Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Die Deutschen lieben es: ihr Fleisch. Ob Schnitzel, Schinken, Steak oder Filet – fertig abgepackt und günstig zu haben liegt es in den meterlangen Supermarktregalen. In unzähligen Varianten und ständig verfügbar – die Quelle scheint nie zu versiegen. Nach wie vor verzehren die Deutschen pro Kopf etwa 60 Kilogramm Fleisch im Jahr. Unangefochtener Spitzenreiter ist dabei das Schwein. So lag der Schweinefleischverbrauch 2019 bei über 47 Kilogramm pro Kopf, womit Schweine als wichtigste Fleischlieferanten circa 60 Prozent des gesamten Konsums ausmachen. Die Zahl der Tiere, die dafür jedes Jahr aufs Neue geschlachtet werden: 55 Millionen.
Dabei sind sowohl die Schweine, die am Ende ihres Lebens als Schnitzel, Schinken oder Speck auf den Tellern landen, als auch ihre Eltern das Ergebnis jahrelanger hochspezialisierter Zucht – mit schweren Folgen. „So führt zum Beispiel die derart hohe Zahl an Ferkeln schon in der Gebärmutter der Muttersau, aber auch während der Säugezeit zu massiver Konkurrenz. Erst um Sauerstoff und Nährstoffe, später um Zitzenplätze und Milch“, erklärt Dr. Miriam Goldschalt, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Hinzu kommt, dass häufig mehr Jungtiere zur Welt kommen, als die Sau Zitzen hat, und Ferkel somit systematisch zur Wegwerfware werden. „Es ist inzwischen nachgewiesen, dass mit höherer Ferkelzahl auch die Anzahl der Tiere steigt, die von allein sterben oder getötet werden, weil sie zum Beispiel zu schwach sind.“ Darüber hinaus entwickeln nahezu alle hochgezüchteten Schweine, die heute auf die Welt kommen, körperliche Leiden, sodass ihr Leben täglich mit mehr oder weniger schweren Schmerzen verknüpft ist. „Unter anderem entstehen diese dadurch, dass das noch jugendliche Skelett mit der schnellen Massenzunahme nicht mitkommt und die Gelenke und Knochen dadurch degenerativ verändert werden“, so Goldschalt. Das bedeutet, dass die Tiere ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch beschwerlich laufen, sich hinlegen und aufstehen können. „Darüber hinaus leiden viele Hochleistungsschweine unter einer genetisch bedingten krankhaften Stressanfälligkeit, die zu massiven Schmerzzuständen und sogar zum plötzlichen Tod führen kann.“ Von den unsäglichen Haltungsbedingungen, meist auf Beton, voller Enge, fern von Tageslicht und ohne die Möglichkeit, das natürliche Verhalten ausleben zu können, ganz zu schweigen.
Die Muttersauen sind dazu verdammt, die Ferkel für die Zucht und die Mast wie am Fließband zu gebären und verbringen dafür einen Großteil ihres Lebens in Kastenständen, in denen sie weder richtig aufstehen noch sich drehen können – wir berichteten darüber in den vergangenen Ausgaben von DU UND DAS TIER bereits mehrfach. Während diese Muttertiere in den engen Käfigen als Gebärmaschinen fungieren, leben die Eber in Besamungsstationen, auch Vaterstationen genannt, oder direkt aufden einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben. Dort werden sie jeweils in die Individuen unterschieden, die der Zuchttiervermehrung dienen, und in die, die für neue Masttiere sorgen – also für Nachkommen, die später das Fleisch für den menschlichen Konsum liefern. „Eine natürliche Besamung der Sauen durch einen Natursprung der Eber ist in der heutigen Intensivtierhaltung allein schon durch die schiere Masse an Tieren und die damit verbundenen und festgefahrenen Produktionsrhythmen nicht umsetzbar“, erklärt Goldschalt. Schließlich sollen in möglichst kurzer Zeit auf möglichst effizientem Wege möglichst viele Ferkel entstehen. Damit das gelingt, ist die Produktion eng getaktet und auf die gleichgeschaltete künstliche Besamung sehr vieler Sauen ausgelegt. Damit die dafür nötigen Spermamengen zur Verfügung stehen, werden die Eber üblicherweise dreimal pro Woche abgesamt. „Aus Tierschutzsicht ist die künstliche Besamung Teil eines kranken Systems“, kritisiert Goldschalt.
Neben den Schweinen sind auch die Mastputen und ihre Eltern das Ergebnis einer jahrelangen Hybridzucht. Die Zuchtprogramme liegen dabei heute in der Hand von lediglich zwei Putenzuchtunternehmen im Ausland, die die Urgroßeltern- und Großelterngeneration züchten – in Ländern wie Deutschland werden dann die Elterntiere gehalten, die die späteren Masttiere produzieren. Diese leben hierzulande nach Geschlechtern getrennt in Bodenhaltung. Und die fatalen Folgen der Hochleistungszucht sind auch hier auf den ersten Blick sichtbar. „Die Hähne werden durch die Zucht auf Masse so groß und schwer, dass eine natürliche Paarung nicht mehr möglich ist, weil sie die Hennen dabei schwer verletzen würden“, so Franziska Hagen, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Also werden sie, wie die Eber, manuell abgesamt. „Wenn dies tierschonend durchgeführt wird, sollten den Tieren keine Schmerzen entstehen. Es handelt sich jedoch um Akkordarbeit und es sind in der Vergangenheit durchaus tierquälerische Handlungen in diesem Zusammenhang aufgedeckt worden“, kritisiert Hagen. „Unabhängig davon bedeuten das häufige Zusammentreiben und die Manipulation des Körpers natürlich Stress.“ Eine weitere Folge der Zucht auf eine möglichst hohe Fleischleistung und ein schnelles Wachstum: Wie ihre Nachkommen in der Mast werden auch die Hähne in der Elterntierhaltung bei unbegrenztem Futterangebot sehr schnell sehr schwer. „Das hohe Gewicht der Tiere wirkt sich jedoch wiederum negativ auf ihre Samenqualität aus, erschwert das Handling beim Absamen und es treten – wie bei ihren Artgenossen in der Mast – weitere gesundheitliche Probleme wie die sogenannte Beinschwäche auf. Zusätzliche Herz-Kreislaufprobleme, die entstehen, wenn das Gewicht zu hoch wird, können zudem dazu führen, dass die Tiere vorzeitig sterben“, so Hagen. Also werden die Hähne restriktiv gefüttert. Das bedeutet, sie bekommen weniger Futter als sie brauchen, um satt zu werden.
