Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Es ist der 30. März 2021, als in einer Schweinezuchtanlage in Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern, einer der größten Einrichtungen Europas dieser Art, ein verheerendes Feuer ausbricht. In Sekundenschnelle breiten sich die Flammen aus und springen von Stall zu Stall über. Eine riesige schwarze Rauchwolke erstreckt sich kilometerweit über den Himmel. Die allermeisten Schweine, die hier, wie es in Intensivtieranlagen üblich ist, zu Tausenden dicht an dicht in Buchten und Kastenständen leben, haben keine Chance zu entkommen. Mehr als 56.000 Ferkel, Sauen und Eber sterben qualvoll. Die Todesängste und das Leid, das sie ausgestanden haben, sind unvorstellbar – die Tiere verbrennen bei lebendigem Leibe oder erleiden Rauchvergiftungen und ersticken. Erst nach Stunden gelingt es einem Großaufgebot der Feuerwehr, den Brand zu löschen – am Ende können lediglich rund 1.300 Tiere gerettet werden. Es war einer der bislang verheerendsten Großbrände einer Nutztieranlage in Deutschland.
Dass Ställe in Brand geraten und zahlreiche Tiere dabei ums Leben kommen, ist jedoch bei weitem keine Seltenheit – vielmehr ist dies an der Tagesordnung. Auch wenn es keine standardisierte Erfassung von Brandereignissen in landwirtschaftlichen Betrieben gibt, und laut Bundesregierung keine amtlichen Statistiken hierzu existieren, bestätigt unter anderem der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dass solche Tragödien bundesweit überaus häufig vorkommen – demnach würden hierzulande etwa 5.000 Stallbrände pro Jahr registriert. Etliche Medienberichte dokumentieren dies ebenfalls, doch nur selten nimmt die breite Öffentlichkeit davon Notiz, da diese Vorfälle in den Zeitungen oft nur als knappe regionale Meldungen erscheinen. In Brandenburg beispielsweise kam es allein in den vergangenen Jahren zu elf Stallbränden, bei denen 2018 unter anderem rund 27.000 Küken ums Leben kamen. Bei einem Großbrand im nordrhein-westfälischen Rheine starben im gleichen Jahr etwa 8.000 Schweine. 2017 verbrannten 200 Rinder eines Betriebs in Stade. Im Juli 2019 fielen alle der mehr als 86.000 Legehennen eines Betriebes im niedersächsischen Vechta den Flammen zum Opfer. Und Ende Februar dieses Jahres verendeten in einer Mastanlage in Kobrow bei Sternberg in Mecklenburg-Vorpommern etwa 2.000 Schweine auf diese grausame Art und Weise.
Die Brandursachen sind dabei vielfältig – oft reicht ein Funke aus, ein technischer Defekt, wie eine heiß gelaufene Lüftungsanlage, oder ein Blitzschlag, um einen ganzen Stall niederzubrennen. Manche der verwendeten Baumaterialien können dann wie regelrechte Brandbeschleuniger wirken. Brandstiftung und menschliches Fehlverhalten zählen ebenfalls zu den häufigsten Ursachen, wie unter anderem die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags bestätigen. Bei einem Großteil der Brände sind die Ursachen allerdings nicht zu ermitteln. Auch im Falle der Brandkatastrophe in Alt Tellin wird zurzeit noch geklärt, was genau das Feuerinferno verursacht hat (Redaktionsschluss: Anfang Juni 2021). Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der fahrlässigen Brandstiftung, schließt aber eine technische Ursache nicht aus. Unabhängig davon gibt es allerdings keine Zweifel, dass das Unglück hätte verhindert werden können. Denn schon seit Jahren steht die Anlage in Alt Tellin in der Kritik. Weil seit der Baugenehmigung im Jahr 2010 erhebliche Bedenken gegen das Brandschutzkonzept bestanden, hatte der Deutsche Tierschutzbund innerhalb eines Widerspruchsverfahrens des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ein Gutachten finanziert. Dieses bestätigte im Juni 2011 erhebliche Mängel. Demnach waren unter anderem die Sicherheitsvorkehrungen insbesondere im Brandfall unzureichend.
„Wir fragen uns ernsthaft, wie die Anlage trotz massiver und offenkundiger Mängel überhaupt genehmigt und in Betrieb genommen werden konnte“, so Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Es muss jetzt aufgearbeitet werden, warum die Fortsetzung des Verfahrens so häufig und so lange aufgeschoben werden konnte. Das ist juristisches und behördliches Versagen.“ Der Deutsche Tierschutzbund und sein Landesverband Mecklenburg-Vorpommern nehmen daher auch Dr. Till Backhaus, den Agrarminister des Landes, in die Pflicht und fordern, die Versäumnisse aus dem Klageverfahren gegen die Genehmigung der Anlage aufzuarbeiten und einen Wiederaufbau zu verhindern. „Industrielle Agrarfabriken, in denen Tiere nur als Produktionsgüter gesehen werden, sind nicht mehr zeitgemäß und aus Tier- und Umweltschutzgründen untragbar“, sagt Kerstin Lenz, Vorsitzende des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Sie und weitere Mitstreiter des Landesverbandes hatten das Geschehen vor Ort mit Entsetzen verfolgt und sich daraufhin aktiv unter anderem mit einer Mahnwache vor der abgebrannten Anlage und einer Demonstration vor dem Landtag in Schwerin gegen Massentierhaltung eingesetzt. Unterdessen hat der Deutsche Tierschutzbund mit dem BUND, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Greenpeace Strafanzeige gegen die Betreiber erstattet und einen Strafantrag gestellt.
