Mit den Nerven am Ende

Im Einsatz für die Tiere

Mit den Nerven am Ende

Die Nachfrage nach Haustieren ist seit Beginn der Corona-Pandemie riesig. Dabei beobachten die Tierheime und Tierschutzvereine seit Monaten eine besorgniserregende Entwicklung: Zahlreiche von ihnen erleben immer häufiger Anfeindungen, Drohungen und Vorwürfe von Interessenten. Oft reagieren diese gereizt und zeigen kein Verständnis, wenn sie zum Beispiel nicht sofort ein Tier bekommen.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

„Seit Beginn der Corona-Pandemie ersticken wir in Anfragen nach allen Tieren, insbesondere nach Hunden, und kommen kaum noch vom Schreibtisch weg“, schildert Kirstin Höfer, Leiterin des Tierheims Koblenz, welches dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossen ist. „Täglich erhalten wir bis zu 70 E-Mails und ebenso viele Anrufe.“ So wie den Koblenzer Tierschützern geht es zurzeit den meisten Tierheimen und Tierschutzvereinen. Denn die Corona-Krise hat bei vielen Menschen den Wunsch nach einem tierischen Begleiter, der ihnen Gesellschaft leistet, geweckt. Auf den ersten Blick ist dieses große Interesse an Tieren aus dem Tierschutz erfreulich. Begleitet wird diese sprunghaft angestiegene Nachfrage jedoch immer häufiger von massiven Anfeindungen, Drohungen, Vorwürfen und auch Handgreiflichkeiten: Noch lange nicht jeder Interessent zeigt Verständnis, wenn er eine Absage oder nicht unmittelbar eine Rückmeldung erhält. Natürlich prüfen die Tierheime nach wie vor ganz genau, dass sie die zu vermittelnden Hunde, Katzen und Co. nur an neue Halter vermitteln, wenn diese ihnen tatsächlich ein geeignetes, schönes Zuhause bieten können. Und angesichts der kaum zu bewältigenden Flut an Adoptionsanfragen ist es unmöglich, zeitnah ein passendes Tier für alle Interessenten zu finden. „Wir sind kein Zoofachgeschäft oder Onlineshop, die jeden beliefern“, sagt Höfer. Vielmehr sei es ihr und ihren Mitstreitern wichtig, dass sowohl die Tiere als auch ihre neuen Halter glücklich werden.

Die Mitarbeiter von Tierheimen und Tierschutzvereinen kümmern sich aufopferungsvoll um all die liebenswerten Tiere, die auf ein neues Zuhause warten.

Verunglimpfungen im Internet

Neben Anfeindungen und Drohungen berichten viele Tierschützer auch von unangebrachten schlechten Bewertungen im Internet und auf Social-Media-Kanälen – auf diesem Weg machen abgewiesene oder verständnislose Interessenten ihrem Ärger oft Luft und werfen zu Unrecht ein schlechtes Licht auf die Einrichtungen. Außerdem würden manche Menschen versuchen, die Tierheimmitarbeiter moralisch unter Druck zu setzen, berichtet Höfer. „Uns wird dann gesagt: ‚Ihr seid schuld, wenn wir uns über das Internet oder einen Welpenhändler einen Hund holen.‘“ Die Tierschützer bringen solche Aggressionen oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. „Wir versuchen, diesem Druck standzuhalten, freundlich und kompetent zu beraten und zu vermitteln, aber wir sind wirklich am Limit“, so Höfer. „Die Arbeit von den Tierheimen hat sich schließlich nicht geändert – wir haben keinen Lockdown, keine Kurzarbeit, kein Homeoffice. Uns fehlt die Zeit, diese ganzen Bedürfnisse der Menschen aufzufangen.“ So müssen die Tierschützer nach wie vor Tag für Tag zahlreiche Tiere versorgen – Corona hin oder her. Und das zusätzlich zur gestiegenen Verwaltungsarbeit, die sie bewältigen müssen.

Ungeduld und Unverständnis

Ähnliche Erfahrungen wie das Tierheim Koblenz haben auch die Mitarbeiter des Konrad-Adenauer-Tierheims in Köln-Zollstock gesammelt. Wenn die Presse über besondere Tierschicksale berichtet, die die Kölner Tierpfleger betreuen, bestehe ein verstärktes Interesse an der Adoption dieser Tiere, schildert Elke Sans, die im Tierheim für die Revierleitung Katzen zuständig ist. „Wir haben schon häufiger festgestellt, dass die Menschen uns dann verbal angreifen, weil sie jetzt sofort das Tier haben möchten.“ Auch wenn die Tiere krank sind und noch nicht vermittelt werden können, was beispielsweise bei beschlagnahmten Tieren oft der Fall ist, würden viele frustrierte Interessenten mit sehr viel Ungeduld und Unverständnis antworten, so Sans. „Seit der Corona-Krise ist die Reaktion der Menschen noch heftiger. Wir werden dann beschimpft und uns wird vorgeworfen, wir würden die Tiere unter der Hand vermitteln.“ Zudem werde behauptet, dass die Tiere im Tierheim nicht gut aufgehoben seien, sagt Sans. Mit dem derzeitigen Ausmaß der Anfeindungen erreicht eine jahrelange Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt. Der Deutsche Tierschutzbund beobachtet dies als Dachverband von mehr als 740 Tierschutzvereinen mit rund 550 vereinseigenen Tierheimen mit Sorge. Grundsätzlich sei es erfreulich, wenn Interessenten den Weg ins Tierheim suchen, anstatt auf dubiose Onlineanzeigen hereinzufallen, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Aber egal, wie groß der Wunsch nach einem Haustier ist: Es sollte dabei klar sein, dass ein Tierheim kein Supermarkt ist, wo man Hund, Katze und Co. einfach mitnehmen kann.“ Der Verband wirbt daher um Verständnis, dass die Tierheime mit besonderer Sorgfalt im Sinne des Tieres entscheiden. „Zudem kämpfen auch die Tierheime mit Pandemieauflagen, wodurch oft zusätzlicher Verwaltungsaufwand entsteht“, so Schröder.