kritisiert Hagen. Während der Hunger der Hähne für eine wirtschaftlich rentable Produktion von Samen einfach so in Kauf genommen wird, werden die Hennen mithilfe eines speziellen Lichtprogramms permanent stimuliert, damit sie besamt werden können. Um zu verhindern, dass sie nach der Eiablage ihrem natürlichen Verhalten nachgehen und zu brüten beginnen, wird alles eingesetzt, was die Tiere stört und aufscheucht: helle Ausleuchtung des Nestbereichs, häufiges Einsammeln der Eier und Umtreiben der Tiere in verschiedene Gehege. „Die sogenannte Brütigkeit wird auf diese Art und Weise verhindert, weil brütige Hennen keine weiteren Eier mehr legen würden, somit nicht mehr wirtschaftlich rentabel wären und geschlachtet werden ‚müssten‘“, so Hagen. Generell leben die Hennen in der Elterntierhaltung etwa 56 Wochen, bevor ihre Leistung abnimmt und sie getötet werden.
Auch die Elterntier-Zucht bei den Masthühnern liegt weltweit bei nur zwei Unternehmen und auch diese Tiere leben hauptsächlich in Bodenhaltung. In einem ersten Schritt erzeugen sogenannte Basiszuchtbetriebe die Elterntierküken und verkaufen sie dann an Vermehrungsbetriebe. In diesen wachsen die Küken zunächst nach Geschlechtern getrennt heran, bevor sie anschließend gemeinsam aufgezogen werden, sodass befruchtete Eier entstehen. „Zuvor wird jedoch ein Großteil der Hähne aussortiert, sodass nur circa ein Hahn pro neun Hennen in der Produktion landet“, berichtet Inke Drossé, Leiterin der Abteilung Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Im ganzen Prozess bleiben jede Menge Tiere auf der Strecke. Denn sowohl in der Aufzucht als auch während der späteren Ei-Produktion verenden Tiere oder werden ausrangiert, weil sie sich nicht weiter eignen oder krank sind. „Wenn man die Zahlen aus den verschiedenen Produktionsphasen in der EU summiert, ist davon auszugehen, dass bei den Hennen bis zu 14 und bei den Hähnen bis zu 35 Prozent der Tiere frühzeitig sterben oder getötet werden“, so Drossé. Die Tiere, die eingesetzt werden, leben – bis sie nach 60 bis 65 Wochen ausgedient haben und im Schlachthof landen – mit bis zu 8.000 Artgenossen auf engstem Raum in einer Gruppe zusammen, ohne Tageslicht und auf der gleichen Einstreu, die immer weiter verdreckt. Ein Produktions-Betrieb mit mehreren Gruppen kommt so auf bis zu 30.000 Elterntiere.
Neben den Haltungsbedingungen ist das größte Tierschutzproblem auch hier die Futterrestriktion. Und das ist sogar noch schlimmer als bei den Puten. „Bei den Masthühnern müssen die Tiere beider Geschlechter hungern, weil sonst starke Einbußen in der Fertilität der Hähne und Hennen entstehen würden“, so Drossé. „Würde man die Elterntiere so viel fressen lassen, wie sie wollten, würden sie in kürzester Zeit extrem schwer werden und dann unter anderem an Leberverfettung, Herz-Kreislaufproblemen und Beinschäden erkranken und sterben.“ Zwar gibt es Versuche, dem Hungergefühl der Tiere mit Stroh und Füllstoffen wie Sägemehl oder Haferkleie entgegenzuwirken, diese lassen jedoch nur ein kurzes Sättigungsgefühl entstehen und können langfristig Magen-Darm-Probleme verursachen. „So leiden viele Hühner unter chronischem Hunger, sind gestresst, reagieren auf die ganze Situation natürlich aggressiv, kämpfen um die Futtertröge, übertrinken sich, um den leeren Magen zu füllen, und entwickeln weitere Verhaltensstörungen.“ Darüber hinaus leiden die Hennen unter fehlenden Rückzugsmöglichkeiten vor den Hähnen, und sind dadurch zusätzlich gestresst.
Um welche Tierart es sich auch handelt – wie alle anderen Bereiche der industriellen Landwirtschaft offenbart auch die Elterntierhaltung, wie krank das ganze System ist und wie viele Opfer es fordert. „Wir brauchen dringend einen Systemwandel, der zu kleineren Beständen und anderen Produktionsmechanismen führt. Ein geringerer Konsum von Fleisch ist dafür eine wichtige Grundvoraussetzung“, fordert Drossé. Generell muss der Umgang mit den Tieren in jedem Fall, zu jeder Zeit und in allen Bereichen des Systems so schonend wie möglich sein. „Das bedeutet auch, dass die Haltung von Elterntieren gesetzlich geregelt werden muss. Darüber hinaus muss der Weg von der Hochleistungszucht weg und hin zu Tieren führen, die schmerz- und leidensfrei leben können.“