„Tierschutz darf keine Luxusangelegenheit sein“

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„Tierschutz darf keine Luxusangelegenheit sein“

Reinhold Jost, Minister für Umwelt und Verbraucherschutz des Saarlandes (SPD), schildert im Interview mit DU UND DAS TIER, wie wichtig Tierschutzvereine und Tierheime für unsere Gesellschaft sind, was sein Ministerium unternimmt, um sie zu unterstützen und welche agrarpolitischen Themen das Saarland voranbringen will.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Reinhold Jost, Minister für Umwelt und Verbraucherschutz des Saarlandes (SPD)

Herr Jost, welche Bedeutung haben Tierheime und Tierschutzvereine Ihrer Meinung nach für unsere Gesellschaft?
Die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz im August 2002 zog eine immer größer werdende gesellschaftliche Sensibilisierung hin zu mehr Tierschutz nach sich. Die Grundgesetzänderung gibt dem Tierschutz keine Vorrangstellung vor anderen Verfassungsgütern, aber sie verleiht ihm in der vorzunehmenden Abwägung mehr Gewicht, als es vor der Aufnahme der Fall war. Tierschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die in meinem Haus einen hohen Stellenwert besitzt. Fernab aller Rechtsvorgaben, mit denen bestimmte Mindestanforderungen definiert werden, liegt es vor allem in der Verantwortung eines jeden Tierhalters und einer jeden Tierhalterin, das Wohlbefinden seines Tieres zu schützen. Nicht alle sind allerdings in der Lage, ihre Tiere ausreichend und ihren Bedürfnissen entsprechend zu versorgen. Daher kommt den Tierheimen mit der Aufnahme, der Versorgung und der Weitervermittlung von Tieren in Not eine tragende Rolle für den Tierschutz in unserem Land zu. Sie sind auch wichtige Orte der Begegnung und der Aufklärung. Die pädagogische Arbeit der Tierschutzvereine für Kinder und Erwachsene ist von unschätzbarem Wert. Sie vermitteln damit Verantwortungsbewusstsein für unsere Natur und unsere Tierwelt.

Aktuell leiden auch die Tierheime unter den Folgen der Corona-Krise. Was unternimmt Ihre Landesregierung, um ihnen in dieser Notsituation zu helfen?
Die saarländische Landesregierung hat schnell und unbürokratisch zusätzliche finanzielle Förderungen für die Tierheime und Tierschutzvereine auf den Weg gebracht. Tierschutz darf auch und gerade in Krisenzeiten keine Luxusangelegenheit sein. Die Unterstützung soll darüber hinaus als Ausdruck der Wertschätzung für die Menschen verstanden werden, die dort auch während der Pandemie gemeinsam anpacken, um Tieren zu helfen.

Unabhängig von der Corona-Krise stehen viele Tierheime generell vor finanziellen Herausforderungen – unter anderem, weil viele Kommunen die Kosten für die Versorgung von Fundtieren nicht oder nur zum Teil übernehmen. Warum erhalten sie nicht mehr Unterstützung?
Zunächst einmal ist Tierschutz eine Pflichtaufgabe der Städte und Gemeinden. Bei der Unterbringung und Versorgung von Fundtieren sind sie am Zug. Unabhängig davon steht mein Haus im ständigen Austausch mit den Kommunen. Gemeinsam konnten wir schon viel für die Tierheime erreichen. Drei von vier saarländischen Tierheimen haben bislang sogenannte Konsortialverträge abgeschlossen. Durch diese Verträge ist auch die Finanzierung der Betriebskosten der Tierheime sichergestellt. Dabei zahlen die Städte und Gemeinden des Landkreises einen Kommunalbeitrag pro Einwohner und Jahr. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass auch mit dem vierten Tierheim in diesem Jahr ein Konsortialvertrag vereinbart wird.