Die Tierschützer begegnen auch Herausforderungen mit Geduld – seien es unfreundliche Interessenten, Animal-Hoarding-Fälle oder andere Tiere aus schlechter Haltung. So päppeln sie die Katzen, Hunde und Co. auf und vermitteln sie an verantwortungsvolle neue Besitzer.

Aggressive Reaktionen

Die Aggressionen gehen mitunter so weit, dass manche Abgewiesenen mit einem Anwalt, der Presse und sogar körperlicher Gewalt oder Mord drohen. So benötigte ein Tierheim, das dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossen ist, zum Teil wochenlang Polizeischutz, wenn Mitarbeiter nachts Fundhunde abholen sollten. „Die Reaktionen reichen von Bestechungsversuchen wie zum Beispiel ‚Ich spende Ihnen eine Summe X, dann darf ich mir aber bitte aussuchen, was ich will‘ bis hin zu Morddrohungen – diese haben wir bei der Polizei angezeigt“, berichtet Martina Höng, Vorsitzende des Tierschutzvereins Hersbruck und Umgebung „tierisch in action“. Viele Menschen seien ihrer Erfahrung nach der Ansicht, sie hätten ein Anrecht auf ein Tier ihrer Wahl, wenn sie schon einmal für den Tierschutzverein gespendet haben. „Das Tier spielt bei solchen Menschen keine Rolle, sondern der blanke Egoismus“, kritisiert Höng. „Schlimm war auch die Zeit in der ersten Lockdown-Phase, als die Menschen Tiere von uns ausleihen wollten – hier mussten wir uns teilweise schwere Beschimpfungen anhören. Ihnen zufolge sollten wir doch froh sein, in diesem Zeitraum einen ‚Fresser‘ weniger zu haben.“

„Die Reaktionen reichen von Bestechungsversuchen
bis hin zu Morddrohungen.“ – Martina Höng

In zahlreichen Tierheimen ist es auch schon zu Einbrüchen gekommen, bei denen nicht nur Geld und Wertsachen, sondern auch Tiere gestohlen wurden. Andere berichten wiederum von aufgestochenen Autoreifen. „Mit Sorge beobachten wir zudem den Verkauf von Tieren über eBay Kleinanzeigen und die Importe von Hunden und Katzen aus dem Ausland“, sagt Monika Hahn, Vorsitzende des Tierschutzvereins Südthüringen. Denn die Verkäufer seien hauptsächlich daran interessiert, eine Menge Geld zu verdienen, und nicht liebevolle, geeignete Besitzer für die Tiere zu finden. So befürchten viele Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer von Tierheimen und Tierschutzvereinen eine Welle an Abgabetieren, wenn sich diese Tiere als krank erweisen oder die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie enden.

Glücklicherweise gibt es auch noch zahlreiche tierliebe Menschen, die die Arbeit der Tierschützer zu schätzen wissen und sowohl mit den Mitarbeitern als auch den Tierheimtieren respektvoll umgehen.

Es gibt auch Lichtblicke

Um die Tierheime und Tierschutzvereine bei all diesen Herausforderungen zu unterstützen, stehen die Tierheimberatung, die Vereinsberatung Recht, die Vereinsbetreuung und die zuständigen Landesverbände des Deutschen Tierschutzbundes ihnen mit ihrem Fachwissen zur Seite. Außerdem informiert der Verband innerhalb seiner Kampagne „Tierheime helfen. Helft Tierheimen!“ über die Situation der Einrichtungen in der Corona-Situation und gibt zudem Tipps für Menschen, die gern ein Tier adoptieren möchten. So erfahren Interessenten beispielsweise, welche Voraussetzungen sie am besten mitbringen, um einem tierischen Gefährten ein schönes Zuhause zu bieten, und was sie vor der Anschaffung bedenken sollten. Trotz all dieser Probleme und Sorgen gibt es auch Lichtblicke, die den Tierschützern wieder Kraft geben. „Wir bauen uns an den sehr gut vermittelten Tieren auf – jedes Tier, das durch unsere Hände geht und gesund, kastriert, gechippt und geimpft ein verantwortungsvolles Zuhause findet, erfreut uns und gibt Ansporn“, sagt Hahn. „Und wenn dann das positive Feedback kommt, die neuen Besitzer strahlen, sie gemeinsam mit ihren Hunden uns besuchen kommen und Geschenke für die anderen Tierheimtiere vorbeibringen – dann bestärkt uns das, auf diesem Weg weiterzumachen, für die Tiere.“ So gibt es glücklicherweise auch zahlreiche tierliebe Menschen, die die Arbeit der Tierschützer zu schätzen wissen und sowohl den Mitarbeitern als auch den Tierheimtieren mit Respekt begegnen.

DIE TIERE BRAUCHEN SIE

  • Lesen Sie mehr über die Situation der Tierheime in Corona-Zeiten und über die Kampagne „Tierheime helfen. Helft Tierheimen!“.
    tierheime-helfen.de
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