Wenn der Bau solcher landwirtschaftlichen Betriebe geplant wird, seien die grundlegenden Gesetzestexte eigentlich eindeutig, sagt Dr. Miriam Goldschalt, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Allgemein müssen Haltungseinrichtungen laut Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ihrer Bauweise nach so beschaffen sein, dass eine Gefährdung der Tiere ausgeschlossen wird. Auch laut „Musterbauordnung“, die den Bundesländern als Grundlage dient, sollen bauliche Anlagen so errichtet werden, dass bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren möglich ist. Nichtsdestotrotz stehe der Profit an erster Stelle, kritisiert die Expertin. So würden Ställe in der Praxis für eine möglichst effiziente Nutzung gebaut, und in Hinblick auf den Brandschutz seien sie insgesamt leider oft wenig vorbildlich. „Effektive Brandschutzvorrichtungen fehlen, die Rettungswege von den Buchten bis zum Ausgang sind zu lang, und auch wenn die neueren Ställe meist nicht mehr aus leicht brennbaren Materialien gebaut sind, beherbergen sie bei derartigen Megaanlagen viel zu viele Tiere – meist ist von vornherein klar, dass eine solch große Zahl an Tieren im Brandfall nicht vollumfänglich gerettet werden kann.“
Hinzu kommt, dass Feuer meist zu spät bemerkt werden. Denn die Haltungsanlagen liegen meist außerhalb von Ortschaften, zudem werden die Abläufe in den Betrieben zunehmend automatisiert, sodass die Anwesenheit von Menschen nicht immer erforderlich ist. Dabei zählt beim Ausbruch eines Feuers jede Sekunde. „Experten gehen davon aus, dass für eine Evakuierung von Tieren im Brandfall maximal vier Minuten zur Verfügung stehen“, sagt Goldschalt. „Wie das bei mehreren Zehntausend Tieren möglich sein soll, ist fragwürdig. Die Tiere, die überleben, sind außerdem oft so schwer verletzt, dass eine Nottötung erfolgen muss.“
Erschwerend kommt hinzu, dass die Reaktionen von Tieren in solchen Szenarien nicht immer gut einzuschätzen sind, und es ein schwieriges Unterfangen ist, sie zu retten. Beispielsweise sammeln Hühner sich bei Panik in einer Stallecke. Bei einer großen Anzahl an Tieren kann das dazu führen, dass selbst bei kleinen Bränden viele Hühner erdrückt werden. Ähnlich problematisch kann die Rettung von Schweinen sein. „Sie sind keine klassischen Fluchttiere, die selbstständig vor unbekannten Gefahren davonlaufen. Insbesondere die Schweine aus der konventionellen Haltung kennen keinen Freigang und haben daher Angst, den Stall zu verlassen – sie müssen durch Menschen ins Freie getrieben oder sogar gezogen werden.“ Außerdem seien Schweine sehr soziale Tiere, die sich in Stresssituationen ebenfalls zusammendrängen, so Goldschalt. „Unter Stress leisten sie erheblichen Widerstand und geraten beim Treiben in massive Panik.“
Um solche Brandkatastrophen in Zukunft zu verhindern, sind aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes ein grundlegender Systemwechsel und ein Umdenken in der Landwirtschaft dringend erforderlich. Denn ohnehin sind die Haltungsbedingungen in solchen Riesenställen für die Schweine, Hühner, Rinder und Co. unerträglich. „Realistische Rettungschancen bestehen zudem nur bei kleinen Tierbeständen, einer frühzeitigen Brandfeststellung und einem angepassten Haltungssystem“, berichtet Goldschalt. „Bei Schweinen beispielsweise wäre es wichtig, dass sie durch verschiebbare Türen direkt von außen herausgelassen werden können, wenn der Stall nicht mehr betretbar ist.“
Außerdem sei es wichtig, dass Haltungssysteme wie die Fixierung in Kastenständen, in denen die Tiere sich kaum bewegen und auch nicht daraus fliehen können, endlich komplett abgeschafft werden. „Für eine tiergerechtere Haltung ist zudem der Zugang zu einem Auslauf wichtig, in den die Schweine sich im Brandfall auch selbst retten könnten“, erläutert Goldschalt. Die Expertin rät darüber hinaus dazu, dass Betreiber solcher Anlagen jegliche baulich-technischen Maßnahmen zur Brandverhütung und -bekämpfung ausschöpfen – zum Beispiel feuerfeste Materialien, Sprinkleranlagen, Brandmauern oder feuerfeste Türen. Zudem müsse die Politik dafür sorgen, dass solche Anforderungen konkret im Bauordnungsrecht verankert werden. Es ist Zeit, dass sich Bund und Länder endlich auf strengere Schutzmaßnahmen einigen. Denn je länger die Politik solche dringend nötigen Verbesserungen verschleppt, desto mehr Schweine, Hühner und weitere Tiere fallen den Flammen zum Opfer.