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„Viele haben sich das Leben mit Hund anders vorgestellt“

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„Viele haben sich das Leben mit Hund anders vorgestellt“

Seit Beginn der Corona-Pandemie warnen Tierschützer vor drohenden Abgabewellen, nachdem viele Menschen während der Pandemie unüberlegt Tiere über das Internet, beim Züchter oder im Zoofachhandel angeschafft haben. Nun füllen sich die Tierheime und der illegale Heimtierhandel, der durch die Corona-Krise einen Aufschwung erfährt, treibt diese Entwicklung zusätzlich voran. Der Bremer Tierschutzverein, Mitgliedsverein des Deutschen Tierschutzbundes, spürt die Auswirkungen bereits, wie Pressesprecherin Gaby Schwab im Gespräch mit DU UND DAS TIER verrät.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Tierschützer hatten befürchtet, dass es zu einer Abgabewelle von „Corona-Tieren“ kommen würde. Nun füllen sich erste Tierheime spürbar. Wie stellt sich die Situation aktuell in Bremen dar?

Gaby Schwab: Tatsächlich sind wir bei den Hunden bereits am Ende unserer Kapazitäten angekommen. Wir haben es immer wieder mit überforderten Haltern zu tun, die sich eingestehen müssen, ihre Tiere unbedacht angeschafft zu haben. Zudem macht uns der illegale Handel zu schaffen. Wir haben Platz für 60 Hunde und allein die Hälfte der Zwinger ist mit Vierbeinern belegt, die bei solchen Fällen beschlagnahmt wurden. Daher können wir weitere Hunde erst aufnehmen, wenn es uns gelingt, andere zu vermitteln.

Gaby Schwab, Pressesprecherin des Bremer Tierschutzvereins

Der illegale Handel, den Sie ansprechen, hat auch durch die gestiegene Nachfrage in der Corona-Krise leider einen Aufschwung erfahren. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Es ist deutlich mehr geworden, das spüren wir ganz klar auch hier. Erst kürzlich war ich selbst in einen Fall involviert. Ein Passant hat auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums beobachtet, dass ein Hund in einem Transportkorb aus einem Lieferwagen heraus verkauft wurde und glücklicherweise sofort die Polizei benachrichtigt. Diese konnte den Händler stoppen und hat noch fünf weitere Hunde in viel zu kleinen Boxen vorgefunden, die aus der Ukraine stammen, allesamt Mischlinge zwischen acht und 20 Monaten. Das ist eher untypisch, da oft Welpen beliebter Moderassen gehandelt werden, die viel zu früh von ihren Muttertieren entrissen werden. Da die Polizei das zuständige Veterinäramt am Wochenende nicht erreicht hat, haben sie sich bei mir gemeldet und ich bin mit unserer Tierheimleiterin und Tierärztin sofort hingefahren. Die Tiere waren für einen solchen Fall – da machen wir leider viel zu oft ganz andere Erfahrungen – gesundheitlich zwar in einem ordentlichen Zustand, doch die Boxen waren bei weitem nicht ausreichend. Die Hunde saßen in Körbchen in komplett durchnässten Windeln. Das war schon sehr traurig anzusehen und ein wirklich ekliges Umfeld. Tierschützer hätten die Hunde niemals unter solchen Bedingungen transportiert. Dazu haben wir die offensichtlich gefälschten Papiere durchgeschaut, laut denen einer der Hunde bereits vor seiner Geburt geimpft worden war. In diesem speziellen Fall war vermutlich keine Hinterhof- oder Massenzucht der Ursprungsort, sondern eventuell sogar ein Tierheim in der Ukraine, aber das hat die Händler, wenn es so war, offensichtlich nicht davon abgehalten, die Hunde unter miesen Transportbedingungen und mit falschen Papieren für den Verkauf nach Deutschland zu schleusen. Die Polizei hat über die Unterlagen auch die beim Kauf beobachteten Personen ausfindig gemacht und einen sechsten Hund konfisziert. Die Familie ist natürlich aus allen Wolken gefallen. Leider ist noch immer vielen Menschen nicht bewusst, welche Machenschaften und welches Tierleid hinter dieser Form des Handels, der meist über das Internet erfolgt, stecken.

Hunde aus illegalem Handel …

Wie konnten Sie den Tieren helfen?
Nachdem alle bürokratischen Prozesse abgeschlossen waren, konnten wir die Tiere endlich mitnehmen und aus ihren Boxen befreien. Obwohl sie – anders als andere Opfer des illegalen Handels – keine schwerwiegenden Krankheiten hatten, waren sie sehr ängstlich und mussten natürlich in Quarantäne. Wir bemühen uns in solchen Fällen dann immer, die Tiere zu resozialisieren und an den Menschen zu gewöhnen. Gerade wenn wir Welpen bekommen, ist die Quarantäne ohne Sozialkontakte zu anderen Hunden in der wichtigen Prägungsphase sehr schlimm für sie. Dadurch sind auch langfristige Verhaltensstörungen möglich. Doch solange wir nicht wissen, ob die Tiere womöglich Erkrankungen haben und ob sie geimpft sind, müssen wir sie zu ihrem und dem Schutz der anderen Tierheimtiere isolieren, bis klar ist, dass sie gesund sind und wir sie vollständig geimpft haben. Die Hunde aus der Ukraine sind nach unserem Ermessen wohlauf, doch solange das Rechtsverfahren läuft, können wir die Tiere nicht vermitteln, da unklar ist, ob ihre bisherigen Besitzer die Tiere zurückfordern und sie trotz des tierschutzwidrigen Transportes und Handels zugesprochen bekommen. Wir hoffen, dass den sechs Tieren dieses Schicksal erspart bleibt.

