Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Es ist der 19. Februar 2024. In Kapstadt stinkt es so höllisch, dass die Behörden alarmiert sind. Zunächst gehen sie davon aus, dass der Gestank von einer defekten Abwasseranlage kommt. Doch Fehlanzeige. Er wird von einem Schiff verströmt, das im Hafen liegt. Die Al Kuwait hat 19.000 Rinder geladen, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit zweieinhalb Wochen unterwegs sind – der Transport ist in Brasilien gestartet und soll die Tiere in den Irak bringen. Wie muss es im Inneren eines Schiffs erst riechen, wenn der Gestank schon außerhalb so stark ist, dass er die Behörden einer Millionenstadt auf den Plan ruft? Südafrikanische Tierschützer*innen, die an Bord waren, berichten von schrecklichsten Bedingungen. Der Fall geht durch die internationale Presse und das außergewöhnlich hohe Medienecho zieht Proteste nach sich. Doch für die Tiere ändert sich nichts. Das Schiff verlässt den Hafen aufgrund der Aufmerksamkeit sogar vorzeitig – ob genug Futter an Bord gebracht wurde, um die Rinder zu versorgen, ist nicht bekannt.
Wer denkt, dass das ein schrecklicher Einzelfall war, muss leider der Realität ins Auge blicken, dass solche Transporte die Regel und keine Ausnahme sind. Jedes Jahr werden Millionen Tiere über die Weltmeere transportiert.An Bord befinden sich meistens Rinder oder Schafe, die dazu bestimmt sind, die hohe Nachfrage nach Fleisch zu stillen, die die Zielländer selbst nicht decken können.
Die Hauptabnehmer der europäischen Tiere sind Libyen, Jordanien, Saudi-Arabien, Israel, der Libanon und die Türkei. Fast alle Schiffe, die Tiere aus der EU transportieren, fahren von Häfen in Spanien, Kroatien, Slowenien und Rumänien ab. „Das heißt aber nicht, dass die Tiere ausschließlich aus diesen Ländern stammen. Viele von ihnen haben vorher schon eine Fahrt auf Lkw hinter sich, auch deutsche Tiere sind darunter“, erklärt Frigga Wirths, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Die Bundesrepublik exportiert zum Beispiel jedes Jahr zehntausend sogenannte Zuchtrinder nach Nordafrika und Nahost, hauptsächlich nach Ägypten und Marokko.“ Neben der EU sind Australien und Brasilien groß im Geschäft. Während Australien jährlich etwa 500.000 Rinder und Schafe zum Schlachten und zur Zucht nach Nahost, China, Indonesien und Vietnam verschifft, beliefert Brasilien 23 Länder mit fast 400.000 Rindern und baut den Export derzeit laut Medienberichten aus. Auch Schafe, Ziegen, Rinder und Kamele aus dem Sudan, Äthiopien und Somalia gelangen über den Seeweg in den Nahen Osten. Bei all diesen Transporten sind zwei Arten zu unterscheiden: Sogenannte Fähren bringen mit Tieren beladene Lkw von einem Hafen in den anderen, die Tiere bleiben also die ganze Zeit über in den Lastwagen. Bei dem Transport per Schiff werden die Tiere mit Lkw angeliefert und dann zu Tausenden oder Zehntausenden auf Schiffsdecks in Abteilungen untergebracht. Das bedeutet, die Tiere müssen an den Häfen zunächst von den Lkw hinunterlaufen, dann auf die Schiffe hinauf, am Zielhafen wieder hinunter und erneut auf Lkw, um in die Schlachthöfe zu gelangen. Nach dem ersten beschwerlichen Transport über Land, bei dem die Tiere nur in den seltensten Fällen vernünftig versorgt werden, ist dieses Umladen für sie die nächste große Belastung. „Die dafür vorgesehenen Rampen an den Schiffen sind oft zu steil und ungeeignet für die jeweilige Tierart. Zudem erfolgt das Verladen häufig durch ungeschultes Personal, das mit unnötiger Gewalt agiert“, kritisiert Wirths. „Den Tieren wird nicht genug Zeit gegeben. Es wird geschrien, geprügelt und es werden Elektrotreiber eingesetzt.“ Immer wieder stürzen Tiere und trampeln aufeinander. „Es kommt auch vor, dass sie ins Wasser fallen.“ Bei einer solchen anonymen Massenabfertigung ist es nicht verwunderlich, dass die Bedürfnisse der Individuen kaum eine Rolle spielen. Von welchen Dimensionen wir hier sprechen, zeigt das Ausmaß der Schiffe: Das größte in der EU zugelassene Schiff für Rinder kann 18.000 Tiere, das größte für Schafe 75.000 Tiere auf einmal laden. Das größte Tiertransportschiff der Welt fasst sogar mehr als 30.000 Rinder.
