Titelthema

Die Fleischproduktion revolutionieren

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Die Fleischproduktion revolutionieren

Im Gespräch mit Professor Dr. Mark Post von der Universität Maastricht, einem der Erfinder von Clean Meat.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Einer der Erfinder von Clean Meat: Professor Dr. Mark Post von der Universität Maastricht

Einer der Erfinder von Clean Meat und Mitbegründer des Start-up-Unternehmens Mosa Meat: Professor Dr. Mark Post von der Universität Maastricht.

DU UND DAS TIER: Herr Professor Dr. Post, wie entstand eigentlich die Idee, Fleisch künstlich herzustellen?

Die Idee gibt es eigentlich schon ziemlich lange. 1931 schrieb Winston Churchill in einem Artikel: „Wir werden von dem Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, und diese stattdessen in einem geeigneten Medium züchten.“ In den Niederlanden ging ein pensionierter Unternehmer, Willem van Eelen, dieser Idee nach. Er animierte Wissenschaftler der Universitäten in Utrecht, Amsterdam und Eindhoven sowie Vertreter eines Fleischverarbeitungsunternehmens, ein Programm zu entwickeln und finanzielle Mittel von der niederländischen Regierung zu beantragen. Das sogenannte „InVitroMeat Project“ startete 2004 und ging bis 2009. 2007 trat ich dem Projekt als leitender Wissenschaftler bei und arbeitete auch daran weiter, nachdem die Projektförderung ausgelaufen war. Die Idee zu belegen, dass dieses Vorhaben möglich ist – das Resultat war der erste kultivierte Hamburger der Welt – stammte von mir und von Peter Verstrate, der damals ebenfalls am InVitroMeat Projekt mitarbeitete [und heute auch Geschäftsführer von Mosa Meat ist, Anm. d. Red.].
Unser Ziel ist es, die Art und Weise, wie Fleisch hergestellt wird, zu revolutionieren. Vor allem möchten wir kultiviertes Fleisch kommerzialisieren und es dem breiten Markt zugänglich machen, damit wir unsere wachsende Bevölkerung auf nachhaltige, gesunde und tierfreundliche Art ernähren können.

DU UND DAS TIER: Denken Sie, dass es bald möglich sein wird, Clean Meat ohne das fötale Kälberserum herzustellen?

Einen Ersatz für das fötale Kälberserum herzustellen ist zurzeit aus wissenschaftlicher Sicht noch das größte Problem. In Zukunft können wir es nicht mehr verwenden, weil es zum einen nicht mit unseren Vorstellungen von Tierschutz vereinbar ist und es auf der anderen Seite nicht nachhaltig ist, wenn sich durch Clean Meat die Zahl der Kuhherden weltweit reduzieren wird, und das Kälberserum aber von Föten geschlachteter Kühe stammt. Inzwischen haben wir es geschafft, ein Nährmedium zu entwickeln, das ohne dieses Kälberserum auskommt – das müssen wir jetzt aber noch weiter optimieren. Auch aus finanzieller Sicht ist es überaus wichtig, das Serum zu ersetzen, da 80 Prozent der Herstellungskosten dafür aufgewendet werden.

DU UND DAS TIER: Vor welchen weiteren Herausforderungen stehen Sie?

Aus wirtschaftlicher Sicht stehen wir noch vor der Herausforderung, die Produktion zu steigern und die Kosten für Clean Meat auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu senken. Wir planen, unsere ersten Produkte bis 2021 auf dem Markt einzuführen.

„Es braucht nur zwölf Wochen,
um 100.000 Burger herzustellen.“

DU UND DAS TIER: Wie lange dauert es, einen Clean-Meat-Burger herzustellen?

Das dauert etwa zehn Wochen. Aber das heißt nicht, dass wir kultiviertes Fleisch zukünftig nicht im industriellen Maßstab produzieren können. Da das Wachstum von Zellen exponentiell ist, braucht es etwa zehn Wochen einen Burger herzustellen, der ein Viertelpfund wiegt (113,4 Gramm), aber nur zwölf Wochen, um 100.000 Burger herzustellen. Im Vergleich dauert es 18 Monate eine Kuh großzuziehen, die dann geschlachtet wird und einen Ertrag von weniger als 1.500 Burger ergibt.

DU UND DAS TIER: Müssen Landwirte befürchten, arbeitslos zu werden?

Sofern die Mehrheit der Bevölkerung Clean Meat akzeptiert, wird sich dadurch die Fleischbranche wandeln und manche Berufe in der Landwirtschaft überflüssig machen. Das wird nicht sofort passieren, es bleibt also Zeit für eine Übergangsphase. Glücklicherweise können diejenigen, die in der Viehwirtschaft arbeiten, von den neuen Marktchancen, die kultiviertes Fleisch bietet, profitieren. Zum Beispiel können sich Landwirte, die bereits Futtermittel für Tiere produzieren, einen Vorteil verschaffen, wenn sie dazu übergehen wollen, Nahrung für die Zellen zu produzieren – das wird ein großer neuer Markt werden. Wenn kultiviertes Fleisch dazu beitragen kann, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, werden zudem Landwirte in Entwicklungsländern profitieren, die sonst besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden.

