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„Es gibt berechtigte Zweifel, ob wir die Kurve noch kriegen.“

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„Es gibt berechtigte Zweifel, ob wir die Kurve noch kriegen.“

Prof. Dr. Dr. Kai Frölich, Vorstand der Arche Warder, spricht im Interview mit DU UND DAS TIER über alternative Formen der Landwirtschaft, die Zucht alter Rassen und das notwendige Ende des Effizienzgedankens der Massentierhaltung.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

DU UND DAS TIER: Warum ist es wichtig alte Rassen zu erhalten? Warum sind sie schützenswert?

Nichts ist im Leben so konstant wie die Veränderung. Und die Landwirtschaft wird sich auch verändern. Sie steht jetzt schon ziemlich unter Druck. Mit einem großen Genpool, einer großen Agrobiodiversität, haben wir mehr Möglichkeiten extensive Landwirtschaft zu betreiben, vor allen Dingen auch, wenn man sich weltweit die landwirtschaftliche Produktion ansieht. 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe sind kleinbäuerlich. Und dafür brauchen sie lokal angepasste Rassen – um zum Beispiel kleine Betriebe auf den Philippinen oder in Zentralafrika zu erhalten. Sie können nicht mit europäischen Tieren dort Landwirtschaft betreiben. Mit diesen Tieren können Sie dort nur etwas simulieren, was wir nicht wollen. Wir brauchen Vielfalt in der Landwirtschaft, um zum Beispiel auf Veränderungen im Klima vorbereitet zu sein und mit der Produktionsweise proaktiv zu werden.

Professor Dr. Dr. Kai Frölich, Direktor der Arche Warder in Schleswig-Holstein

Professor Dr. Dr. Kai Frölich, Direktor der Arche Warder in Schleswig-Holstein

DU UND DAS TIER: Welche Vorteile haben die alten Rassen und wie unterscheiden sie sich von den auf Hochleistung gezüchteten Artgenossen?

Ich könnte jetzt die triviale Antwort geben: weil sie robuster sind. Aber jetzt ist die Frage, was ist genau Robustheit. Robustheit hat fünf Faktoren und eine davon ist die Widerstandsfähigkeit gegenüber Erregern. Die moderne Schweinehaltung ist ja so aufgebaut, dass fast sterile Bedingungen herrschen. Sie dürfen ja noch nicht mal als Tierarzt da rein, weil diese Tiere nur auf das Merkmal Fleischzuwachs – 700 bis 900 Gramm pro Tag – gezüchtet worden sind. Andere Merkmale wie zum Beispiel auch eine gute Futterverwertung spielen keine Rolle. Mit rohstoffreichem Futter sollen die Tiere ja gar nicht klarkommen, denn sie sollen ja schnell zunehmen. Diese Schweine sind spezialisiert auf energiereiches Futter. Doch Robustheit machen andere Elemente aus: Wenn Tiere beispielsweise widerstandsfähig gegen Witterungseinflüsse und gegen Krankheiten sind, mit energiearmem, rohstoffreichem Futter zurechtkommen sowie leicht gebären, die Geburten also unkompliziert verlaufen. All das ist bei den Hochleistungsrassen eben nicht der Fall. Sie sind sehr spezialisiert, sie sind sehr gut im Fleischzuwachs pro Tag, aber ihnen fehlen die universellen Fähigkeiten. Im Gegenteil: Diese gehen immer mehr verloren. Und deswegen sind die alten Rassen in den allgemeinen Fähigkeiten stärker. Ganz konkret eliminieren alte Rassen Erreger anders als Hochleistungsrassen. Sie eliminieren den Erreger hochsignifikant schneller und intensiver und sogar immunologisch anders. In der Abwehrleistung gegenüber Erregern unterscheiden sie sich fundamental von Hybridrassen.

DU UND DAS TIER: Züchten Sie nur hier vor Ort oder verkaufen Sie Ihre Tiere auch an interessierte Landwirte?

Ja genau, das ist der Sinn. Die Leute haben Interesse und Lust auf Tiere alter Zuchtrichtungen zu setzen. Es ist ein großer Trend, wieder auf alte Rassen zu züchten, und dafür müssen sie natürlich genetisch einwandfreie Tiere haben. Die züchten wir hier.

DU UND DAS TIER: Wie bekommen Sie das hin?

