Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
DU UND DAS TIER wird 50. Frau Dr. Rusche, Sie haben fast vier Jahrzehnte dieser Zeit beim Deutschen Tierschutzbund miterlebt. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihren Einstieg denken?
Dr. Brigitte Rusche: Ich war damals als Fachreferentin schwerpunktmäßig für Artenschutz und Tierversuche zuständig. Die ersten Tiere, mit denen ich mich 1983 beschäft igt habe, waren Meeresschildkröten. Es gab damals Film-Dokumentationen, wie die Tiere gefangen und am Strand bei lebendigem Leib zerteilt wurden – ich konnte nächtelang nicht schlafen. Ein Dauerschwerpunkt war auch die Novellierung des Tierschutzgesetzes von 1972.Unsere Argumente zu Tierversuchen habe ich damals mit Renate Schmidt intensiv diskutiert. Sie war damals die einzige Parlamentarierin, die sich wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt und eine eigene Position bezogen hatte. Sie war sehr nah bei uns.
Wie hat sich der Deutsche Tierschutzbund seitdem verändert?
Rusche: Damals waren wir in der Bundesgeschäftsstelle zehn Mitarbeiter. Wir haben fachliche Stellungnahmen verfasst, Pressearbeit geleistet, Tierschutztelegramme geschrieben und eingetütet und nicht zuletzt Artikel für DU UND DAS TIER geschrieben, die Tierschutzvereine bei sämtlichen Anliegen unterstützt, sind zu ihren Mitgliederversammlungen gefahren und haben den Tierschützern von den aktuellen Entwicklungen zu Tierversuchen oder zur Nutztierhaltung berichtet, und ich musste Fernsehdiskussionen zu Tierversuchen, zur Jagd, zur Nutztierhaltung, zum Artenschutz und zur Pelztierhaltung ebenso bestreiten wie allerlei Interviews im RTL-Morgenmagazin. Ich erinnere mich noch mit Schrecken an die Nächte in Luxemburg im Hotel, in denen ich alle 30 Minuten hochgeschreckt bin, aus lauter Angst, den Wecker um 4.30 Uhr am Morgen zu überhören. Wir waren Tag und Nacht im Einsatz an sieben Tagen die Woche. Heute haben wir rund 160 Mitarbeiter und damit ausgewiesene Fachkräfte nicht nur für die inhaltliche Begleitung der Tierschutzthemen, sondern auch für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, für Tierheimberatung, für Marketing, für politische Lobbyarbeit, für Rechtsfragen und nicht zu vergessen, für die Rahmenbedingungen, die ein großer Verband braucht, damit die Arbeit erfolgreich sein kann.
Wie bewerten Sie die gesellschaftliche Bedeutung des Tierschutzes – im Vergleich damals und heute?
Rusche: Schon die gestiegene Zahl an Mitarbeitern und deren enorme Professionalität sind ein Spiegel für die gewachsene Bedeutung des Tierschutzes. Damals wurden Tierschützer immer noch als Spinner abgetan, die Vorstellungen vom Umgang mit Tieren hatten, die weit von der Realität entfernt waren. Für die Bürger spielte sich Tierschutz vorwiegend bei Hund und Katze ab. Heute ist der Tierschutz in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die politische Bedeutung und die Zahl derjenigen, die vor Tierleid nicht mehr die Augen verschließen, ist gewachsen und Tierschutz wird nicht mehr belächelt. Das ist sicher auch ein Verdienst der Medien, die heute die tägliche Tierquälerei ins Wohnzimmer bringen. Leider hilft das aktuell den Tieren, gerade in den großen Problemfeldern Tierversuche und Tiere in der Landwirtschaft, noch nicht wirklich. Und in Corona-Zeiten müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Tierqual wie illegaler Welpenhandel wieder zunimmt.
Ein Blick ins Archiv von DU UND DAS TIER erweist sich als spannende Zeitreise. Leider erwecken einige alte Artikel den Eindruck, als sei die Zeit stehengeblieben, denn die vor Jahrzehnten beschriebenen Tierschutzprobleme sind aktueller denn je. Glücklicherweise enthalten die Magazine aber auch Missstände, die heute kaum noch vorstellbar sind. Experten des Verbandes kommentieren aus gegenwärtiger Sicht. Lesen.
Was verbinden Sie mit DU UND DAS TIER?
