Unter Generalverdacht

Hinter den Kulissen

Unter Generalverdacht

Listenhunde und ihre Halter leiden unter Vorurteilen. Als gefährlich verschrien und in manchen Bundesländern mit Auflagen bis hin zu Haltungsverboten belegt, landen auch unauffällige Tiere in Tierheimen. Dabei könnten tierschutzgerechtere Alternativen Hunde und Menschen präventiv schützen.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Lebenslänglich! Ein hartes Urteil. Wenn vor Gericht alles mit rechten Dingen zugeht, ist das die gerechte Strafe für den Täter eines Kapitalverbrechens. Anders sieht das leider oft in deutschen Tierheimen aus. Denn auch dort sitzen Hunde teilweise lebenslänglich ein, vorverurteilt aufgrund ihrer Rasse und somit schwer oder gar nicht vermittelbar. Kampfhunde, gefährliche Hunde oder Listenhunde. Diese Stempel, die Behörden Hunden aufdrücken, die den Rassen American Staffordshire Terrier oder Bullterrier zugerechnet werden, stellen auch verspielte Familienhunde und ihre Halter unter Generalverdacht. Auch Hunde vom Pitbulltypus fallen darunter, dabei ist der Pitbull nicht einmal eine anerkannte eigenständige Rasse.

„Für keine andere Tierart wurden jemals so viele gesetzliche Vorschriften und Auflagen verabschiedet“, erklärt Dr. Katrin Umlauf, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund. Nach tragischen Zwischenfällen stuften die meisten Bundesländer einzelne Hunderassen pauschal als gefährlich ein. DieHalter müssen ihnen zwingend Leine und Maulkorb anlegen, wenn sie sie überhaupt noch halten dürfen. In Brandenburg beispielsweise ist dies für sechs Rassen und ihre Kreuzungen verboten. Ohne Zweifel benötigen Menschen Schutz vor gefährlichen Hunden. „Doch es gibt keine Belege dafür, dass von bestimmten Hunderassen eine erhöhte Gefahr ausgeht. Ob ein Hund gefährlich ist, muss im Einzelfall entschieden werden“, führt Dr. Umlauf aus.

Viele Listenhunde, die im Tierheim landen, sind besonders sensibel. Sie brauchen viel Betreuung und intensives Training. Im Berliner Tierheim kümmert sich Tierärztin Xenia Katzurke mit ihren Kollegen um die vorverurteilten Tiere.

Viele Listenhunde, die im Tierheim landen, sind besonders sensibel. Sie brauchen viel Betreuung und intensives Training. Im Berliner Tierheim kümmert sich Tierärztin Xenia Katzurke mit ihren Kollegen um die vorverurteilten Tiere.

Selten an Beißunfällen beteiligt

Das öffentliche Bild der Listenhunde widerspricht den Zahlen. Die Beißstatistik des Landes Hessen für 2016 und 2017 dokumentiert beispielsweise, dass sie in den beiden Jahren nur an knapp zwölf Prozent der dortigen Beißunfälle beteiligt waren. Die Gründe für Bisse sind vielseitig. „Übersteigertes aggressives Verhalten ist bei Hunden nur sehr selten angeboren“, sagt Dr. Umlauf. Eher kommt es zu Problemen, wenn Menschen die Tiere tierschutzwidrig aufziehen, halten, abrichten, missbrauchen, nicht auslasten, fehlerhaft erziehen oder die Situation durch Fehlverhalten auslösen.

Und doch müssen die Tiere das Pauschalurteil ausbaden – in Maulkörbe gezwängt, in denen sie kaum hecheln und trinken können. An der Leine, die sie selbst auf Hundewiesen vom Toben abhält. Oder im Tierheim. Haltungsverbote und Restriktionen, beispielsweise durch Vermieter, führen dazu, dass immer mehr Listenhunde dort landen. „Die Hunde sind oft sehr sensibel. Wir müssen für sie mehr Personal einsetzen, sie stärker betreuen und sie intensiver trainieren“, berichtet Xenia Katzurke, Tierärztin und Verhaltenstherapeutin im Tierheim Berlin. Alle Hundepfleger in Berlin sind für den Umgang mit gefährlichen Hunden speziell geschult.

Tierheime sind Leidtragende

Besonders wenn Behörden Tiere sicherstellen oder der Hintergrund von Fundtieren unbekannt ist, dauert die Suche nach neuen Haltern. Listenhunde bleiben durchschnittlich doppelt so lange wie andere Hunde im Tierheim. In einzelnen Fällen leider auch für immer, gerade in Bundesländern, in denen ihre Haltung verboten ist, obwohl sich die Mitgliedsvereine des Deutschen Tierschutzbundes im Sinne der Tiere bereits gegenseitig helfen und Tiere gemeinsam auch über Ländergrenzen hinweg vermitteln. „Alleine wären wir der großen Zahl an Listenhunden sonst gar nicht gewachsen“, so Katzurke. Mit der Aufenthaltsdauer steigen die Kosten für die Tierheime. Eine spezielle Entschädigung durch die Kommunen gibt es nicht. „Wir lösen ein gesellschaftliches Problem zum Schutze der Öffentlichkeit. Doch die Last tragen unsere Spender und wir“, kritisiert Katzurke. Trotzdem bekämen die Hunde genauso viel Liebe wie alle anderen, und die Auswahl neuer Halter erfolge sorgfältig und nur in sachkundige Hände. Interessenten müssen sich aber leider darüber im Klaren sein, dass Spaziergänge zur Nervenprobe werden. „Anders als mit einem Pudel, spüren viele Halter schon anhand der Reaktionen von Passanten, dass sie und die Tiere ungerecht behandelt werden“, klärt die Tierärztin auf.

Die Regelungen der Länder

Wir haben eine Übersicht über die Gefahrhunderegelungen der einzelnen Bundesländer für Sie zusammengestellt:
duunddastier.de/gefahrhunderegelungen

Ungerecht geht es auch für Tiere und Halter an unterschiedlichen Wohnorten zu, wie Bayern und Brandenburg mit ihren Haltungsverboten einzelner Rassen zeigen. „Was im einen Land gilt, kann schon im Nachbarland ganz anders sein. Das verunsichert und empört Hundehalter zu Recht“, sagt Dr. Umlauf. Daher fordert der Deutsche Tierschutzbund ein bundeseinheitliches Heimtiergesetz. Dieses könnte nicht nur pauschale Restriktionen gegen einzelne Rassen verhindern, sondern auch Gesetzeslücken hinsichtlich Zucht, Haltung, Handel und Import von Tieren schließen. „Behörden müssen das Wesen und die Gesundheit von Zuchttieren vor der Zulassung überprüfen, Züchter und Halter verpflichten, den Hunden sozialen Umgang mit Tieren und Menschen zu lehren und Sachkundenachweise für Halter vor der Anschaffung eines Tieres vorschreiben“, zählt Dr. Umlauf zentrale Bestandteile auf. Dies würde Tier und Mensch wirklich präventiv schützen.

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