Eigentlich bräuchten die Tiere nach den Strapazen der stunden- oder tagelangen Anfahrt erstmal eine Pause, etwas zu fressen und zu trinken. Erst recht, wenn man bedenkt, dass es jetzt in der Regel noch einmal Stunden oder Tage dauert, bis sie auf den Schiffen sind. Schließlichbraucht es seine Zeit, bis tausende oder zehntausende Tiere verladen sind. Hinzu kommen Stürme oderandere Wetterereignisse, die die Abfahrten oft zusätzlich verzögern. Doch in den Häfen gibt es in vielen Fällen keine ausreichenden Möglichkeiten, die Tiere zu versorgen. „Von 13 EU-Häfen, von denen aus Schiffe mit Tieren ablegen, bieten lediglich sechs die Voraussetzung, Tiere abzuladen, zu tränken und zu füttern“, sagt Wirths. So müssen die meisten von ihnen weiter ausharren und dicht aneinandergedrängt in ihrem Kot und Urin stehen. Sie haben Durst und Hunger, sind erschöpft und gestresst. Im Sommer leiden sie zusätzlich unter den hohen Temperaturen, denn nicht selten parken die Lkw während der langen Wartezeit in der prallen Sonne. „Rinder geraten bereits ab Außentemperaturen von 25 Grad Celsius in Hitzestress“, so Wirths. Doch wer denkt, die Situation der Tiere wird besser, wenn sie endlich an Bord der Schiffe sind, irrt sich gewaltig. „Die Versorgung ist in den Lkw auf den Fähren erschwert, besonders in mehrstöckigen. Sind die Tiere auf den Decks der Schiffe untergebracht, sind Tränken und Tröge oft nicht geeignet und ist die Beleuchtung nicht ausreichend. Die Schiffe sind im Allgemeinen nicht für Tiere konstruiert worden“, kritisiert Wirths. „Zudem verursachen mitgeführtes Wasser, Futter und Einstreu zusätzliche Kosten, sodass häufig zu wenig Reserven vorgesehen sind.“ Auch die Hitze bleibt ein Problem. Denn die Fahrten haben Regionen mit Temperaturen von teilweise mehr als 40 Grad als Ziel, hinzu kommt die Wärme, die die Tiere selbst produzieren, während sie zusammengepfercht auf den Schiffen stehen. „2017 starben 2.400 Schafe, die von Australien nach Nahost unterwegs waren, aufgrund der Hitze und hohen Luftfeuchtigkeit“, berichtet Wirths. Die Schiffe haben in der Regel keine Lüftungssysteme. In der Folge ist es an Bord nicht nur heiß, sondern auch der Schadgasgehalt entsprechend hoch. Die Tiere müssen die ganze Zeit über den Gestank von Kot und Urin ertragen, ihre Atemwege werden gereizt und Atemwegsinfektionen begünstigt. Der Fall in Kapstadt ist leider das beste Beispiel dafür, welche Ausmaße das annehmen kann.
Auf See kann es – je nachdem, wo im Schiff sich die Tiere befinden – zu Abkühlung und Lüftung durch den Wind kommen. Aber spätestens, wenn das Schiff im Hafen liegt, sind die Tiere der Hitze und dem Gestank wieder ausgesetzt. „Während der Fahrt kommt zudem der Seegang hinzu. Das führt nicht nur bei uns, sondern auch bei Rindern und Schafen zu Übelkeit.“ Darüber hinaus sind sie dem starken Lärm der Maschinen ausgesetzt. Auch die Situation untereinander sorgt für Unbehagen. „Zwar sind Rinder und Schafe soziale Herdentiere, auf den Schiffen treffen sie aber auf fremde Tiere, was sie stresst und ängstigt“, so Wirths. Wer versucht, sich die Bedingungen vorzustellen und sich in die Tiere hinein zu fühlen, kann erahnen, was sie durchmachen. Sie sind geschwächt und werden schnell krank.
