Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Läuft ein Zebra über die Autobahn – so könnte ein schlechter Witz beginnen. Doch leider blieb den Beobachtern des Ereignisses im Oktober das Lachen im Halse stecken. Pumba, so der Name des Tieres, war in der Nähe von Tessin in Mecklenburg-Vorpommern aus einem Zirkus entlaufen. Nachdem er einen Unfall auf der A20 verursacht hatte und sich, anders als ein zweites Zebra, weder vom Dompteur noch von Polizei und Feuerwehr hatte einfangen lassen, entschieden die Behörden, das Tier zu erschießen anstatt es zu betäuben. Ein viel zu harter Schritt. Das Drama um Pumba zeigt wieder einmal, dass Wildtiere nicht in den Zirkus gehören. Verdenken kann man dem Zebra den spontanen Ausflug, der keinesfalls hätte passieren dürfen, nicht, schließlich ziehen seine Artgenossen kilometerweit durch Steppen – und keine Kreise in der Manege. Wildtiere leiden in der Zirkushaltung und gefährden bei solchen Zwischenfällen auch immer wieder Menschen. Der drastischste Fall ereignete sich im Juni 2015, als ein Zirkuselefant einen Spaziergänger tötete.
Anfang 2019 hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen beantragt, die Wildtierhaltung in Zirkussen zu beenden. In einer öffentlichen Anhörung während der parlamentarischen Beratungen baten die Abgeordneten James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund, sowie weitere geladene Sachverständige im Oktober dazu um eine fachliche Einschätzung. Er bestätigte ihnen ebenso wie die Landestierschutzbeauftragte von Berlin, dass die hohen Ansprüche an die Wildtierhaltung in einem Zirkus keineswegs erfüllbar sind. Gegenteilig sahen dies erwartungsgemäß die von CDU/CSU und FDP berufenen Zirkusvertreter. Wenige Tage später stimmte die Mehrheit im Bundestag gegen den Antrag.
Wildtiere sind nicht domestiziert, also nicht über Jahrhunderte an den Menschen gewöhnt. „Sie brauchen viel Platz, spezielles Klima, besondere Nahrung und einen artgerechten Sozialverbund, also eine Gruppe für Herdentiere oder eben wenig Umgang mit Artgenossen oder gar anderen Tierarten, wenn es sich um Einzelgänger handelt“, erklärt Brückner. All dies können Zirkusse nicht leisten. Es beginnt bereits mit den Gehegen und den Vorgaben der Zirkusleitlinie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, das Zirkustiere offensichtlich als Tiere zweiter Klasse deklariert. So ist beispielsweise für Braunbären in Zoos eine Mindestfläche der Gehege von ohnehin schon fragwürdigen 500 Quadratmetern vorgesehen. In Zirkussen sind aber bereits 75 Quadratmeter zulässig. Der Deutsche Tierschutzbund empfiehlt 5.000 Quadratmeter. Lediglich sechs Stunden pro Tag müssen sie laut der Leitlinie Zugang zum Außengehege und einem Badebecken haben. Selbst wenn sie die übrigen 18 Stunden im engen Käfigwagen verbringen, sind die Auflagen erfüllt. Das Ministerium und Zirkusbetreiber rechtfertigen die geringeren Vorgaben damit, dass Zirkustiere täglich verhaltensgerecht beschäftigt werden. Gemeint sind das Training oder Auftritte in der Manege. „Dabei dauern diese nicht lang und sind teilweise sogar gänzlich artwidrig und grob fahrlässig, wie der Kopfrüsselstand bei Elefanten. Ein weiterer Missstand: Die Dompteure entreißen die Jungtiere teilweise ihren Eltern viel zu früh für die Dressur, um sie auf Menschen zu prägen und oftmals auch körperlich zu misshandeln. So etablieren sie ihren dominanten Rang“, sagt Brückner.
Kein Wunder, dass die Bundesländer im Bundesrat bereits 2003, 2011 und 2016 von der Bundesregierung gefordert haben, zumindest bestimmte Wildtiere in Zirkussen zu verbieten – bislang ohne Erfolg. Seit dem Sommer 2018 haben sich Vertreter des Landwirtschaftsministeriums von Julia Klöckner sogar mehrmals geheim mit Vertretern der Zirkusbranche getroffen, um neue Regelungen für die zukünftige Haltung von Wildtieren im Zirkus zu diskutieren.
„Wer hinter verschlossenen Türen mit den Zirkusbetreibern berät und die Vertreter des Tierschutzes dabei bewusst außen vor lässt, setzt damit schon vorab ein klares Zeichen – und das sicherlich nicht im Sinne der Tiere“, kritisiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Gemeinsam mit weiteren Tier-, Natur- und Artenschutzorganisationen hat der Verband an Klöckner appelliert, Konzepte einsehen und kommentieren zu können sowie die Tierschützer bei künftigen Gesprächen einzubinden.
Immer mehr Kommunen stehen Zirkussen mit Wildtieren kritisch gegenüber und vergeben keine Standflächen mehr an sie. Aus Tierschutzsicht ist dies ein richtiger Schritt. Doch das entlässt die Große Koalition nicht aus der Verantwortung. „Zunehmend mehr Länder inner- und außerhalb Europas gehen mit gutem Beispiel voran und fassen entsprechende Beschlüsse zu Wildtierverboten, darunter zuletzt Irland, Italien oder Dänemark. Doch die Bundesregierung hat es über Jahre versäumt. Ein grundlegendes, bundesweites Wildtierverbot ist längst überfällig“, sagt Brückner.
Im Zirkus leben Elefanten statt in Herden oft allein oder mit unzureichendem Kontakt zu Artgenossen. Die täglich über Stunden angebundenen Tiere zeigen Verhaltensstörungen und sterben meist früher.
Wildtiere haben selbst in zu kleinen Zoogehegen bis zu zehnmal mehr Platz als im Zirkusgehege.
Tiger sind Einzelgänger. Im Zirkus leben sie in Gruppen – oft ohne Rückzugsmöglichkeit und sogar mit völlig anderen Arten wie Löwen.
Für ihre Kunststücke werden die Tiere oft mit Zwang oder sogar Gewalt dressiert.
Zebras, Kamele oder Lamas haben nur selten Zugang zu einer Wiese. Sie stehen oft den ganzen Tag in Boxen, auf Beton oder Schotter.
Abgesehen von einer Ausnahme sind alle Elefanten in deutschen und europäischen Zirkussen Wildfänge.
Nashörner, Nilpferde und Kängurus müssen die Strapazen der Reisen und der Haltung ertragen, nur um als reine Schautiere durch die Manege geführt zu werden.
Verhaltensstörungen wie Stereotypien, zum Beispiel das ständige Wackeln mit dem Kopf, treten nur bei Tieren in Menschenhand auf.
Amtstierärztliche Kontrollen stellen immer wieder Verstöße gegen das Tierschutzrecht fest – nach Angaben von Bund und Ländern im Schnitt sogar bei der Hälfte der Visiten.
Reisetage verbringen die Tiere nicht selten komplett in den kleinen Transportwagen, während die Mitarbeiter die Ausläufe ab- und wieder aufbauen. Bis zu fünfzigmal pro Jahr wechseln sie den Standort.