Wir kooperieren zum Beispiel mit Herdzuchtbüchern. Darüber vernetzen und koordinieren wir uns, um die wenigen Individuen zu kennen, die wirklich auch für die Zucht geeignet sind. Und dann analysiert man die Tiere im Idealfall genetisch, weil der Phänotyp nicht unbedingt der Genotyp ist und ein Tier, das so hübsch aussieht wie ein Angler Sattelschwein noch lange kein Angler Sattelschwein sein muss. Gerade erst haben wir in einem großen EU Projekt ganz angewandte Arbeit mit Züchtern gemacht und genau analysiert: Welche Tiere stecken da wirklich drin und welche können wir tatsächlich zur Zucht nutzen?

DU UND DAS TIER: Was hat es mit den Satellitenstationen der Arche Warder auf sich?

Sie können auf 40 Hektar Fläche unmöglich 1.200 Tiere halten. Die machen Erosionen, es herrscht eine hohe Parasitenbelastung und das Infektionsrisiko steigt. Daher müssen Sie Tiere auslagern. Der Nebeneffekt ist, dass die Tiere, die ja alle vom Aussterben bedroht sind, dann auch noch geschützt sind.

DU UND DAS TIER: Was sind die „Wilden Weiden“ der Arche Warder?

Dabei handelt es sich um extensive Landwirtschaft. Die Wilden Weiden sind sozusagen Areale, auf denen wir nicht nur Rinder halten, um Fleisch zu züchten, sondern dort wollen wir auch Grünland in einer maximalen Diversität erhalten. Wir haben herausgefunden, dass die Artenvielfalt im Bereich der Insekten, Laubkäfer, aber auch im Bereich der Pflanzen viel höher ist, wenn wir diese Weiden mit großen Weidetieren beweiden. Sie dürfen sie eben nur nicht übernutzen, können aber eine höhere Artenvielfalt erreichen, wenn Sie intelligent beweiden.

DU UND DAS TIER: Warum ist das so?

Weil die Tiere, die hier früher gelebt haben, natürlicher Bestandteil des Systems der Beweidung waren. Die Pflanzen waren auch an die Beweidung angepasst. Jetzt haben wir diese Tiere ausgerottet, aber die ökologische Nische vom Auerochsen und Bisent ist noch vorhanden. Und um dieses Szenario wiederherzustellen, brauchen wir ausgewählte alte Rassen.

DU UND DAS TIER: War es jemals angedacht oder ist es geplant, die Tiere hier in der Arche Warder nur um ihrer selbst willen zu schützen, ohne, dass sie geschlachtet werden?

Man kann die Tiere ja auch noch auf anderem Wege nutzen, als sie zu schlachten. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die ganzen Haustiere Produkte der menschlichen Kulturgeschichte und eines Domestikationsprozesses sind. Ich finde es ganz toll, Wildtiere einfach in Ruhe zu lassen und sie nicht zu nutzen – genau so sollte man mit ihnen umgehen. Aber Haustiere sind ja an der Seite des Menschen entstanden– und sie brauchen und mögen den Menschen auch. Sie jetzt einfach herumlaufen zu lassen und sie anzuschauen, halte ich nicht für artgerecht. Wir haben sie durch die Zucht für eine bestimmte Eigenschaft domestiziert, und nach ihren jeweiligen Zuchtzielen sollten wirdie Tiere dann auch nutzen, selbst wenn wir sie schlachten – es würde sie nicht geben, wenn man sie nicht auch schlachten würde. Ich persönlich finde, dass wir die Tiere gut halten und so stress- und schmerzfrei wie möglich töten müssen, dann können wir sie auch schlachten. Aber eben nicht in dieser Anzahl und auch nicht auf diese Art und Weise.

DU UND DAS TIER: Wäre es möglich, die Tiere so zurückzuzüchten, dass sie die Anpassung an den Menschen wieder verlieren und wieder mehr dem Urtyp entsprechen?

Es gibt Beispiele von der Verwilderung von Haustieren. Zum Beispiel sind die Dingos in Australien nichts anderes als Haustiere. Auch alle Pferde in Nordamerika sind verwilderte Haustiere. Aber sie bleiben genetisch doch Haustiere, auch wenn sie durch die natürliche Auslese zusätzliche Merkmale bekommen, weil sie ja dann der Natur unterliegen. Aber sie werden niemals mehr die Stammform erhalten. Das geht nicht.

Professor Dr. Dr. Kai Frölich, Direktor der Arche Warder in Schleswig-HolsteinDU UND DAS TIER: Wie unterscheiden sich die Tiere alter Rassen im Fleischansatz und in der Milch- und Legeleistung?