2020 hat das Saarland auch den Vorsitz der Agrarministerkonferenz des Bundes und der Länder inne. Welche agrarpolitischen Themen sind für Sie vorrangig und was wollen Sie bewirken?
In diesem Jahr wird die nationale Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ein wichtiges Thema für die Agrarministerkonferenzen sein. Sobald der Mehrjährige Finanzrahmen und die GAP-Verordnungen auf EU-Ebene beschlossen sind, werden in Deutschland wichtige Entscheidungen, etwa zur Verteilung der EU-Fördergelder getroffen werden müssen. Umwelt-, Klima- und Artenschutz spielen bei diesen Weichenstellungen für die nächste Förderperiode ebenso eine wichtige Rolle, wie die Zukunftsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe und die Lebensfähigkeit der ländlichen Räume. Das Thema „Tierwohl“ in der Landwirtschaft ist ein Dauerbrenner bei den Beratungen. Die Nutztierhaltung durchläuft einen dauernden Strukturwandel. In allen Industrieländern zeigt sich dieser Wandel ähnlich: Die durchschnittliche Bestandsgröße und die Leistung je Tier steigen, der Einsatz von Technik nimmt zu und in vielen Fällen auch die regionale Konzentration der Tierhaltung. Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket deutliche Verbesserungen der Haltungsbedingungen für landwirtschaftliche Nutztiere erreicht. Gleichzeitig sind seit 2012 Mittel für Forschung und Innovation bereitgestellt. Die Investitionsförderung für einzelne Betriebe ist auf Tierwohl ausgerichtet worden. Die Umsetzung der Nutztierstrategie und die Änderung der Haltungsbedingungen wird Zeit und Geld kosten.

Können Sie das genauer erläutern?
Die zentrale Herausforderung für eine Nutztierhaltungsstrategie besteht darin, die notwendigen Mittel für Fortschritte beim Tierwohl und in der Nutztierhaltung für die landwirtschaftlichen Betriebe dauerhaft aufzubringen. Durch ein Programm zur nachhaltigen Nutztierhaltung zum Beispiel sollen Innovationen entwickelt und in die breite landwirtschaftliche Praxis getragen werden. Motivation und Bereitschaft vieler Landwirte für Verbesserungen in der Tierhaltung sind groß. Die Struktur der Investitionsförderung (AFP) ist bereits stark auf Tierwohlbelange ausgerichtet. Auf dieser Grundlage wird das AFP als wichtige Säule der Nutztierhaltungsstrategie für Stallneu- und -umbauten weiterentwickelt. Zudem wird die Einführung eines staatlichen Tierwohllabels die Transparenz bei tiergerechten Haltungsverfahren fördern. Dadurch können Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Kaufentscheidungen einfacher am Tierwohlgedanken ausrichten. Der Aspekt der bewussten Nachfrage wird auch in Zukunft einen gewichtigen Anteil daran haben, wohin sich die Tierschutzstandards bei der Nutztierhaltung entwickeln. Gesundheit und Robustheit müssen einen höheren Stellenwert in der Tierzucht bekommen. Gelingt es nicht, die Zielkonflikte auszuräumen, muss Tierwohl Vorfahrt haben vor reinen wirtschaftlichen Erwägungen! Mit der Nutztierhaltungsstrategie stellt sich Deutschland den Herausforderungen zur dringend notwendigen Weiterentwicklung der Nutztierhaltung.

Wie wollen Sie gemeinsam mit den anderen Bundesländern den Tier- und Artenschutz in der Landwirtschaft voranbringen?
Die Landwirtschaft muss bei der Nutztierhaltung einen grundlegenden Umbau zu mehr Tierwohl angehen. Konflikte, die es in diesem Bereich gibt, müssen mit Sinn und Verstand gelöst werden. Artenschutz und Tierwohl sind zwei der Ziele in der grünen Architektur der GAP nach 2020. Sie werden über viele Maßnahmen und Instrumente wie Öko-Regelungen und unterschiedliche ELER-Maßnahmen (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, Anm. d. Red.) angegangen. Während der Artenschutz u.a. von extensiverer Bewirtschaftung und Schaffung und Erhalt von Lebensräumen profitiert, wird mehr Tierwohl über Investitionen in tiergerechte Haltungsverfahren und Ökolandbau gefördert werden können.
Ziele unserer politischen Ausrichtung für die Zukunft sind:

