Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Gerade in den Sommermonaten begegnen Touristen häufiger Seehunden. Zu viel Nähe und voreilige Hilfsversuche führen zu Konflikten.
Sommerferien. Die Sonne scheint. Eine leichte bis mittlere Brise weht über das Watt der Nordsee oder über den Ostseestrand. So können sich wohl viele in diesen Tagen ihren Urlaub vorstellen. Wenn sie ihn nicht sogar bereits dort verbringen. Zu den i-Tüpfelchen für große und kleine Urlauber gehört es, am Meer Kegelrobben oder Seehunde zu entdecken (mehr zu den faszinierenden Tieren lesen Sie exklusiv in der Printausgabe von DU UND DAS TIER 2/2022). Glücklicherweise ist eine Robbensichtung an deutschen Küsten keine Seltenheit mehr. Umso wichtiger ist es, einen gebührenden Abstand zu halten und die Tiere aus der Ferne zu beobachten. 300 Meter sollten es mindestens sein, egal, ob an Land oder auf einem Schiff. Besonders, wenn es sich um Jungtiere handelt. „Die Welpen von Seehunden kommen in der Regel zwischen Ende Mai und Juli zur Welt“, erklärt Denise Ritter, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund.
Die Weibchen bringen jeweils ein Jungtier zur Welt. Seehunde säugen ihren Nachwuchs bei Niedrigwasser meist auf Sandbänken. Dort kommt es gerade in den Sommermonaten häufig zu Begegnungen mit Touristen, die sich ihnen bei Wattwanderungen, auf Bootstouren oder anderen Ausflügen unbedarft nähern. Kegelrobben, die im Winter gebären, suchen sich hingegen bevorzugt hochwassersichere Plätze am Strand für die Aufzucht. „Bevor das Jungtier zum ersten Mal ins Wasser geht, muss es sich zuerst eine schützende Fettschicht anfressen“, berichtet Ritter. Das dauert drei bis sechs Wochen, in denen sie täglich ein bis zwei Kilogramm zunehmen. Bis sie das Lanugo-Fell verlieren und bereit für die Selbstständigkeit sind, liegen die putzigen Tierbabys häufig alleine am Strand. Die Mutter sucht währenddessen nach Nahrung. Das ist jedoch kein Grund, sich ihnen unbedarft zu nähern.
Junge Seehunde, die scheinbar allein sind, müssen nicht wirklich allein sein. Menschen, die befürchten, dass sie verwaist sind, sollten sich aus gebührendem Abstand vergewissern, dass die Mutter nicht nur auf der Jagd ist.
„Jungtiere wirken mutterlos, sind es häufig jedoch nicht“, so Ritter. Sie können es aber werden, wenn Menschen sich falsch verhalten und ihnen zu nahekommen. Ebenso kommt es vor, dass die Mutter nicht zu ihrem Kind zurückkehrt, wenn Menschen zwischen ihr und ihm stehen. Dann wird es zum sogenannten Heuler. „Das passiert auch unbeabsichtigt, weil die Urlauber nicht wissen, wo sich die Mutter befindet“, berichtet die Expertin. Es ist daher immens wichtig, die 300 Meter Abstand zu wahren. „Denn Heuler haben ohne menschliche Hilfe so gut wie keine Überlebenschance.“
Selbst wenn Passanten befürchten, dass es sich bei dem Jungtier – beispielsweise nach einem Unwetter – bereits um einen Heuler handelt, dürfen sie es keinesfalls anfassen. „Laien können nahezu nicht feststellen, ob es auf sich gestellt ist oder nur auf seine Mutter wartet“, erläutert Ritter. Voreilige menschliche Berührungen könnten jedoch fatale Folgen haben. Denn Seehunde und Kegelrobben erkennen ihre Jungen am Geruch. Riechen sie nach Mensch, erkennen die Tiere sie womöglich nicht wieder und verstoßen sie. In anderen Fällen können auch Urlauber von den friedlich wirkenden, aber nicht zu unterschätzenden Tieren schwere Bisswunden inklusive Infektionen davongetragen. Und das wären in beiden Situationen mehr als traurige Urlaubserinnerungen.
Bildrechte: Artikelheader: Pixabay – Dave Hostad (Porträt); Fotos: Pixabay – Klaus Stebani (Seehunde auf Steinen), Ole Wieneke (Seehund im Wasser), A_Different_Perspective (sandige Kegelrobbe)