Die Unterschiede sind gigantisch. Weil die Hochleistungstiere nur auf dieses eine oder zwei Merkmale gezüchtet sind, können die alten Rassen hierbei nicht mithalten. Sollen sie aber auch gar nicht. Sie sehen ja die Effekte, die daraus resultieren. Wenn wir bei den Hühnern nur noch Legeleistung fordern, brauchen wir 50 Prozent der Tiere, die Männchen, nicht mehr. Das sind die ganzen Effekte, die bei der Hochleistungszucht zutage kommen und deswegen bin ich auch grundsätzlich dagegen. Wir sollten wieder universelle Eigenschaften und eine extensive Landwirtschaft fördern. Die heutige Form der Landwirtschaft führt in eine Sackgasse. Sie führt zu kurzfristigen Erfolgen in der Effizienz, aber langfristig vor allem zu großen Umweltschäden.

DU UND DAS TIER: Wenn wir die Landwirtschaft immer mehr auf die alten Rassen umstellen, haben wir weniger Fleisch, Eier und Milch zur Verfügung. Zudem brauchen wir für eine artgerechte Haltung viel mehr Fläche. Welche Folgen hat das für den Konsum tierischer Produkte?

Ich halte es für sinnvoll, dass wir weniger Fleisch konsumieren. Der Faustwert: um die Hälfte reduzieren und doppelt so teuer vermarkten. Das bleibt in der Bilanz dasselbe und ist gesünder. Vielleicht reicht es auch, die Produkte ein bisschen teurer zu machen, damit die niedrigen Einkommensklassen nicht darauf verzichten müssen. Aber es ist ja eben so, dass wir nur acht Prozent unseres Einkommens für die Ernährung verwenden. Wenn wir daraus zehn Prozent machen, können auch geringere Einkommensklassen damit leben – damit müssen wir einfach auch leben.

DU UND DAS TIER: Das Konzept der Arche Warder geht weit über das reine Züchten hinaus.

Absolut. Wir möchten auf ausgewählten Arealen zeigen, dass eine Versöhnung zwischen Naturschutz und Landwirtschaft möglich ist. Natürlich mit geringerem Output. Das ist klar, das ist die Konsequenz. Aber ich möchte, dass die Leute sich wirklich mal Gedanken machen, was uns die Massentierhaltung, diese Produktionsform, alleine kostet. Ganz ideologiefrei. Und nehmen wir sogar mal ökologische Effekte raus. Rein die finanziellen Effekte werden ja auf die Gesellschaft abgetragen.

DU UND DAS TIER: Ist Ihre Arbeit auch ein politisches Statement?

Auf jeden Fall. Es ist ein politisches Statement gegen die Form der Landwirtschaft, in die wir immer mehr reingeraten sind, weil wir dachten: Das geht noch effizienter, das bekommen wir noch besser hin. Dabei sehen wir einfach nicht, was für unglaubliche Umweltschäden entstehen. Ich möchte, dass die Leute sich wirklich mal Gedanken machen, was die Massentierhaltung alleine kostet – was wir zudem den einzelnen Individuen antun, das ist gar nicht in Worte zu fassen. Aber alleine diese Umweltschäden muss irgendwann ja auch jemand bezahlen. Da muss man nicht besonders schlau sein, um zu erkennen, dass Partikularinteressen unheimlich gewinnen, aber die Gesellschaft eigentlich verliert.

DU UND DAS TIER: Die Arche Warder fungiert auch als Bildungseinrichtung. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihren Angeboten?
Die Leute haben inzwischen verstanden, dass es den Klimawandel gibt. Aber dass der Artenschwund genauso massiv und bedrohlich ist, ist noch nicht überall angekommen oder sogar wieder etwas in den Hintergrund getreten. In den 80er-Jahren gab es schon mal mehr Bewusstsein für den Naturschutz und das Artensterben. Ich möchte hier bei uns zeigen, dass die Stärke der Natur die Vielfalt ist.

DU UND DAS TIER: Wie bekommen wir die zwei Welten zusammen. Auf der einen Seite das Extrem der heutigen Landwirtschaft und auf der anderen das Gegenmodell, welches Sie hier in der Arche Warder vorleben?

