Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
DU UND DAS TIER: Herr Florian Stein, was macht den Europäischen Aal aus und was fasziniert Sie an diesen Tieren?
Ich glaube es gibt kaum eine zweite Art auf unserem Planeten die einen so komplexen Lebenszyklus durchlaufen muss um sich fortzupflanzen. Zweimal im Leben muss jeder Aal dabei den Atlantik durchqueren. Gleichzeitig ist er von großer kultureller und ökonomischer Bedeutung und hat seit 2007 eine eigene EU-Aalverordnung, (EG) Nr. 1100/2007. Folglich ist die ganze Aalproblematik unglaublich komplex und vielschichtig.
DU UND DAS TIER: Warum machen Sie sich gerade für diese Tiere stark?
Seit ich vor fast zehn Jahren mit meiner Forschung begonnen habe, muss ich mir immer wieder anhören das Aale „eklig“ sind. In 98 Prozent der Fälle ist die Verfilmung der „Blechtrommel“ Ursache dieses, ich nenne es mal „Gefühls“. Das ist sehr schade und war sicher auch nicht die Intention von Günther Grass (Autor) oder Volker Schlöndorf (Regie). Aber das hat bei mir sicherlich auch eine gewisse Trotzreaktion hervorgerufen.
In Bezug auf den illegalen Handel kommt hinzu, dass der Aal eine der ganz wenigen Arten im Bereich „illegaler Wildtierhandel“ ist, die ihren Ursprung in Europa haben. Gerne zeigen Politiker und NGOs mit dem Finger nach Afrika und prangern beispielsweise den Handel mit Elfenbein, Rhinohorn und Pangolin an. Der Aal hat meinem Empfinden nach mindestens dieselbe Aufmerksamkeit verdient.
DU UND DAS TIER: Inwieweit haben sich die Aal-Bestände in Deutschland und Europa in den letzten Jahrzehnten verändert und wie wirkt sich diese Entwicklung auf das Ökosystem aus?
Jedes Jahr im Herbst trifft sich die Aal-Arbeitsgruppe (WGEEL) des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES), um die aktuelle Bestandsentwicklung zu ermitteln. Die Jahresberichte sind öffentlich zugänglich, sodass sich jeder ein eigenes Bild auf Grundlage der verfügbaren, wissenschaftlichen Daten machen kann. Es gab einen massiven Bestandrückgang verglichen mit den Daten der 1960er und 1970er Jahre. In den letzten Jahren scheint der Abwärtstrend zu stagnieren und sogar leicht rückläufig zu sein – Entwarnung kann deshalb aber noch lange nicht gegeben werden.
Der Europäische Aal war einst der häufigste Fisch in Europäischen Süßgewässern und sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Mauretanien in Nordafrika bis zur Barentssee in Nordnorwegen. Es gibt Belege, dass die historische Menge Glasaal in Flussläufen und Kanälen so groß war, dass die Glasaale direkt zum Düngen auf die Felder geschaufelt oder an Hühner verfüttert wurden. Man kann sich gut vorstellen, dass so große Mengen einst ein wichtiges Element im Nährstoffaustausch zwischen Ozean und Kontinent waren. Weiterhin sind Aale sowohl als Raubfische als auch als Futterfische für andere Arten wie beispielsweise Otter, Vögel und andere Fische von Bedeutung.
DU UND DAS TIER: Was sind die Hauptgründe, warum der Europäische Aal heute vom Aussterben bedroht ist?
In der Fachliteratur werden viele mögliche Gründe für den Bestandsrückgang verantwortlich gemacht. Vermutlich ist es eine Kombination von verschiedenen Ursachen, die zusammen den starken Rückgang zur Folge hatten. Aus meiner Sicht ist es sehr wahrscheinlich, dass der massive Habitatverlust durch Landgewinnung (beispielsweise Norddeutschland und Niederlande) und die damit verbundene Blockade von Wanderwegen durch Dämme und Wasserkraftwerke während der letzten 200 Jahre zu den einflussreichsten Faktoren gehören. Europaweit sind es laut einer Studie des Projekt AMBER circa 1,3 Millionen Bauwerke, die Wanderrouten blockieren und wichtige Habitate unzugänglich machen.