Rusche: DU UND DAS TIER war immer ein wichtiges Medium – in einigen Bereichen das einzige für uns. Wir konnten informieren, Politiker, interessierte Wissenschaftler und unsere Mitglieder erreichen. Wenn wir Politiker lobten oder kritisierten, stellten wir an der Resonanz fest, dass die Zeitschrift gelesen wurde. Titelblätter mit Entscheidungsträgern, die im Tierschutz versagt haben oder mit Wissenschaftlern, die an Tierquälerei beteiligt waren, führten zu heißen Diskussionen in der Öffentlichkeit. Und es wird immer schwieriger, bei allen Tierschutzentwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben. Hier leistet DU UND DAS TIER bis heute einen unverzichtbaren Beitrag und war und ist das eindeutig erkennbare Sprachrohr des Verbandes.
Herr Schröder, Sie sind seit 2011 Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Nach Ihrer Wiederwahl 2019 sagten Sie in DU UND DAS TIER: „Die letzten acht Jahre haben mir viel Kraft gegeben.“ Woraus ziehen Sie diese?
Thomas Schröder: Jeder Besuch in einem Tierheim gibt Kraft. Zu erleben, wie da Menschen für die Mitgeschöpfe da sind, ohne Fragen, ohne Bedenken, Ehrenamt wie Hauptamt. Da erkenne ich immer wieder, warum und für wen ich das auf mich nehme. Ich spüre in vielen Gesprächen, auch in den politischen Runden in Berlin, dass sich was ändert. Natürlich lerne ich in solchen Runden auch die Denke des Anderen kennen. Das hilft manchmal, erste Lösungsschritte zu erkennen. Der Deutsche Tierschutzbund wird als Gesprächspartner gesucht, das war vor Jahrzehnten noch anders. Ja, das braucht noch langen Atem. Aber dann gilt es eben, tief Luft zu holen. Da bin ich durch und durch optimistisch, dass unser Weg, Schritt für Schritt, mal große und eben auch mal kleine, voranzugehen, überzeugen wird.
Ein Dauerbrenner im Magazin ist die Landwirtschaft. Warum gibt es in diesem Bereich noch immer so viele Missstände?
Schröder: Tierschutz wird von großen Teilen der tierhaltenden Landwirtschaft immer nur als Kostentreiber bewertet. Das steht diametral gegen die gesellschaftlichen Wünsche. Uns geht es nicht darum, Technik abzulehnen. Aber da, wo Technik ausschließlich dazu dient, „mehr aus dem Tier rauszuholen“, da bleiben wir scharfe Kritiker. Das Umdenken bei Tiernutzern beginnt, aber zu langsam. Die breite Ignoranz der Tiernutzer den gewachsenen ethischen Ansprüchen gegenüber hat die Branche in die Krise geführt, nicht die wissenschaftlich begründeten Forderungen des Deutschen Tierschutzbundes nach einem Mehr an Tierschutz. Und wer glaubt, dass Deutschland und Europa die Welt ernähren müssen, der irrt gewaltig. Das Gegenteil stimmt: Unsere bisherige Art zu wirtschaften, Tiere zu nutzen, auszuzehren, die ist in vielen Regionen der Welt Ursache für Hunger und Dürre. Und das bringt uns noch weiter ran an die planetarischen Grenzen, und dann wird sich keiner mehr ernähren können.
Auch über die grausamen Tiertransporte berichtet DU UND DAS TIER von Beginn an. 50 Jahre später stellt sich die Frage, wie lange die Lebendtransporte noch rollen?
Schröder: Die rollen zu lange, viel zu lange. Mein Vorgänger Wolfgang Apel hat die ersten investigativen Recherchen begleitet, in den 80er-Jahren. Fast 40 Jahre später sehen wir immer noch ähnliche grausame Bilder. Das muss ein Ende haben, sofort und jetzt.
Bremsen auch die politischen Zuständigkeiten manchen Fortschritt im Tierschutz aus? In einem Interview im Jahr 1980 warb Dr. Andreas Grasmüller, damals Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, dafür, das Tierschutzressort aus dem Bundesministerium für Landwirtschaft auszugliedern. „Man kann nicht einerseits für die Vermarktung verantwortlich sein und andererseits die zu vermarktenden Tiere schützen.“ Wie schätzen Sie dies ein?
