Aus dem Archiv

Geliebt. Gehasst. Getötet.

Aus dem Archiv

Geliebt. Gehasst. Getötet.

Wenn Schwein, Huhn und Rind nicht mehr hip genug sind, müssen andere Tierarten dran glauben. Aktuell sorgen in Deutschland vor allem Kängurus für den exotischen Kick auf dem Teller. Die Schattenseite: immense Tierschutzprobleme und eine potenzielle Gesundheitsgefahr für den Menschen.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Kängurus ...

  • leben in Australien, Papua und Neuguinea sowie auf einigen vorgelagerten Inseln
  • werden je nach Art zwischen 25 und 180 Zentimeter groß
  • die Größten von ihnen können über zehn Meter weit und über drei Meter hoch springen
  • können bis zu 60 Kilometer pro Stunde schnell laufen
  • Riesenkängurus und Wallabys ernähren sich überwiegend von Gräsern, Kräutern und Blättern
  • sind vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiv, tagsüber ruhen sie aufgrund der Hitze
  • bekommen in der Regel ein Junges pro Jahr
  • leben je nach Art einzeln, in kleinen oder großen Gruppen
  • ausgewachsene Großkängurus haben – außer dem Menschen – keine natürlichen Feinde. Junge, kranke oder verletzte Tiere werden gelegentlich von Dingos getötet
  • können ihren Wasserbedarf fast ganz über ihre Nahrung decken und müssen nur selten trinken

Känguru an Rotwein-Preiselbeersoße, mit Estragonreis oder auf mediterranem Gemüse – mit über 200.000 Treffern werden Rezeptsuchende im Internet schnell fündig. Damit es in der Gourmetszene immer etwas Neues gibt und angesagte Restaurants mit ausgefallenen Gerichten werben können, entstehen ständig neue Trends. Die zu verführenden Gäste, das Renommee der Köche und das Event sind dabei der Maßstab – für die Hintergründe und die Art und Weise, wie die Tiere sterben müssen, interessieren sich nur die wenigsten Menschen. So exportiert Australien jedes Jahr rund 4.000 Tonnen Kängurufleisch, und wir Deutschen sind mit 500 Tonnen jährlich der zweitgrößte Abnehmer in der EU. Neben dem Fleisch sind hierzulande auch Produkte aus Känguruleder wie Fußballschuhe, Handschuhe oder Stiefel beliebt. Nicht zuletzt ist Kängurufleisch auch in Hunde- und Katzenfutter weit verbreitet, entweder als Zusatz oder sogar als Alleinfuttermittel für futtersensible Vierbeiner.

Verehrtes Nationaltier oder Schädling?

Wenn es nicht schon der erste tut, führt spätestens der zweite Gedanke an Australien zum Känguru. Die beliebten Beuteltiere zieren nicht nur unzählige Fotos, Tassen, T-Shirts oder die berühmten gelben Schilder am Straßenrand – gemeinsam mit dem Emu schmückt das Känguru auch das Wappen des fünften Kontinents. Interpretationen zufolge sollen die Tiere den Fortschritt und die Vorwärtsgewandtheit Australiens unterstreichen. In der Tat können sich sowohl Emu als auch Känguru nur vorwärts bewegen. Das Känguru ist unbestritten eines der bekanntesten Nationaltiere überhaupt und für zahlreiche Menschen ein Anziehungsmagnet. Ein tieferer Blick offenbart jedoch, dass viele Australier – vor allem Farmer, aber auch Behörden und Politiker – die Tiere als Schädlinge ansehen. Für sie sind die wild lebenden Kängurus Nahrungskonkurrenten der landwirtschaftlich gehaltenen Rinder und Schafe. Darüber hinaus machen sie die Tiere für Weide-, Ernte- und Flurschäden verantwortlich. „In Wahrheit gibt es dafür keine wissenschaftlichen Beweise. Nur in extremen Dürreperioden kann es vorkommen, dass Kängurus mit Schafen um das wenige verbliebene Grün konkurrieren“, sagt James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. An den Rufen nach Abschuss ändert das aber nichts. Neben der lukrativen Produktion von Fleisch und Leder ist vor allem das Schädlingsimage der Beuteltiere für die groß angelegte Jagd verantwortlich.

