißen Ressource produzieren als noch vor wenigen Jahrzehnten. Leistungsstarke Rassen wie die Deutsche Holstein geben sogar bis zu 10.000 Liter Milch pro Jahr – körperlich ein unglaublicher Kraftakt.
Allein mit Grünfutter können die auf Höchstleistung gezüchteten Wiederkäuer gar nicht so viel Energie aufnehmen, wie sie benötigen. Damit ihre Kühe gesund bleiben, müssen die Landwirte die Futteraufnahme, Nährstoffversorgung und Körperkondition ständig kontrollieren. „Werden hier Fehler gemacht, erkranken die Kühe sehr schnell“, erläutert Frigga Wirths, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Haben sie keinen Zugang zur Weide, können die sanften, sozialen und neugierigen Tiere ihre natürlichen Verhaltensweisen kaum ausleben und weder grasen noch umherlaufen, ungehindert liegen, wiederkäuen oder Sozialkontakte mit anderen Herdenmitgliedern pflegen. Die Bewegung und der Aufenthalt im Freien, die Sonneneinstrahlung und die Klimareize sind für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Tiere überaus wichtig. In Ställen, die meist nicht einmal einen Auslauf haben, fehlt all das jedoch. In Laufställen können sie zwar umherlaufen, aber oft sind dort zu viele Kühe untergebracht, zudem hat nicht jede von ihnen eine eingestreute Liegebox. So müssen manche dann auf dem harten Spaltenboden liegen, auf dem sie sich schnell die Haut aufscheuern.
In den meisten Fällen wird die Gesundheit der Hochleistungskühe extrem belastet. Im Durchschnittsalter von gerade einmal fünf Jahren, nachdem sie zwei bis drei Jahre lang gemolken wurden und zwischen den Geburten ihrer Kälber kaum Zeit hatten, sich zu regenerieren, sind die meisten Kühe körperlich derart ausgezehrt, dass sie geschlachtet werden – in Deutschland waren es im Jahr 2020 rund 1,1 Millionen Milchkühe. Dabei liegt die natürliche Lebenserwartung von Rindern bei bis zu 20 Jahren. „Erhebungen zeigen, dass der Gesundheitszustand von vielen Kühen in der Milchwirtschaft in Deutschland fragwürdig ist“, sagt Wirths.
Krankheiten wie Lahmheiten, Euterentzündungen sowie Stoffwechselerkrankungen seien eine direkte Folge der Haltungsbedingungen, der oft ungeeigneten Fütterung sowie der hohen Milchleistung und betreffen eine Großzahl der rund 3,83 Millionen Milchkühe, die hierzulande aktuell in insgesamt mehr als 54.000 Betrieben leben. Oft lassen Landwirte ihre Tiere nicht behandeln, da sie nicht immer erkennen, dass sie medizinische Hilfe benötigen, oder die Kosten einsparen wollen. „Wirtschaftliche Zwänge dürfen aber keine Rechtfertigung dafür sein, Tiere nicht angemessen zu versorgen“, betont Wirths.
Tatsächlich ist es Kontrolleuren oft kaum möglich einzuschreiten, wenn Haltungsbedingungen tierschutzwidrig sind. Denn obwohl es kaum zu glauben ist, gibt es hierfür kein offizielles Verbot: Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung regelt lediglich die Haltung von Kälbern bis zum Alter von sechs Monaten – Jungrinder und erwachsene Kühe sind nicht berücksichtigt. „Es ist also dringend nötig, dass eine Haltungsverordnung für sie eingeführt wird. Sie muss unter anderem die Überbelegung von Ställen verbieten, für jedes Tier einen Fressplatz und einen eingestreuten, ausreichend großen Liegeplatz vorschreiben und möglichst Auslauf im Freien ermöglichen“, sagt Wirths.
Ebenfalls problematisch ist nach wie vor die Anbindehaltung, die insbesondere in Süddeutschland weit verbreitet ist und bei der die Kühe in den Wintermonaten oder sogar das ganze Jahr an einem Platz fixiert sind – bundesweit betroffen sind insgesamt 11,6 Prozent der Milchkühe. Während sie auf einer Weide mehrere Kilometer am Tag zurücklegen würden, ist ihr Bewegungsradius angekettet jedoch komplett eingeschränkt. So macht die Anbindung es ihnen unmöglich, sich zu säubern, zu kratzen oder bequem hinzulegen.
Der Deutsche Tierschutzbund drängt daher seit Jahren auf ein Verbot dieser tierschutzwidrigen Praxis – egal ob ganzjährig oder saisonal. Um darüber hinaus mehr Rindern den Zugang ins Freie zu ermöglichen, fordert der Verband, die Weidehaltung und Weidemilch durch Weideprämien zu fördern.
Ein anderer Knackpunkt bleibt der Milchpreis, der wegen des Überangebots seit Jahren zu niedrig ist und es vielen Milchbauern unmöglich macht, im harten Wettbewerb zu bestehen. Um die Situation der Milchkühe zu verbessern und den Landwirten langfristige Planungssicherheit zu geben, wäre eine Lösung, das Überangebot an Milch zu reduzieren – etwa durch eine Abstockung der Bestände, sodass insgesamt weniger Kühe für den menschlichen Konsum gehalten werden, eine Abkehr von der Hochleistung und die Wiedereinführung einer Milchquote. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Milch grundsätzlich zu einem höheren Preis zu vermarkten. „Molkereien und Handel haben aber offensichtlich ein Interesse an Dumpingpreisen“, kritisiert Wirths.
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Aus diesem Grund muss die Politik, die viel zu lang aktiv am Leid der Tiere beteiligt war, endlich gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, um tiergerechtere Haltungsbedingungen für Milchkühe voranzutreiben und die Haltung für Landwirte rentabler zu gestalten. Durch Maßnahmen wie Förderungen des Staates, höhere Lebensmittelpreise und eine weniger auf den Export ausgerichtete Produktion ist das auch umsetzbar. So bleibt die Vorstellung von glücklichen Kühen künftig hoffentlich nicht mehr nur ein Trugbild aus der Werbung.
Wir alle können für den Schutz von Milchkühen eintreten. Verbraucher, die weiterhin Milch oder Milchprodukte kaufen möchten, sollten auf das Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes achten – hier profitieren die Kühe von weitaus besseren Haltungsbedingungen. Bei Produkten mit den Siegeln EU-Bio oder der Bio-Verbände Bioland, Demeter oder Naturland haben es die Tiere ebenfalls deutlich besser. Der konsequenteste Beitrag zum Tierschutz bleibt der Konsum von pflanzlichen Alternativen wie Hafer-, Soja-, Mandel- oder Reisdrinks, veganer „Käse“ und „Joghurt“. Auch mit Ihrer Spende können Sie helfen: tierschutzbund.de/milchkuh-dudt
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