  • Einführung einer staatlichen Tierwohlkennzeichnung bei Schweinen.
  • Initiative für eine verpflichtende Tierwohlkennzeichnung in der EU (deutsche Ratspräsidentschaft).
  • Beschluss einer Finanzierungsstrategie durch den Deutschen Bundestag.
  • Start eines bundeseinheitlichen Tierwohl-Förderrahmens mit Anreizen für Investitionen und einem Ausgleich der laufenden Mehrkosten.
  • Einführung der freiwilligen, staatlichen Tierwohlkennzeichnung auch für Geflügel, Rindfleisch und Milch. Einführung einer verpflichtenden Tierwohlkennzeichnung auf EU-Ebene.

Was sind hierbei aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?
Um ein höheres Tierwohlniveau zu ermöglichen, sind schärfere gesetzliche Standards erforderlich. Dabei müssen wir natürlich auch unsere regionalen Betriebe im Blick haben. Damit sie auch bei Standards, die über dem EU-Niveau liegen, wettbewerbsfähig bleiben, müssen die Mehrkosten für die Betriebe durch höhere Preise und zusätzliche Fördergelder ausgeglichen werden. Eine langfristig verlässliche Förderung ist nur möglich, wenn es eine Finanzierungsvereinbarung gibt, die von einer breiten politischen Mehrheit getragen wird. Zurzeit können Tierwohlprämien nur für Leistungen gezahlt werden, die über die nationalen Mindeststandards hinausgehen. Eine deutliche Anhebung der Standards über das EU-Niveau hinaus kann nur dann erfolgen, wenn die zusätzlichen Kosten auch gefördert werden. Der Hauptstreitpunkt wird am Ende die Frage nach dem Geld sein. Also die Frage, aus welchen Quellen die Milliarden für den Umbau der Tierhaltung finanziert werden. Artenschutz und Landwirtschaft müssen ebenso ineinander greifen.

Wie möchten Sie das ermöglichen?
Hierzu haben wir seit 2018 eine Saarländische Biodiversitätsstrategie, die wir im Begriff sind, stufenweise umzusetzen. Gerade dem Bereich „Offene Kulturlandschaft“, der fast ausschließlich von der Landwirtschaft geprägt ist, wird eine besondere Bedeutung beigemessen. So bereiten wir aktuell im Rahmen eines intensiven Dialogprozesses zwischen den Umweltverbänden, dem Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz und den landwirtschaftlichen Interessenverbänden einen „Leitfaden zur Förderung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft“ (Arbeitstitel) vor. Ziel des Leitfadens soll sein, für den Biodiversitätsschutz in der offenen Landschaft wirksame Maßnahmen zu erarbeiten, die von Seiten des fachlichen Naturschutzes wie von den Landwirten gleichermaßen akzeptiert und mitgetragen werden. Die abgestimmten Maßnahmen sollen im Nachgang auch in das ebenfalls in Vorbereitung befindliche Aktionsprogramm Insektenschutz Saarland (APIS) übernommen werden.

Wie erleben Sie die Debatte um die Sauenhaltung in Kastenständen und wie stehen Sie zu diesem Thema?
Wir haben die Debatte um die Sauenhaltung in Kastenständen von an Anfang an begleitet. Am 7. Mai 2020 fand eine weitere Besprechung auf Bund-Länder-Ebene statt, auf der wir uns erneut für eine kürzere Übergangszeit und den Schutz der Tiere eingesetzt haben.