Känguru säugt

Von 2010 bis 2017 wurden in Australien 12.579.232 Kängurus getötet – Hunderttausende Jungtiere sterben jedes Jahr zusätzlich.

Kängurus sterben grausam

Die Jagd an sich ist nicht neu. Schon die Aborigines erlegten Kängurus wegen ihres Fleisches und ihrer Haut. Und die Europäer taten es gleich nach ihrer Ankunft in Australien ebenso. Insgesamt 65 Arten der Beuteltiere sind heute bekannt, darunter verschiedene Baumkängurus, die zum Teil nur auf Papua und Neuguinea leben, bis hin zu den weithin bekannten Wallabys und Riesenkängurus. „Von Ausnahmen abgesehen sind in Australien vor allem vier Arten zum Abschuss freigegeben: das Östliche und das Westliche Graue Riesenkänguru, das Rote Riesenkänguru und das Bergkänguru, auch Wallaroo genannt. Die meisten anderen Arten sind geschützt, manche vom Aussterben bedroht“, sagt Brückner. Bis heute jagen die Menschen die Tiere in freier Wildbahn – eine Haltung von Kängurus in Farmen gibt es nicht.

Und gleich hier beginnt eine Reihe von dramatischen Problemen. So wird die Jagd oft in der Dämmerung oder nachts, also bei schlechten Sichtverhältnissen, durchgeführt. Hinzu kommt, dass die wild lebenden Kängurus zum Beispiel mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Stundenkilometern flüchten. Oft gelingt es daher nicht, die Tiere gezielt zu treffen. Zwar müssen kommerzielle Jäger den sogenannten „National Code of Practice for the Humane Shooting of Kangaroos and Wallabies” beachten, wonach die Tiere möglichst wenig Schmerzen erleiden sollen, sowie Trainings und Tests absolvieren – vor Fehlschüssen schützt das aber nicht. Skandalös ist zudem: Auch ungeübte Schützen, sogenannte nicht-kommerzielle Jäger, dürfen die Tiere abschießen. „Wir gehen davon aus, dass bis zu 40 Prozent der Kängurus nicht fachmännisch getötet werden. Angeschossene Tiere können mitunter flüchten und dann dauert es unter Umständen sehr lange, bis sie an ihren Verletzungen qualvoll sterben“, so Brückner. Die zweite Katastrophe: Oft sind es Muttertiere, die den Gewehrkugeln zum Opfer fallen. Der australische Zoologe Dr. Peter Mawson hat vor einigen Jahren festgestellt, dass alleine über 50 Prozent der in West-Australien getöteten Kängurus weiblich sind. Das bedeutet: Jedes Mal, wenn ein Muttertier getötet wird, stirbt auch das von ihm abhängige Jungtier. Oft ist neben dem Kleinen im Beutel sogar noch ein älteres, noch saugendes Jungtier bei Fuß dabei. So sterben zusätzlich zu den erwachsenen Kängurus jährlich etwa 440.000 Jungtiere entweder noch im Beutel ihrer Mütter oder sie werden auf grausame Art und Weise zu Tode getreten oder an einem Baumstamm oder Auto erschlagen. Viele der älteren Jungtiere – zum Teil verletzt – fliehen, verhungern elendig und sterben hilflos.

Känguru im Gebüsch

Manche Wissenschaftler befürchten, dass Kängurus aussterben könnten, wenn die radikale Verfolgung der Tiere nicht beendet wird und die Abschussquoten nicht sinken.

Fragliche Abschussquoten

Über dieses massive Leid hinaus kritisieren Tierschützer auch die Abschussquoten. Bei Kontrollflügen ermitteln die Behörden jedes Jahr aus der Luft den Bestand der Tiere in bestimmten Gebieten, rechnen diesen dann unter Berücksichtigung eines Korrekturfaktors auf die Gesamtfläche der australischen Territorien hoch und geben anschließend 15 bis 20 Prozent der ermittelten Zahlen zum Abschuss frei. „Diese ungenauen Berechnungen basieren rein auf Schätzungen und lassen das ganze System sehr fraglich erscheinen, selbst wenn die Abschussquoten nicht ausgeschöpft werden. Es gibt zudem bereits Wissenschaftler, die ein Aussterben der Kängurus befürchten, wenn diese radikale Verfolgung nicht beendet wird“, kritisiert Brückner. Angesichts der immensen Tierschutzproblematik, der fehleranfälligen Berechnung der Abschussquoten und der Tatsache, dass der Konflikt zwischen Kängurus und Nutztieren bestenfalls marginal existiert, fordert der Deutsche Tierschutzbund ein klares Verbot der Jagd.

