Es hat sich viel bewegt

Titelthema

Es hat sich viel bewegt

Ein Blick ins Archiv von DU UND DAS TIER erweist sich als spannende Zeitreise. Leider erwecken einige alte Artikel den Eindruck, als sei die Zeit stehengeblieben, denn die vor Jahrzehnten beschriebenen Tierschutzprobleme sind aktueller denn je. Glücklicherweise enthalten die Magazine aber auch Missstände, die heute kaum noch vorstellbar sind. Experten des Verbandes kommentieren aus gegenwärtiger Sicht.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Aus DU UND DAS TIER 4/75: In der Vergangenheit haben Tierheime die Tötungspraxis zum Teil sehr großzügig gehandhabt. Der Untertitel „Tiertötungsstelle“ oder die Bezeichnung des Tierheimes als „Tiertötungsstelle“ im Briefbogen waren nicht ungewöhnlich. Zugegeben: Eine großzügige Tötungspraxis kann insbesondere finanzielle und Platz-Probleme in einem Tierheim weitgehend lösen. Daß jedoch der Tierschutzverein nicht gerade das beste Image in den Augen der Bevölkerung genießt, ist der hierfür zu entrichtende Preis. Ein Tierheim als Tiertötungsanstalt — ist das noch Tierschutz?

„Tierheimtiere in Deutschland rein aus finanziellen Aspekten und Platz-Problemen zu töten, ist heutzutage zum Glück unvorstellbar und unter Berücksichtigung des Tierschutzgesetzes kein vernünftiger Grund. Die Tierheime sind untereinander und im Deutschen Tierschutzbund gut vernetzt, sodass sie sich gegenseitig aushelfen können. Leider ist es abseits von real noch existierenden Tötungsstationen in einigen Ländern aber durchaus noch üblich, dass Tiere aufgrund der großen Aufnahmezahlen nach einer gewissen Zeit im Tierheim getötet werden.“

Dr. Patrick Kluge, Leiter der Tierheimberatung


Aus DU UND DAS TIER 1/76: Bei den Dreharbeiten […] hat der Regisseur […] zunächst ein Huhn aus einem Fenster eines Hochhauses werfen lassen, das den Sturz überlebte. Erst zwei Legehennen aus einem Eiersilo, unfähig, ihre Flügel zu gebrauchen, klatschten drehbuchgemäß aufs Pflaster! […] Der Angeklagte hat überzeugend ausgeführt, daß er diese Szene nur dann hat wirkungsvoll realistisch filmen können, wenn dabei tatsächlich ein lebendes Huhn auf dem Pflaster zerschmettert. Eine andere Möglichkeit hätte er nicht gehabt. Insbesondere hätte eine andere Art der Darstellung, z. B. mit einem bereits toten Huhn, sein künstlerisches Empfinden erheblich gestört. Darüber hinaus machte der Angeklagte geltend, durch das Tötungsverbot ohne vernünftigen Grund in seinem Grundrecht der künstlerischen Verwirklichung seiner Ideen beeinträchtigt zu sein. Diesen Argumenten ist das Gericht im vollen Umfang gefolgt.

„Wirklich schockierend! Heute sind wir da zum Glück etwas weiter, so wurde zum Beispiel 2014 eine Kunstperformance in Berlin verboten, bei der zwei Hundewelpen mit Kabelbindern auf der Bühne erdrosselt werden sollten. Dass Tiere oder Teile von Tieren, die zuvor betäubt und getötet wurden, völlig unnötigerweise bei „Kunstaktionen“ Verwendung finden, kommt jedoch immer noch auch in Deutschland vor. Vom Ausland – auch innereuropäisch – will ich dabei gar nicht erst anfangen …“

Nina Brakebusch, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund


Aus DU UND DAS TIER 3/81: Versuchstierhändler kann jeder werden, er muß sein Gewerbe nur anmelden. Eine gewerbliche Zulassung ist nicht erforderlich.

„Das war nicht einmal etwas Besonderes. Das änderte sich erst mit der Novelle des Tierschutzgesetzes von 1986, auf die auch der Deutsche Tierschutzbund aktiv Einfluss nahm. Das wirkliche Erschütternde daran war allerdings, dass es keine Einschränkungen gab, woher die Tiere kamen, die in den Versuchslaboratorien landeten. Es konnten auch Tiere aus Privathaushalten aufgekauft oder aus der „Wildnis“ gefangen und an Labore weiterverkauft werden. Die Novelle von 1986 führte dazu, dass Versuchstierhändler und –züchter eine Erlaubnis bei der zuständigen Behörde einholen mussten. Dies führte schlussendlich dazu, dass Tiere für die Verwendung in Versuchstierlaboren gezüchtet wurden und auch nur diese Tiere in Laboren verwendet werden durften. Leider gibt es immer noch Ausnahmen von diesen Regelungen, insbesondre bei Primaten.