DU UND DAS TIER: Hat das 2010 geschaffene EU-weite Exportverbot geholfen, dass sich die Bestände erholen oder sie zumindest auf einem gleichmäßigen Niveau zu halten?
Das ist wirklich eine schwierige Frage, da die Folgewirkungen des Verbots erst allmählich sichtbar werden. Zum einen hat sich der Druck auf andere Aal-Arten erhöht. Der Amerikanische Aal und tropische Arten werden auf einmal global gehandelt. Sicherlich spielt das Handelsverbot, aber auch eine generelle Produktionserhöhung dabei eine Rolle. Andererseits gab es auch schon vor dem Handelsverbot einen massiven, legalen Handel nach Asien. Wenn ich die Situation ganz pessimistisch betrachte, muss ich aufgrund der aktuellen Erkenntnisse davon ausgehen, dass dieser massive Handel trotz Verbots nie wirklich zum Erliegen kam. Vielmehr vermute ich, dass er komplett im Verborgenen fortgesetzt wurde.
Laut der FAO werden in chinesischen Aalfarmen jedes Jahr über 200.000 Tonnen Aal produziert. Aus dem gemeldeten Glasaaleintrag in chinesische Aalfarmen lassen sich aber nicht einmal 50.000 Tonnen Aal erzeugen. Sind die Daten der FAO nicht genau und überschätzen sie die Produktionsmenge? Woher stammen die Glasaale die zur Produktion der Differenz benötigt würden? Auf beide Fragen haben wir derzeit noch keine Antwort, sie sind aber Teil unser Untersuchungen.
DU UND DAS TIER: Kaum jemand ahnt, dass es einen Mafia-ähnlichen Handel mit jungen Glasaalen gibt. Wie sind Sie auf dieses illegale Millionengeschäft gestoßen und können Sie sagen, wie viele Tiere auf diese Art und Weise jedes Jahr aus Europa verschwinden?
Der Handel mit Aal über europäische Außengrenzen hinaus ist erst seit 2010 verboten. Der illegale Handel ist folglich noch ein vergleichsweise junges Problem. Seit Inkrafttreten des Verbots gab es nur relativ wenige Veröffentlichungen zu dieser Problematik, geschweige denn wissenschaftlicher, die sich mit der Thematik beschäftigen. Anfang 2015 bin ich durch Zufall auf einen der wenigen Berichte gestoßen und die Geschichte nahm ihren Lauf.
Laut Europol werden jedes Jahr etwa 100 Tonnen Glasaale nach Asien exportiert. Das entspricht einer Menge von etwa 350 Millionen Glasaalen. Wenn wir das in Relation zum europäischen Bestand setzen, kommen wir zu dem Schluss, dass diese Menge etwa einem Viertel des jährlichen Glasaalaufkommens entspricht. Wenn tatsächliche ein Viertel des europäischen Bestands jedes Jahr illegal nach Asien verschwindet und damit nicht natürlich aufsteigen kann und auch nicht für Besatzmaßnahmen verwendet werden kann, dann muss sich das massiv auf den Bestand auswirken.
DU UND DAS TIER: Gibt es Zahlen, wie viele Millionen das illegale Geschäft jedes Jahr in die Kassen der Händler spült?
Die Preisentwicklung wird gesteuert durch Angebot und Nachfrage und ist über eine Fangsaison sehr dynamisch. Ich nenne mal ein Beispiel: Normalerweise liegt der Einkaufspreis für ein Kilogramm Glasaale in Europa irgendwo zwischen 150 und 350 Euro. Im Januar 2018 waren die Fänge des Japanischen Aals (Anguilla japonica) extrem niedrig. Dadurch ist die Nachfrage nach Europäischem (Anguilla anguilla) und Amerikanischem Aal (Anguilla rostrata), dem Ersatzprodukt, rasant angestiegen. Das hatte zur Folge, dass der Preis für lebende, europäische Glasaale in Asien zwischenzeitlich auf über 6.000 Euro pro Kilogramm geschnellt ist. Für ein Kilogramm des bei asiatischen Konsumenten beliebteren Japanischen Aals wurde sogar unglaubliche 32.000 Euro gezahlt.