Sie erwähnten bereits, dass auch zunehmend Halter ihre Tiere bei Ihnen abgeben, die sie erst während der Corona-Pandemie angeschafft haben. Wie erleben Sie diese beginnende Abgabewelle?

Die Halter kommen zu uns und geben zu, dass sie sich das Leben mit Hund anders vorgestellt haben. Viele sind überfordert. Dabei stellen wir immer wieder fest, dass sie sich – allein, um einen Hund zu besitzen – Tiere zugelegt haben, deren Rasse gar nicht zu ihnen passt. Es ist natürlich sehr herausfordernd, wenn sie zu Hause einen jungen Rhodesian Ridgeback oder einen Weimaraner haben, der viel Aufmerksamkeit, Beschäftigung und Auslauf benötigt, während sie auch noch drei Kinder betreuen, die während der Pandemie nicht in die Schule oder Kita gehen. Darüber haben sie sich zu wenig Gedanken gemacht. Und weil zusätzlich durch die Corona-Beschränkungen die Hundeschulen geschlossen und keine Trainer verfügbar waren, konnten sie auch keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Zudem können sie natürlich auch nicht mehr so viel Zeit für die Tiere aufbringen, wenn es nach Monaten im Homeoffice nun nach und nach zurück ins Büro geht oder die Kurzarbeit endet. Wir haben stets davor gewarnt und in unserem Tierheim in solchen Fällen natürlich keine Hunde vermittelt, wenn sie nicht in die jeweiligen Familien gepasst haben. Doch viele Interessenten sind dann eben zu Züchtern gegangen oder haben Tiere im Internet bestellt, die sie nun abgeben.

… erhalten in Tierheimen wie in Bremen Pflege, medizinische Versorgung und Zuwendung.

Aber der Hundeboom hat sich doch sicher auch positiv für Ihre Tierheimhunde ausgewirkt?

Ja, wir haben gerade im ersten Lockdown richtig gut vermittelt. Das Tierheim war damals sehr leer, so viele leere Zwinger und Katzenstuben habe ich in den 16 Jahren, die ich hier dabei bin, noch nicht gesehen. Es waren viele tolle Hundehalter dabei, beispielsweise ältere Ehepaare. Wir haben, wie immer, auch damals viele Vorgespräche geführt und Kontrollen durchgeführt. Da das Tierheim vorübergehend geschlossen war und wir zwischenzeitlich Besucher nur nach Terminvereinbarung empfangen konnten, hatten unsere Pflegerinnen und Pfleger nicht nur mehr Zeit, um die Bindung zu den Tieren zu stärken, sondern sie konnten sich auch noch ausgiebiger mit den jeweiligen Kandidaten beschäftigen. Da wir uns so stets einen guten Eindruck verschaffen, den Interessenten genau erklären, was für ein Tier sie sich da ins Haus holen möchten und ihnen dies in mehreren gemeinsamen Terminen veranschaulichen, ist aus unserer Vermittlung auch kein Tier zurückgekommen.

Wie gehen Sie mit den Abgaben um, wenn das Tierheim bereits voll ist und die vorher boomende Nachfrage zurückgeht?

Der größte Ansturm ist zwar vorbei, aber die Nachfrage ist noch immer hoch, wir vermitteln also weiterhin Tiere. Doch dies ist aktuell nicht einfach, weil wir derzeit kaum kleine Hunde haben. Vorwiegend versorgen wir derzeit große Hunde, Listenhunde oder welche, die aufgrund ihrer Vorgeschichte sehr erfahrene Halter benötigen. (Anm. d. R.: Für die Arbeit mit den Tieren sucht der Bremer Tierschutzverein eine Hundetrainerin oder einen Hundetrainer) Darum kommen selbst engagierte tolle Hundebesitzer zu uns, die nicht immer finden, wonach sie suchen. Über unser schwarzes Brett vermitteln wir dann teilweise Kontakte zwischen ihnen und Haltern, die ihren Hund abgeben möchten, den wir aber aktuell nicht aufnehmen können. So bringen wir sie zusammen und ermöglichen manchen Tieren ein neues Zuhause, ganz ohne die Zwischenstation im Tierheim. Ansonsten pflegen wir aber auch einen richtig guten Austausch mit anderen Tierheimen und sind mit Vereinen aus dem Umland, wie in Bremerhaven, aber auch über ganz Deutschland bestens vernetzt. Da hilft uns immer jemand, so wie wir schon oft anderen Tierheimen geholfen haben und helfen werden, wenn es unsere Kapazitäten wieder zulassen.

DIE TIERE BRAUCHEN SIE

  • Lesen Sie mehr über die Situation der Tierheime in Corona-Zeiten und über die Kampagne „Tierheime helfen. Helft Tierheimen!“.
    tierheime-helfen.de
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