Tilo Weber, Referent für Alternativmethoden zu Tierversuchen beim Deutschen Tierschutzbund


Aus DU UND DAS TIER 5/92: Der Vorstand der Karstadt AG hat beschlossen, ab sofort keine importierten Papageien mehr anzukaufen, sondern nur noch Nachzuchten aus dem Bereich der Europäischen Gemeinschaft.

„Es dauerte noch bis 2005, bis – zunächst befristet, dann unbefristet – ein Importverbot für wild gefangene Vögel in die EU erlassen wurde. Die Begründung hierfür war jedoch nicht der Tierschutz, sondern vorrangig die Sorge, über die Wildvögel könnten sich Krankheitserreger wie die Vogelgrippe schneller in der EU verbreiten.

Das bedeutet, dass sich heutzutage nur noch nachgezüchtete Vögel im Zoofachhandel befinden. Aber auch hier gibt es Tierschutzprobleme. Handaufzuchten erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit, da den Vögeln der Ruf vorauseilt, besonders zutraulich und zahm zu sein. Dabei handelt es sich hier um zumeist verhaltensgestörte Vögel, die ihr Leben lang Probleme haben können, ein normales Sozialverhalten gegenüber Artgenossen zu entwickeln.“

Dr. Henriette Mackensen, Leiterin der Abteilung Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund


Aus DU UND DAS TIER 5/06: […], plant ein Investor die Inbetriebnahme einer gigantischen Schweinezucht- und Mastanlage für 85.000 Schweine im brandenburgischen Haßleben. Die Planung sieht vor, die Schweine auf einstreulosen Voll- und Teilspaltenböden […] zu halten. Sollte die Anlage genehmigt werden, kündigt der Deutsche Tierschutzbund […] an, dass er […] klagen wird.

„Als der Schweinemäster die Neugenehmigung eingereicht hat, gab es rund 1.200 Einwendungen, da das Vorhaben gegen den Tier-, Natur und Umweltschutz sowie das Baurecht verstieß. Er reduzierte die Zahl der Mastplätze und erhielt für 37.000 schließlich die Baugenehmigung. Auf dem Weg, diese aufheben zu lassen, mussten die Kläger, allen voran der Deutsche Tierschutzbund, die Verbände NABU und BUND und andere Bürgerinitiativen viel Durchhaltevermögen aufbringen. 2017 war es endlich soweit und im Sommer 2020 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den Antrag auf Zulassung zur Berufung zurückgewiesen. Damit endet ein 16 Jahre langer, mit beträchtlichem finanziellem Einsatz geführter Einsatz.“

Evelyn Ofensberger, Leiterin der Abteilung Recht beim Deutschen Tierschutzbund


Stillstand, der uns fordert


Aus DU UND DAS TIER 1/92: Jeder kann handeln. Es genügt nicht, über die echte und vermeindliche Untätigkeit der Politiker zu schimpfen; jeder von uns sollte unter dem Eindruck dieser Bilder handeln. Zum Beispiel durch bewußten Verzicht auf Konsum von Fleisch. Man muß ja nicht unbedingt gleich zum Vegetarier werden (obwohl das sicherlich nicht schaden würde). […] Wo keine Massen konsumiert werden, bedarf es auch keiner Massenhaltung.

„Heute leben rund acht Millionen Menschen hierzulande vegetarisch und etwa eine Million vegan. Dass das Bewusstsein für eine tierfreundliche Ernährung wächst, beweisen auch die immer größere Vielfalt an veganen Produkten und die lange Liste der Unternehmen, die auf pflanzliche Alternativen setzen – das war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Doch bei aller Euphorie muss klar sein, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt. Denn der pro Kopf Verbrauch von Fleisch ist immer noch immens hoch, Billigpreise bestimmen den Markt und Millionen Tiere leiden. Hinzu kommen der Raubbau an der Natur und der Klimawandel, an dem die Produktion tierischer Lebensmittel großen Anteil hat. Um wirklich etwas zu verändern, ist noch mehr Engagement nötig – von jedem Einzelnen, dem Handel und der Politik. Unsere Überzeugung, dass Tierliebe beim Essen beginnt und unser Aufruf, mit jeder Mahlzeit einen Unterschied zu machen, ist daher aktueller und wichtiger denn je.“

Verena Jungbluth, Leiterin der Abteilung Veganismus beim Deutschen Tierschutzbund


Aus DU UND DAS TIER 1/96: Es ist nicht das erste Mal, daß wir über die katastrophalen Zustände in den Hundezuchten […] berichten. […] Nichts hat sich geändert, die elende Tierquälerei an Hunden, die als Gebärmaschinen kommerziell mißbraucht werden, an Welpen, die unter grauenhaften Umständen gezüchtet werden, geht weiter, und durch legale und illegale Billigimporte zumeist kranker Tiere aus Polen, Tschechien oder Ungarn ist […] alles noch schlimmer geworden.

