Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Nur wenigen Menschen ist klar, wie hoch der Preis für Milch, Joghurt, Butter und Käse wirklich ist. Dabei gleichen nicht nur die romantischen Bilder auf den Verpackungen, die durch die Bank weg glückliche Kühe auf grünen Wiesen zeigen, blankem Hohn. Auch die Tatsache, dass jede Kuh jedes Jahr ein Kalb bekommen muss, um die Milchproduktion am Laufen zu halten, ist längst noch nicht allen bewusst. Nur wenige machen sich Gedanken darüber, was tatsächlich hinter den tierischen Lebensmitteln steckt, die so praktisch und allzeit verfügbar für ein paar Cent in jedem Supermarkt stehen. Die traurige Wahrheit ist, dass im Schatten der Milchindustrie allein in Deutschland jedes Jahr etwa vier Millionen Kälber auf die Welt kommen, von denen die meisten schon nach kurzer Zeit dem Tode geweiht sind.
Kälber sind, bis auf die Individuen für die Nachzucht, nichts weiter als Mittel zum Zweck, und damit ein Nebenprodukt im Überangebot. Mit der Folge, dass ein Kalb derzeit zu einem Preis von weniger als zehn Euro gehandelt wird. Noch nicht einmal zehn Euro. Ihr Leben ist also genauso viel wert wie ein Kinobesuch, ein Kosmetikartikel oder ein Taschenbuch. „In Deutschland ist die Nachfrage nach Kälbern zudem nicht groß genug, um alle hier geborenen Tiere auch zu mästen und zu schlachten“, erklärt Frigga Wirths, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Daher werden jährlich etwa 680.000 Kälber ins Ausland verkauft.“ Laut geltendem Recht sind diese schon in einem Alter von 14 Tagen transportfähig. So treten die meisten der kleinen Wesen bereits in ihrer dritten Lebenswoche den vom System vorgegebenen Transport in die Niederlande, nach Italien, Spanien, Belgien, Frankreich oder Polen an, wo auf sie erst die Mast und ein paar Monate oder eineinhalb Jahre später der Tod im Schlachthof warten. Einige werden sogar noch weiter in die Schlachtstätten in Nordafrika oder im Nahen Osten exportiert.
Laut Transportverordnung müssen die Kleinen nach neun Stunden Fahrt eine Pause von mindestens einer Stunde erhalten, in der sie Milch oder Milchpulver-Ersatz bekommen. Anschließend darf die Fahrt für weitere neun Stunden weitergehen. „Erst nach sage und schreibe 19 Stunden müssen die Kälber abgeladen, in einer Versorgungsstation getränkt sowie gefüttert werden, und muss eine Ruhepause von 24 Stunden stattfinden“, kritisiert Wirths. In der Zwischenzeit kämpfen die Tiere mit Angst, Hunger und Durst. „Zwar müssen die Transporteure die Flüssigkeitsversorgung während der Fahrt sicherstellen, die Kälber trinken aber oft nicht, weil die Tränken auf den Lkw oft nicht für sie geeignet oder defekt sind“, so Wirths. „Da es zudem rein technisch nicht möglich ist, sie auf dem Lkw mit der für sie lebensnotwendigen Milch zu versorgen, kommt es nicht selten vor, dass die Fahrer einfach durchfahren.“ Nach 19 Stunden oft später, kommen die Tiere dann durstig, hungernd, völlig gestresst und geschwächt an der Versorgungsstation an.
Doch selbst dort ist nicht immer gewährleistet, dass alle ausreichend trinken. „Manche sind zu erschöpft, andere kennen die angebotenen Vorrichtungen nicht.“ Nach 24 Stunden Pause – vorausgesetzt sie wird eingehalten – geht die Fahrt auf die gleiche Art und Weise weiter. Abgesehen davon, dass solche Transporte auch für erwachsene Tiere eine wahre Tortur sind, haben die Kälber ein noch schwaches Immunsystem. „Neben Durst und Hunger belasten das Verlassen der gewohnten Umgebung, der Kontakt mit betriebsfremden Kälbern und die ungewohnte Fahrsituation die Tiere enorm“, so Wirths. Im Sommer leiden sie zudem oft unter großer Hitze und frieren im Winter bei Kälte oder Zugluft. Die Fahrten sind bei Temperaturen zwischen fünf und 30 Grad erlaubt. „Viele Kälber werden spätestens am Zielort krank, weil sie derart geschwächt sind und ihr Immunsystem völlig überbelastet ist.“
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Obwohl all das seit Jahren bekannt ist, ändert sich nichts. Und die tierquälerischen Transporte rollen munter weiter über den Asphalt. Nur einen kleinen Lichtblick gab es letztes Jahr, als sich einige Veterinärämter weigerten, solche Transporte aufgrund der mangelnden Versorgung während der Fahrt abzufertigen. Allerdings erhoben die Transportunternehmen daraufhin Klage und bekamen vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen im Dezember 2019 recht. Auch der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim bestätigte das Urteil wenig später. Es hat sich also bis heute nichts verbessert. Dem Deutschen Tierschutzbund bleibt nichts anderes übrig, als weiter alle Hebel in Bewegung zu setzen, um für das Ende dieser Tierqual zu kämpfen. Die geltende Transportverordnung muss dringend überarbeitet werden, und Fahrten sollten in keinem Fall länger als acht Stunden dauern. „Wir richten unseren Appell an die Verantwortlichen der Politik, endlich wahrzunehmen, dass diese Quälerei auf ihre Kosten geht, und fordern sie auf, dem Wahnsinn endlich ein Ende zu setzen.“