DU UND DAS TIER: Planen Sie, Clean Meat mithilfe von Stammzellen anderer Tierarten herzustellen?

Angesichts der wissenschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen, die mit der Herstellung verbunden sind, haben wir uns entschieden, uns zunächst auf eine Fleischsorte zu konzentrieren. Wir haben uns für Rindfleisch entschieden, weil Rinder die am wenigsten effizienten Verbindungen in der Nahrungsmittelproduktion sind. Sie wandeln nur 15 Prozent ihres Futters in Fleisch um, das wir letztendlich essen können (Schweine sind doppelt so effizient und Hühner sogar viermal so effizient). Das heißt, dass Kühe die meisten Ressourcen benötigen und den größten Einfluss auf die Umwelt haben. Sie verursachen auch die meisten Treibhausgas-Emissionen. Zukünftig werden wir auch daran arbeiten, kultiviertes Fleisch von anderen Tierarten herzustellen. Während jedes Jahr Millionen Kühe geschlachtet werden, werden sogar noch mehr Hühner und Schweine getötet. Besonders aus Tierschutzsicht halten wir es daher für sehr wichtig, auch die Art und Weise zu ändern, wie wir Hühner- und Schweinefleisch produzieren.

DU UND DAS TIER: Wäre es nicht sinnvoller, pflanzenbasierte Fleischalternativen zu entwickeln?

Wir denken auch, dass es besser wäre, wenn sich jeder auf pflanzlicher Basis ernähren würde, da diese Produkte sogar noch nachhaltiger sind als kultiviertes Fleisch. Allerdings befürchten wir, dass viele Menschen keine Vegetarier oder Veganer werden möchten – besonders weil der Geschmack und die Konsistenz pflanzenbasierter Alternativen nie genau dem von Fleisch entsprechen werden. Deshalb denken wir, dass wir jede Möglichkeit, die konventionelle Tierhaltung zu ersetzen, in Betracht ziehen sollten – und dazu gehört auch kultiviertes Fleisch.

„Unser Hauptziel ist es,
nachhaltiges und tierfreundliches Fleisch
der breiten Masse anzubieten.“

DU UND DAS TIER: Denken Sie, dass Vegetarier und Veganer Clean Meat akzeptieren werden?

Das kommt vielleicht darauf an, wie man „vegetarisch“ und „vegan“ definiert. Wenn es heißt, einfach kein Fleisch zu essen (beziehungsweise weder Fleisch noch Milch- und Eiprodukte), dann lautet die Antwort „nein“ – kultiviertes Fleisch ist Fleisch. Viele Vegetarier oder Veganer sind jedoch nicht gegen Fleisch an sich, sie lehnen vielmehr die ethischen Probleme ab, die mit der Herstellung einhergehen. Da kultiviertes Fleisch nicht erfordert, Tiere unwürdig zu behandeln oder sie zu schlachten, und auch nicht die gleichen Umweltprobleme wie bei konventionell erzeugtem Fleisch damit verbunden sind, ist es möglich, dass viele Vegetarier und Veganer es akzeptieren. Unser Hauptziel ist allerdings, nachhaltiges und tierfreundliches Fleisch der breiten Masse anzubieten, da das den größten Einfluss auf den Ausstoß von Treibhausgasen, Umweltschäden und Tierleid haben wird.

DU UND DAS TIER: Könnte man Clean Meat auch zuhause herstellen?

Die Technologie ist relativ einfach und man könnte Equipment entwickeln, das den Herstellungsprozess weiter vereinfacht. Theoretisch wäre es also möglich, kultiviertes Fleisch im eigenen Zuhause herzustellen, genau wie manche Menschen Gemüse im eigenen Garten anbauen. Allerdings ist das kein sehr realistisches Szenario. Fleisch in einem sehr kleinen Maßstab zu produzieren würde ungefähr zehn Wochen dauern, daher würde diese Vorstellung wahrscheinlich nur den geduldigsten Köchen gefallen. Bei einem etwas höheren Produktionsmaßstab könnten wir uns allerdings vorstellen, dass Gemeinschaften in einer Stadt landwirtschaftliche Betriebe führen, bei denen sich Menschen um eine kleine Gruppe von Tieren kümmert. Hin und wieder würden sie den Tieren ein paar Stammzellen entnehmen (mit einer Biopsie und unter Betäubung), von denen sie dann Fleisch für die Gemeinschaft züchten könnten. Wir können uns sogar „Fleischfabriken“ vorstellen, die in Lieferwagen unterwegs sind und Fleisch in Regionen liefern, die sonst völlig abgeschnitten sind, wie etwa Flüchtlingslager und Katastrophengebiete.