Das unsichtbare Leid der Straßenkatzen

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Das unsichtbare Leid der Straßenkatzen

Millionen Straßenkatzen leben in Deutschland und kämpfen oft im Verborgenen Tag für Tag ums Überleben. Eine Umfrage des Deutschen Tierschutzbundes belegt, dass es sich um eines der größten unbemerkten Tierschutzprobleme hierzulande handelt und sowohl die Katzen als auch die Tierheime dringend Hilfe benötigen. Im Rahmen seiner Kampagne „Jedes Katzenleben zählt“ macht der Verband jetzt auf das Leid der Tiere aufmerksam.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Den meisten von uns begegnen Straßenkatzen meist nur im Urlaub, etwa in süd- oder osteuropäischen Ländern. Dort ist es nicht ungewöhnlich, herrenlose Tiere zu sehen, wenn sie etwa in der Sonne dösen oder auf der Suche nach etwas Essbarem durch die Gegend streifen. Was den wenigsten bewusst ist: Auch in Deutschland leben schätzungsweise zwei Millionen Straßenkatzen, die Tag für Tag ums Überleben kämpfen. Hierzulande führen sie jedoch eher ein Schattendasein, denn meistens meiden die scheuen Tiere die Nähe zum Menschen und verstecken sich auf Friedhöfen, Industriegeländen, verlassenen Hofanlagen oder anderen einsamen Orten. Sie hungern, leiden unter Infektionskrankheiten und haben Verletzungen, die niemand behandelt. So verwundert es nicht, dass sie kein hohes Alter erreichen: Während Katzen bis zu 20 Jahre alt werden können, liegt ihre Lebenserwartung oft bei nur wenigen Monaten, wenn sie auf der Straße geboren wurden.

Täglicher Kampf ums Überleben

„Das Leid der Straßenkatzen bleibt für viele Menschen unsichtbar und ist damit eines der größten unbemerkten Tierschutzprobleme in Deutschland“, schildert Dr. Moira Gerlach, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund. Viele Menschen denken, Katzen seien so unabhängig, dass sie ohne menschliche Hilfe zurechtkommen, sich allein durchschlagen können und unbeschwerte Streifzüge durch die Natur unternehmen. Doch diese romantische Vorstellung hat kaum etwas mit der Realität zu tun. „Anders als viele vermuten, sind es keine Wildkatzen – jede einzelne Straßenkatze stammt ursprünglich von unkastrierten Hauskatzen ab“, sagt Gerlach. Oft wurden sie schon vor Generationen von ihren Besitzern ausgesetzt oder zurückgelassen, andere sind Nachkommen von unkastrierten Katzen mit Freigang. „Als seit Jahrhunderten domestizierte Tiere fehlt ihnen bei der Jagd das Geschick ihrer wilden Vorfahren, und so können sie weder sich allein noch ihre Welpen dauerhaft und ausreichend versorgen“, so die Expertin. Oft ist die Mutter zu schwach, um ihrem Nachwuchs genug Milch zu geben, und daher ist die Gefahr groß, dass sie und ihre Kleinen nicht lange überleben.

Katzenschwemmen setzen Tierheimen zu

Jedes Jahr ab dem Frühjahr nimmt das Leid der Tiere besonders schlimme Ausmaße an. Unzählige Katzen bekommen in dieser Zeit Nachwuchs, weil nicht kastrierte Tiere, die verwildert sind oder Freigang haben, sich unkontrolliert vermehren – ein Schneeballsystem, das zu regelrechten Katzenschwemmen führt: „Eine unkastrierte Katze kann im Jahr zwei Würfe mit jeweils drei bis sechs oder sogar mehr Kitten haben – so können nach zehn Jahren aus einer Katze rund 200 Millionen weitere Katzen entstehen“, erläutert Gerlach. Mit dem stetigen Wachstum der Population spitzt sich ihre Situation weiter zu, denn die Straßenkatzen finden noch weniger Nahrung und müssen zudem stärker um ihr Revier kämpfen.