In wie fern könnten andere Bundesländer aus tierschutzpolitischer Sicht etwas vom Saarland lernen?
Das flächenmäßig kleinste Bundesland zu sein, bedeutet auch, dass die Wege kurz sind. Auch für den Tierschutz ist das von Vorteil, denn es findet ein enger Austausch zwischen den Tierschutzbehörden des Landes und den im Tierschutz tätigen Ehrenamtlichen statt. Der „Runde Tisch Tierschutz“ bietet ebendiesen Akteuren eine Plattform zum Austausch. Die Tierschutzstiftung Saar, die 2001 von der saarländischen Regierung gegründet wurde, unterstützt die saarländischen Tierschutzvereine und Tierheime sowohl finanziell als auch fachlich. Für in Not geratene Wildtiere haben wir zudem mit den Wildtier- und Vogelauffangstationen professionelle Hilfe eingerichtet. Mit der Anzahl unserer durch das Land gegründeten Auffangstationen stehen wir bundesweit an der Spitze. Dasselbe gilt übrigens für den Ökolandbau.

Inwiefern?
Unsere Betriebe sind eher klein und passen daher sehr gut zu den Erfordernissen im Ökolandbau. Mit einem Anteil von fast 20 Prozent ökologisch bewirtschafteter Fläche sind wir bundesweit auf Platz 1. Bis 2025 wollen wir einen Ökoanteil von 25 Prozent erreichen. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt liegt aktuell bei unter 10 Prozent. Artgerechte Tierhaltung ist das Leitbild der ökologischen Landwirtschaft. Für die Tiere bedeutet das, gesund zu leben und ihre arteigenen Verhaltensweisen möglichst uneingeschränkt ausleben zu können. Ich hoffe, dass der Ökolandbau einen Beitrag zu mehr Verbraucherwissen und -bewusstsein in Bezug auf den Aufwand und die konkreten Verfahren zur Herstellung unserer Lebensmittel leisten kann. Wenn daraus eine größere Wertschätzung für die Landwirtschaft und die erzeugten Lebensmittel resultieren würde, wäre ich sehr zufrieden. Wenn diese Wertschätzung dann auch noch dem Preisdumping zu Lasten der Tiere und der dramatischen Ausbeutung der Böden in anderen Regionen der Welt entgegenwirkt und einen Beitrag zur Eindämmung von Lebensmittelverschwendung leistet, bin ich nicht nur zufrieden, sondern glücklich.

Wie nehmen Sie unsere Gesellschaft derzeit wahr? Denken Sie, die Menschen sind für die aktuellen Herausforderungen gut gerüstet, haben Vertrauen in die demokratischen Institutionen und sind zu gemeinschaftlichem Engagement bereit?
Seit Einzug der Corona-Pandemie erleben wir weitreichende Veränderungen in allen Bereichen unseres Lebens. Die zahlreichen Einschränkungen in unseren täglichen, routinierten Abläufen und der damit verbundenen Verzicht, den wir alle hinnehmen müssen – diesen Erschwernissen steht auf der anderen Seite ein unglaubliches zivilgesellschaftliches Engagement gegenüber. Ob Nachbarschaftshilfen oder die zahlreichen fleißigen Hände, die bei der Anfertigung von Schutzmasken helfen, wir erleben gerade eine Zeit des gegenseitigen Achtens und Helfens – eben auf Distanz, mit Rücksicht auf andere. Dass Einbußen in ideeller oder finanzieller Hinsicht und Einschränkungen im täglichen Leben nicht nur Akzeptanz hervorrufen, sondern auch Unmut, Ängste und Unsicherheiten – das ist nicht von der Hand zu weisen. Aber hier versucht die Politik durch ständiges Nachsteuern sehr verantwortungsvoll den Blick auf die Auswirkungen zu richten und diese immer wieder aufs Neue zu hinterfragen. Mein Eindruck ist, dass die Menschen sehr wohl Vertrauen in die Demokratie haben und diese übertragene Verantwortung zurzeit sogar stärken. In Krisenzeiten ist das Bewusstsein für Sicherheit deutlich höher als in von Unbeschwertheit geprägten Zeiten – das ist ganz natürlich. Ich bin jedenfalls mächtig stolz auf die Saarländerinnen und Saarländer, die sich mit großem Einsatz im Job oder im Ehrenamt einbringen und damit eine große Stütze für die Gesellschaft sind. Vielleicht können wir diese schwierige Zeit auch mit langfristigen positiven Effekten überstehen – das wäre mein großer Wunsch.

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