Momentan versuchen wir den kompletten Marktwert der Produktion aus 100 Tonnen Glasaal abzuschätzen. Allerdings gibt es einige unsichere Variablen, die einen großen Einfluss auf den Marktwert haben. Je nachdem, welche Variablen wir in der Berechnung berücksichtigen, liegt der Marktwert der aus 100 Tonnen Glasaal erzeugten Aalprodukte zwischen einer und vier Milliarden Euro.
DU UND DAS TIER: Auf welche Art und Weise werden die Glasaale nach Asien verfrachtet und welche Konsequenzen hat das für die einzelnen Tiere? Können Sie sagen, wie viele Aale jedes Jahr auf diese Art und Weise sterben?
Für den illegalen Transport gibt es zwei unterschiedliche Methoden. In den letzten Jahren sind immer wieder Passagiere aufgeflogen, die lebende Aale in mit wenig Wasser und viel Sauerstoff gefüllten Gefrierbeuteln (Aale können über die Haut atmen, solange sie in einem feuchten Milieu sind) im Check-In Gepäck nach Asien schmuggeln wollten. Zur Verlangsamung des Stoffwechsels werden gefrorene Wasserflaschen als Kühlakkus zwischen die Tüten gepackt.
Der größere Teil wird aber vermutlich in Luftfrachtcontainern transportiert. Entweder werden die Aale unter anderem Seafood versteckt oder die gesamte Ladung wird falsch deklariert. Grenz- und Zollbehörden interessieren sich in erster Linie dafür, welche Waren in ein Land eingeführt werden. Das spielt den Kriminellen beim Export aus Europa heraus natürlich in die Karten.
Die Sterblichkeit während des Transports ist abhängig von verschiedenen Faktoren. Ist genügend Sauerstoff in den Tüten? Gibt es Verzögerungen auf der Flugreise? Sind die Fische ausreichend gekühlt? Aber nicht nur die Strafverfolgungsbehörden werden jedes Jahr besser – auch die Schmuggler. Diese sind natürlich sehr daran interessiert maximalen Profit zu machen. Und das gelingt nur, wenn möglichst viele Fische lebend in Asien ankommen.
DU UND DAS TIER: Wie weisen Sie nach, dass der Europäische Aal tatsächlich auf den Tellern in Asien landet und ist den Menschen dort bewusst, dass der Fisch auf ihrem Teller ein vom Aussterben bedrohtes Tier aus Europa ist?
2016 haben wir erstmal mit einem DNA-Test nachgewiesen, dass es sich bei den im Koffer nach Hong Kong geschmuggelten Aalen auch wirklich um Europäische Aale gehandelt hat. Auf die Ergebnisse einer solchen Untersuchung wartet man in der Regel zwei Wochen – ein Problem, da man Verdächtige – zum Glück – nicht einfach zwei Wochen inhaftieren kann.
Momentan entwickeln Kollegen von der University of Leicester einen mobilen Schnelltest, mit dem die Artbestimmung in Zukunft direkt am Flughafen innerhalb von einer Stunde möglich sein wird. Das wird die Beweisführung und folgende Strafverfolgung erheblich vereinfachen.
Meiner Erfahrung nach ist das Bewusstsein für nachhaltige Nutzung und speziell für die Gefährdungslage des Europäischen Aals in Asien weniger ausgeprägt als in Europa. Das überrascht aber nicht. Wer hier in Europa weiß denn genau Bescheid über den Japanischen Aal (Anguilla japonica)? Aal gehört in einigen asiatischen Ländern zur täglichen Küche. In Japan gibt es jeden Sommer definierte „Aalfeiertage“ (Doyo-ushi), an denen traditionell viel Aal konsumiert wird. Aber auch wenn der illegale Handel durch die Nachfrage chinesischer Aalfarmen gesteuert wird – die erzeugten Produkte bleiben nicht ausschließlich in Asien. Mit der globalen Verbreitung von japanischen Restaurants werden Aalprodukte beispielsweise auch für die Verwendung im Sushi (Unagi = Aal) oder als Kabayaki Filets in die ganze Welt exportiert.
Es könnte also sein, dass ich in einem Düsseldorfer Sushi Restaurant Unagi esse, der in Europa gefangen, dann illegal nach China exportiert , dort für 1-2 Jahre gemästet, und dann (wieder illegal) nach Europa exportiert wurde. Dass der CO₂-Fußabdruck eines solchen Fisches wohl eher die Größe eines Yeti-Fußes hat, ist hier offensichtlich.