Gesundheitsgefahr für den Menschen

Zusätzlich zu der massiven Kritik aus Tierschutzsicht kommt es rund um die Känguru-Jagd zu Hygieneproblemen. So werden die toten Tierkörper in der Regel zunächst auf Fahrzeugen mit offenen Ladeflächen zwischengelagert, dann oft mehrere Stunden zu einer Sammelstelle transportiert und erst dann geht es weiter in die Zerlegebetriebe. Diese lange ungekühlte Lagerung ist ein Grund, warum das Fleisch oft mit Salmonellen oder E. coli-Bakterien belastet ist. „Darmbakterien, die sich entweder auf dem Tierkörper verteilen, weil das Ausweiden laienhaft und unhygienisch geschieht oder die ungeübten Schützen schon beim Tötungsversuch den Darm der Tiere verletzt haben, sind ein zusätzliches Problem“, berichtet Brückner. Die hohen Temperaturen tun ihr Übriges. Untersuchungen haben gezeigt, dass Kühlgeräte in Queensland und New South Wales, in denen Tierkörper aufbewahrt werden, stark bakteriell verunreinigt waren. Zwar sind vor Ort Tests auf E. coli vorgeschrieben. Das garantiert jedoch nicht, dass kein verunreinigtes Fleisch in den Handel kommt. Letzteres wird auch dadurch bestätigt, dass Länder wie Russland aufgrund mangelnder Hygiene zeitweilig ein Importstopp für Kängurufleisch verhängt hatten.

Von 2010 bis 2017 wurden in Australien 12.579.232 Kängurus getötet –
Hunderttausende Jungtiere sterben jedes Jahr zusätzlich.

Der Deutsche Tierschutzbund kämpft bereits seit den 1980er-Jahren entschieden gegen das grausame Abschlachten von Kängurus. In Schreiben an die australische Botschaft und die australischen Minister für Umwelt und Gesundheit forderte der Verband immer wieder nicht nur das Ende der Tierqual, sondern auch der Legalisierung von Kängurufleisch für den menschlichen Verzehr. Solange die Jagd noch nicht vollständig verboten ist, bestehen die Tierschützer auf der Kontrolle der existierenden Bestimmungen. Auch auf europäischer Ebene macht sich der Deutsche Tierschutzbund für ein Importverbot von Känguruprodukten stark – bisher leider ohne Erfolg. Interessierten Tierschützern empfiehlt der Verband den Dokumentarfilm „Kangaroo – A Love-Hate Story“, der derzeit nicht nur in Australien für Furore sorgt und das massenhafte Töten von Kängurus eindrücklich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt macht (mehr dazu hier). Bis sich für die Tiere in Australien wirklich etwas ändert, liegt es an jedem Einzelnen, seinen eigenen Beitrag zu leisten. Es ist Zeit, dass die Menschen endlich beginnen, die Hintergründe der Fleischproduktion zu hinterfragen – und das nicht nur bei vermeintlich ethisch korrektem „Wildfleisch“ wie Känguru.

 


Warnschild vor KängurusFazit:

  • Kaufen Sie kein Kängurufleisch
  • Kaufen Sie keine Produkte aus Känguruleder
  • Kaufen Sie keine Haustiernahrung mit Kängurufleisch

Weiterführende Informationen

  • Der Film „Kangaroo A Love-Hate Story“ ist ab dem 26. Mai 2020 online auf vielen gängigen Portalen wie iTunes, Google Play und Amazon Prime verfügbar. Der Deutsche Tierschutzbund hatte sich im November 2018 an einer für die Zuschauer kostenlosen Vorführung des Dokumentarfilms beteiligt. Zahlreiche Menschen nutzten die Gelegenheit, sich selbst ein Bild des schockierenden massenhaften Tötens von Kängurus in Australien zu machen. Anschließend beantwortete Dr. Dror Ben-Ami, Zoologe der israelischen Tel Aviv Universität, der auch in der Dokumentation zu sehen ist, Fragen.