Für die Tierheime und Tierschutzvereine sind diese Katzenschwemmen Jahr für Jahr eine riesige personelle, emotionale und finanzielle Herausforderung – das bestätigt eine aktuelle Umfrage des Deutschen Tierschutzbundes, an der mehr als 300 Tierheime teilgenommen haben, die dem Verband angeschlossen sind. So bewerten zwei Drittel von ihnen die Situation der Straßenkatzen in ihrem Einzugsgebiet als problematisch; 78 Prozent erleben eine Katzenschwemme. In dieser Zeit – bei 49 Prozent der Tierheime ist dies im Mai, bei 27 Prozent im Juni und bei 14 Prozent im Spätsommer und Herbst der Fall – werden vermehrt Katzen in Tierheimen abgegeben, zudem finden die Tierschützer zahlreiche verwaiste Kitten. Die Folge: Die Tierpfleger müssen sich plötzlich um eine Großzahl an oft unterernährten und kranken Katzenjungen kümmern und zum Teil rund um die Uhr um das Leben dieser Schützlinge kämpfen. Erwachsene Straßenkatzen zu vermitteln sei meist unmöglich, sagt Gerlach. „Wenn die Welpen nicht in den ersten Lebenswochen während der Sozialisierungsphase an den engen Kontakt mit Menschen gewöhnt wurden, bleiben sie ihr Leben lang scheu.“

„Straßenkatzen können sich nicht mehr an
ein nahes Zusammenleben mit dem
Menschen gewöhnen.“ – Dr. Moira Gerlach

Jedes Jahr ab dem Frühjahr nimmt das Leid der Tiere besonders schlimme Ausmaße an. Unzählige Katzen bekommen in dieser Zeit Nachwuchs, weil nicht kastrierte Tiere, die verwildert sind oder Freigang haben, sich unkontrolliert vermehren.

Anders als die Straßenkatzen beispielsweise in Südeuropa, suchen die freilebenden Tiere hierzulande keinen Kontakt zum Menschen, und so lassen sie sich im Erwachsenenalter in der Regel nicht mehr an ein Zusammenleben mit dem Menschen gewöhnen. „Eine Haltung in menschlicher Obhut würde für diese Tiere ständigen Stress bedeuten“, so Gerlach. Damit sie dennoch in der Natur überleben können, brauchen sie Hilfe von Tierheimen, Tierschutzvereinen und ehrenamtlichen Helfern. Diese richten Futterstellen für die freilebenden Katzen ein, lassen sie kastrieren, kennzeichnen und registrieren und wenn nötig tierärztlich versorgen. Zudem betreuen sie die Population vor Ort weiter. Auch wenn die Situation der Straßenkatzen mit zu den gravierendsten Tierschutzproblemen in Deutschland gehört, nehmen die breite Öffentlichkeit und die Politik dies nach wie vor viel zu wenig wahr. Um das versteckte Leid der Straßenkatzen sichtbar zu machen, rückt der Deutsche Tierschutzbund dieses Thema nun im Rahmen seiner Kampagne „Jedes Katzenleben zählt“ verstärkt in den Fokus. „Wir möchten Lösungen aufzeigen, die dieses Tierleid beenden können, und zudem auf die wichtige Arbeit der Tierheime im Kampf gegen das Katzenelend aufmerksam machen“, schildert Caterina Mülhausen, Leitung Campaigning beim Deutschen Tierschutzbund. „Katzen brauchen uns Menschen und können ohne unsere Hilfe nicht überleben.“