„Leider haben wir auch heute, 15 Jahre später, weiterhin mit illegalen Importen aus Osteuropa und anderen Ländern zu kämpfen. Die Zahlen illegal gehandelter Tiere sinken nicht – im Gegenteil. Die Corona-Krise scheint dieses massive Problem geradezu anzutreiben. Zusätzlich müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Eine wichtige Rolle hierbei spielt der anonyme Handel mit Tieren über das Internet. Dieser muss endlich gesetzlich reguliert werden.“

Dr. Romy Zeller, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund


Aus DU UND DAS TIER 5/96: Auf den Wiesen österreichischer und bayerischer Bauernhöfe sind sie als Touristen-Attraktion beliebt: die gutmütigen, blonden Haflingerfohlen, idyllisches Werbemotiv für Ferien auf dem Bauernhof. Doch wenn die Saison vorüber ist und die Touristen verschwinden, ist es aus mit der Idylle. Dann verursachen die […] Fohlen den Winter über nur Futterkosten. Da es nicht genug Kaufinteressenten für sie gibt, treten sie den Todesmarsch zum Pferdemetzger an.

„Daran hat sich leider nicht viel geändert und es betrifft nicht nur Haflinger-, sondern auch Norikerfohlen. Es kann doch nicht sein, dass im 21. Jahrhundert noch Jungtiere zur Belustigung von Kindern herangezogen werden, heile Welt vorgespielt wird, um sie nachher mitleidslos an den Schlachthof in Italien zu verschachern. Diese würdelose, profitorientierte Behandlung muss endlich ein Ende finden.“

Andrea Mihali, Leiterin der Abteilung für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund


Aus DU UND DAS TIER 2/99: 1986 kam die Bundesregierung einer Forderung des Deutschen Tierschutzbundes nach und erließ mit dem Tierschutzgesetz ein bundesweites Verbot von „Qualzuchten“. […] Man könnte meinen, damit sei das Problem der Rassehunde und -katzen, der Kleintiere oder Vögel, die an zuchtbedingten Schäden leiden, erledigt. Doch leider weit gefehlt. Züchter und „Liebhaber“ bestimmter Hunde-, Katzen-, Kleintier- oder Vogelrassen, die sich in Schönheitswettbewerben mit ausgefallenen Züchtungen profilieren wollen, bestreiten, daß die fehlgezüchteten Tiere leiden. Die für den Vollzug des Tierschutzgesetzes zuständigen Behörden und Gerichte tun sich schwer das Qualzuchtverbot umzusetzen.

„Im Jahr 2021 kämpfen wir immer noch gegen die Problematik der Qualzuchten an. Außer Urteilen gegen einzelne Sphynx-Katzen-Zuchten, also von Nackt-Katzen, hat sich leider nichts getan. Ganz im Gegenteil – es wird im Hochsommer ein Hunderennen für Möpse organisiert, die aufgrund ihrer Kurzköpfigkeit oftmals nicht in der Lage sind, mehrere Meter am Stück zu laufen, geschweige denn im erhöhten Tempo. Oft vergessen wird auch, dass es Qualzuchten nicht nur bei Hunden und Katzen, sondern auch bei kleinen Heimtieren, Reptilien und Tieren in der Landwirtschaft gibt.“

Lisa Hoth, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund


Aus DU UND DAS TIER 4/92: Jagdhundeprüfungen an lebenden Wildschweinen in kleinen Hatzgattern sind, so unglaublich es klingen mag, leider nach wie vor traurige Realität. Die anstehende Novellierung des Tierschutzgesetzes bietet die beste Gelegenheit, der archaischen Verwendung lebender Übungstiere zur Jagdhundeausbildung und -prüfung endlich Einhalt zu gebieten.

„Die Ausbildung von Jagdhunden an lebenden Tieren in Schwarzwildgattern oder Schliefanlagen ist nach wie vor traurige Realität. Zudem werden weiterhin tausende lebende „Übungsenten“ bei der Prüfung von Jagdhunden ‚verbraucht‘.“

James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund

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