Schröder: Ich will mal festhalten, dass einige der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sehr an bandenmäßig organisierte Strukturen von Wirtschaftskriminalität erinnern. Da wurden von Verbänden der Tiernutzer ganz offen Fristen ignoriert, ja sogar gesetzliche Vorgaben übergangen. Und dann gibt es da ein Bundesministerium, das immer noch die Produktions- und auch Exportsteigerung als Grundpfeiler deutscher und europäischer Agrarpolitik sieht. Da kommt es zu Abhängigkeiten, wenn dann die Branche sagt, mit weiteren ordnungsrechtlichen Auflagen können wir im globalen Markt nicht mehr mithalten und so weiter. Und zunehmend sind die weiteren Auswirkungen einer Produktion auf immer engerem Raum mit immer mehr Tieren sichtbar: Nitratbelastungen, Umweltschäden. Daher muss Agrarpolitik zu einer Ernährungspolitik werden, die eben auch die Schnittstellen zu Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz einbindet. Das geht nicht in einem Ministerium, das im Kern organisiert, wie das Tier genutzt werden darf, und eben nicht den Schutz. Zugleich ist die Tierschutzfrage zu einer bedeutenden gesellschaftlichen Debatte geworden, auch deswegen reicht es nicht mehr, das mit einer Abteilung in einem Ministerium abzuarbeiten.
Als Dachverband berichtet der Deutsche Tierschutzbund im Magazin immer wieder über den praktischen Tierschutz. Was muss sich für die Tierheime ändern?
Schröder: Viel und fast alles. In vielen Amtsstuben werden die Tierheime immer noch zu oft zu Bettlern degradiert. Das ist respektlos gegenüber dem Ehrenamt und wird den großartigen Leistungen nicht gerecht. Wir brauchen eine kostendeckende Erstattung der für die Gesellschaft und letztlich konkret für die Kommunen erbrachten Leistungen. Ich würde gerne mal den Malermeister erleben, der gerade das Rathaus gestrichen hat, und dem der Bürgermeister dann sagt: Das sieht toll aus, da bekommst du viel Lob in der Stadt, aber eine Rechnung, die zahlen wir nicht. Niemand würde das akzeptieren, aber mit den Tierheimen wird so umgegangen. Uns geht es nicht um goldene Wasserhähne. Es geht um die optimalen Bedingungen für das Tier, das hoffentlich immer nur kurz in einem Tierheim bleibt. Verstanden werden muss aber auch, dass dafür Heizung und Wasser und Personal nötig sind. Und auch die Auflagen des Arbeitsschutzes eingehalten werden müssen. Das kostet und das muss den Bürgermeistern ein Mitgeschöpf auch wert sein.
„Es ist geschafft “ titelte DU UND DAS TIER 2002. War die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz einer der wichtigsten Erfolge für den Verband?
Rusche: Ganz sicher war und ist das Staatsziel einer der wichtigsten Erfolge. Für mich ist es ungebrochen ein Ziel, das Staatsziel Tierschutz mit Leben zu erfüllen. Damit sind wir auch gleich beim Wermutstropfen. Bis heute ist es inhaltlich nicht ausgefüllt. Selbst Gerichte tun sich nach wie vor schwer, es in ihren Urteilen zu beachten. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.
Herr Schröder, Ihr Vorgänger Wolfgang Apel hat zum Staatsziel Tierschutz geschrieben: „Das Bohren dicker Brett er ist mühsam, stellenweise auch frustrierend. Doch wer nicht nur den Tageserfolg zum Maßstab seines Handelns macht, wird es letztendlich auch schaffen, Visionen zu realisieren.“ Inwiefern gilt dies noch heute?
Schröder: Ja, auch kleine Erfolge sind Motivation. Und jede Verbesserung für das einzelne Tier, die wir gemeinsam mit unseren Mitgliedern erkämpfen, verändert vielleicht nicht die Welt für alle. Aber es verändert die Welt für das einzelne Tier. Schon deswegen lohnt es, den Bohrer immer wieder an das Brett anzusetzen. Die Vision ist letztlich, dass wir Tierschützer quasi arbeitslos sind, weil kein Tier mehr für den menschlichen Nutzen leidet. Das wird kaum in 50 Jahren machbar sein, befürchte ich, aber aufgeben gilt nicht. Wir haben was bewegt und wir werden weiter bewegen.
Um ein besseres Leben für die Tiere zu ringen, ist mühsam, aufreibend und von Rückschlägen geprägt. Doch es lohnt sich: ein Rückblick auf besondere Momente und Etappensiege.