Einziger Ausweg

Kastrieren, kennzeichnen und registrieren – das ist der einzige Ausweg, um das Problem der großen Straßenkatzenpopulationen in den Griff zu bekommen und die Zahlen langfristig zu senken. Mittlerweile gibt es zwar in mehreren hundert Kommunen in Deutschland eine Kastrations-, Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Katzen mit Freigang. Doch für eine nachhaltige und überregionale Lösung fordert der Deutsche Tierschutzbund eine flächendeckende, bundeseinheitliche Kastration sowohl von Straßenkatzen als auch von Freigängerkatzen aus Privathaushalten. „Halter sind in der Pflicht, ihre Tiere kastrieren zu lassen, wenn diese nach draußen dürfen – egal, ob weibliche Katzen oder Kater“, so Gerlach. „Leider gibt es aber nach wie vor zahlreiche Katzenbesitzer, die diesen Eingriff nicht durchführen lassen, beispielsweise weil ihnen das zu teuer ist oder sie Bedenken haben, dass die Operation ein zu großes Risiko darstellt.“ Doch Tierärzte klären im Vorfeld genau über das Operations- und Narkoserisiko sowie die nötige Nachsorge auf.

Viele Tierschutzvereine kastrieren, kennzeichnen und registrieren regelmäßig eine große Anzahl freilebender Katzen, auch mit finanzieller Unterstützung des Deutschen Tierschutzbundes oder dessen Landesverbänden. Anschließend entlassen die Tierschützer sie wieder in ihr vertrautes Revier. Ohne Spenden wären solche Aktionen jedoch unmöglich, denn nur wenige Tierheime erhalten dafür kostendeckende Zuschüsse von öffentlichen Stellen – das bestätigt auch die Auswertung der Tierheim-Umfrage. Demnach erhält fast jedes dritte Tierheim keine finanzielle Unterstützung von Ländern oder Kommunen für die Kastrationen, sodass sie die Kosten für das benötigte Futter und die Operationen der Straßenkatzen selbst tragen müssen. „Bislang haben sich leider noch viel zu wenige Städte und Kommunen dieses Problems angenommen – wir fordern daher die Einführung einer Heimtierschutzverordnung, die eine bundesweite Kastrationspflicht für alle Katzen mit Freigang sowie eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht umfasst“, so Mülhausen. Denn wenn sie gekennzeichnet und registriert sind, können gefundene Tiere leichter zugeordnet werden. All das trägt langfristig dazu bei, das Leid der Straßenkatzen und die Zahl der Tiere ohne ein liebevolles Zuhause zu verringern.


Jedes Katzenleben zählt

Weitere Infos zum Thema Katzenschutz und zur Kampagne „Jedes Katzenleben zählt“ des Deutschen Tierschutzbundes finden Sie im Internet:

jetzt-katzen-helfen.de

Aktiv werden!

Helfen Sie uns, das Leid der in Deutschland lebenden Straßenkatzen sichtbar zu machen.

  • Wenn Sie eine Freigängerkatze haben, lassen Sie das Tier kastrieren, kennzeichnen und bei FINDEFIX, dem Haustierregister des Deutschen Tierschutzbundes, registrieren – grundsätzlich kann das auch bei Wohnungskatzen sinnvoll sein, denn auch sie können mal entwischen.
  • Klären Sie Ihre Mitmenschen darüber auf, dass auch Hauskatzen kastriert, gekennzeichnet und registriert werden müssen – insbesondere, wenn sie nach draußen dürfen.
  • Bestellen Sie kostenlos die Katzen-Aufkleber des Deutschen Tierschutzbundes unter jetzt-katzen-helfen.de/aktion und kleben Sie diese an Ihre Fensterscheiben.
  • Wenn Sie auf Social-Media-Kanälen aktiv sind, können Sie dort ebenfalls viele Menschen auf dieses Tierschutzproblem aufmerksam machen. Posten Sie dafür ein Foto Ihres angebrachten Katzen-Aufklebers zusammen mit dem Hashtag #KatzenHelfen.
  • Sprechen Sie die Politiker aus Ihrer Stadt oder Kommune an, falls noch keine regionalen Zuschüsse für Katzenkastrationen zur Verfügung gestellt werden.
  • Unterstützen Sie die Arbeit Ihres örtlichen Tierschutzvereins. Spenden Sie vor Ort für die Kastration von Straßenkatzen oder unter jetzt-katzen-helfen.de/spenden für das Spendenprojekt zum Katzenschutz des Deutschen Tierschutzbundes.