Das können wir nur schrittweise machen, indem wir auf verschiedenen Ebenen anfangen. Zunächst müssen wir die Leute informieren, was das für eine Landwirtschaft ist, die wir da haben. Das ist nicht die Landwirtschaft, die sie glauben zu haben. Dann müssen wir sie informieren, was diese Landwirtschaft ökologisch und finanziell kostet und nicht nur, was sie uns bringt. Sie bringt uns nicht nur billiges Fleisch, sondern sie kostet auch unheimlich viel. Verändern müssen wir das schrittweise.Wir können das nicht auf die einzelnen Landwirte abwälzen und auch nicht komplett auf den Verbraucher. Stattdessen müssen wir das Förderungssystem schrittweise ändern, ein Punktesystem einführen und die besonders nachhaltig und ökologisch arbeitenden Betriebe mit Punkten und letztlich Subventionen belohnen. Und wir dürfen nicht über die Fläche subventionieren – das lehne ich wirklich strikt ab. Da werden wieder nur Partikularinteressen noch mehr belohnt und nicht die, die sich wirklich Gedanken machen, wie wir nachhaltig und ökologisch Landwirtschaft betreiben können. Wir werden dann sicherlich nicht weniger Outputerreichen und auch nicht so effizient sein. Das muss es aber auch nicht, weil wir den Großteil der Produktion sowieso exportieren und damit die lokale Landwirtschaft auf den anderen Kontinenten kaputtmachen.

DU UND DAS TIER: Haben Sie die Hoffnung, dass sie in Zukunft wirklich fundamental etwas ändert?

Das ist die Gretchenfrage, die zurzeit ganz viele Menschen stellen – vor allem auch die Jugend, die stark betroffen ist. Es gibt berechtigte Zweifel, ob wir die Kurve noch kriegen. Man sollte jetzt nicht so blauäugig sein und sagen, das schaffen wir schon irgendwie. Es muss jetzt wirklich etwas passieren. Natürlich ist da die Politik gefragt. Wir müssen zügig weg von der aktuellen Form der Subventionierung und hier erst mal die Natur wieder in ein Gleichgewicht bringen, bevor wir mit dem Finger auf andere Länder zeigen. Wir müssen auf verschiedenen Ebenen anfangen. Wir können nicht nur sagen, wir machen die Kohlekraftwerke dicht. Ich finde, dass Deutschland ein Vorbild sein muss. Man soll jetzt auch nicht immer so mitleidig mit den Politikern und Parteien sein. Sie haben gewaltige Ressourcen zur Verfügung, um etwas umzusetzen. Sie haben gewaltige Steuereinnahmen, gewaltige Expertise und gewaltige Möglichkeiten auf andere Expertise zurückzugreifen. Es muss einfach etwas mehr Mut sein, in eine Richtung mal konsequent vorzugehen. Wenn man immer nur sagt, dass sich alles verändern soll, ohne dass irgendetwas Gravierendes passiert – das kann nicht funktionieren.

DU UND DAS TIER: Was kann jeder Verbraucher tun?

Als Verbraucher kann ich meinen Fleischkonsum, mein Ernährungsverhalten verändern und überlegter einkaufen. Uns muss trotzdem klar sein, dass die Mär, dass der Verbraucher derjenige ist, der alles verändern kann, Quatsch ist. Wenn Sie von heute auf morgen alles umstellen, kommen Sie von zehn Tonnen CO2 pro Jahr auf sieben Tonnen runter. Weil zum Beispiel der Kaffee schon 10.000 Liter Wasser braucht, um hergestellt zu werden und so weiter. Die Lebensform, die wir jetzt haben, ist nicht kompatibel mit den Ressourcen dieser Welt. Unsere Lebensform in Gänze ist dafür nicht geeignet. Das heißt: Der Einzelne kann etwas tun, aber muss vor allem darauf plädieren, dass sich strukturell etwas ändert. Das ist der entscheidende Punkt. Deswegen ist Fridays for Future gut. Jeder kann weiterhin sein Verbraucherverhalten in eine bessere Richtung anpassen, aber es muss vor allem klar werden: Wir wollen diese Lebensform jetzt verändern. Und sei es nur zum Ziel, dass wir hier überleben.

DU UND DAS TIER: Warum ist die Arche Warder einen Besuch wert?

Die Arche Warder ist ein wirklicher Entschleunigungsort – und Sie werden hier zum Nachdenken angeregt. Wenn Sie hier längsgehen, erleben Sie wieder einen Zugang zur Natur und den Tieren. Und Sie leisten natürlich einen Beitrag, dass die alten Rassen wirklich erhalten bleiben. Mit Ihrem Besuch fließt das Geld direkt in die Erhaltungszucht.

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