Hilfsbedürftige Tiere zu erkennen und zu behandeln ist an Bord jedoch kaum möglich. Abgesehen davon, dass nur selten Tierärztinnen oder Tierärzte mitreisen, denn Vorschriften dafür gibt es bei dem überwiegenden Teil der Transporte nicht. Somit sind kranke oder verletzte Tiere dazu verdammt zu leiden – und nicht selten schon an Bord zu sterben. Angaben über die Anzahl der auf Schiffstransporten verendeten Tiere gibt es nicht, sie müssen von offizieller Seite nicht erfasst werden – die Tiere sterben von der Öffentlichkeit unbemerkt. Die Rinder und Schafe, die überleben, werden am Ankunftsort in der Regel erneut auf Lkw geprügelt und oft noch einmal stundenlang in Schlachthöfe transportiert, wo es zu den schrecklichsten Szenen kommt. „In vielen der importierenden Länder müssen die Tiere gemäß religiöser Vorschriften geschlachtet werden“, so Wirths. „Die Schlachtung findet meist ohne vorherige Betäubung statt – und teilweise unter Bedingungen, die bei uns unter Strafe stehen.“ Ein geringer Anteil der Tiere wird im Zielland zuerst aufgezogen und gemästet, andere sollen der Zucht dienen, so auch die tragenden Rinder aus Deutschland. „Der Aufbau einer Zuchtpopulation ist vor Ort allerdings nicht zu beobachten, stattdessen werden ständig neue Tiere aus Europa importiert.“
Als wenn das Leid nicht so schon schlimm genug wäre, kommt es regelmäßig zu Katastrophen. Die meisten Schiffe sind sehr alt, das Durchschnittsalter liegt bei 41 Jahren. Zudem wurden sie fast alle für andere Zwecke gebaut. Nur fünf der 78 Schiffe, die in der EU zugelassen sind, wurden für Tiere hergestellt. „Die anderen wurden lediglich umgerüstet und die Bedürfnisse der Tiere dabeinicht berücksichtigt“, sagt Wirths. 2019 und 2020 wurden bei den in der EU zugelassenen Schiffen sage und schreibe 2.504 Mängel festgestellt – die Schiffe stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. „Wenn zum Beispiel zu viele Tiere geladen werden oder Verzögerungen der Fahrt auftreten, kann die Situation für die Tiere sehr schnell dramatisch werden und zu ihrem Tod führen“, so Wirths. Immer wieder sinken Schiffe und Tiere ertrinken.
Der Deutsche Tierschutzbund fordert ein sofortiges Verbot der Transporte per Schiff und generell von Transporten in Länder außerhalb Europas. Auch wenn die Tierschutzprobleme bereits Grund genug sein sollten, gibt es weitere Argumente. Die Transporte verursachen jedeMenge Emissionen; Gülle sowie verendete Tiere werden einfach über Bord entsorgt, was in Meeresschutzgebieten besonders verheerend ist. Durch den internationalen Transport geschwächter Tiere besteht außerdem das Risiko, Krankheiten zu verbreiten. „Es gibt keinen Grund, Tiere so zu transportieren, man kann stattdessen Fleisch oder genetisches Material exportieren“, sagt Wirths. „Da es auf EU-Ebene aktuell keine Tendenzen gibt, den Transporten ein Ende zu setzen, fordern wir die Bundesregierung auf, tätig zu werden, und ein nationales Transportverbot in bestimmte Risikodrittstaaten wie beispielsweise Ägypten zu verhängen.“ Die deutschen Politiker*innen begründen ihre Untätigkeit damit, ein nationales Verbot würde einen Verstoß gegen EU-Recht darstellen, und verweisen darauf, dass Transportunternehmen Umwege über andere Mitgliedsstaaten einschlagen würden. Versuche der Bundesländer, die Exporte zu verbieten, scheitern immer wieder vor Gericht. Und deutsche Landwirtinnen und Landwirte, Zucht- und Transportunternehmen halten weiter an dem System fest, obwohl die Tierqual offensichtlich ist. Zumindest Neuseeland hat die Transporte lebender Tiere im April 2023, nachdem ein Schiff inklusive 6.000 Rindern und 41 Menschen gesunken war, beendet. Allerdings gibt es Bestrebungen von Farmer*innen und konservativen Kräften, das Verbot rückgängig zu machen. Ein weiterer Hoffnungsschimmer: Australien wird ab Mai 2028 den Export lebender Schafe einstellen. Wann werden Tiere endlich als fühlende Wesen anerkannt und ihre Schmerz- sowie Leidensfähigkeit höher gewertet als wirtschaftlicher Profit? Der Deutsche Tierschutzbund wird weiter auf die Missstände aufmerksam machen und für ein Verbot dieser qualvollen Transporte kämpfen – bis das Leid ein Ende hat.