Dr. Markus Keller: Bei einer abwechslungsreichen veganen oder vegetarischen Ernährung sollten frische, gering verarbeitete Lebensmittel bevorzugt werden. Grundlage sind Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sowie pflanzliche Öle. Bei Vegetariern kommen außerdem Milch(produkte) und Eier in Maßen dazu. Orientierung bietet die Gießener vegane Lebensmittelpyramide.
Dr. Markus Keller: Entgegen eines verbreiteten Vorurteils kann auch über pflanzliche Lebensmittel der Proteinbedarf gut gedeckt werden. Studien zeigen, dass Veganer durchschnittlich am nächsten an den Empfehlungen zur Proteinzufuhr liegen. Vegetarier, besonders aber Fleischesser nehmen deutlich mehr Protein zu sich als von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen. Gute pflanzliche Proteinquellen sind vor allem Getreide und Hülsenfrüchte sowie Nüsse und Samen. Die teilweise geringere biologische Wertigkeit von pflanzlichem im Vergleich zu tierischem Protein kann durch die Kombination verschiedener pflanzlicher Proteinquellen über den Tag verteilt problemlos ausgeglichen werden. Soja und Lupine haben eine biologische Wertigkeit, die sogar die vieler tierischer Proteinquellen übertrifft.
Dr. Markus Keller: Eine abwechslungsreiche, vollwertige vegane oder vegetarische Ernährung kann prinzipiell den Bedarf fast aller Nährstoffe decken. Die wichtigste Ausnahme ist Vitamin B12 : Da pflanzliche Lebensmittel praktisch kein Vitamin B12 enthalten, muss dieses bei veganer Ernährung supplementiert werden. Ist die vegane oder vegetarische Ernährung schlecht zusammengestellt, kann es bei den kritischen Nährstoffen zu Engpässen kommen – ebenso wie bei einer ungünstig zusammengestellten Mischkost. Vegetarier sollten vor allem auf die Nährstoffe Eisen, Zink (vor allem im Kindes- und Jugendalter) und Omega-3-Fettsäuren achten.
Eisenmangel betrifft unabhängig der Ernährungsweise vor allem Frauen und Kinder. Die geringere Eisenverfügbarkeit aus pflanzlichen Lebensmitteln wie Vollkorngetreide, Nüsse und Hülsenfrüchte kann durch Kombination mit Vitamin C-reichen Lebensmitteln verbessert werden. Gute Zinkquellen sind ebenfalls Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Samen und Nüsse. Die essentiellen Fettsäuren α-Linolensäure (Omega-3) und Linolsäure (Omega-6) finden sich in gutem Verhältnis in Lein-, Hanf-, Walnuss- und Rapsöl. Weniger empfehlenswert sind hingegen Distel-, Sonnenblumen-, Weizenkeim- und Maiskeimöl, da sie sehr viel Omega-6- und sehr wenig Omega-3-Fettsäuren enthalten. Die langkettigen Omega-3-Fettsäuren Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA), die sich vor allem in Fischöl finden, können Vegetarier und Veganer über mit DHA angereichertes Leinöl oder Olivenöl zu sich nehmen. Dabei stammt die DHA aus maritimen Mikroalgen
Bei veganer Ernährung muss zusätzlich vor allem auf eine ausreichende und sichere Zufuhr von Vitamin B12 geachtet werden. Hier bieten sich mit Vitamin B12 angereicherte Lebensmittel (zum Beispiel Milchalternativen, Cornflakes, Multivitaminsäfte), Nahrungsergänzungsmittel oder eine Vitamin-B12-angereicherte Zahncreme an. Studien zeigen, dass auch schon viele Vegetarier schlecht mit Vitamin B12 versorgt sind.
Bei veganer Ernährung können außerdem Kalzium und Vitamin B2 kritisch werden. Eine ausreichende Kalziumversorgung ohne Milchprodukte erreicht man durch dunkelgrünes Gemüse wie Grünkohl, Pak Choi, Brokkoli, Fenchel, Nüsse und Samen sowie kalziumreiches Mineralwasser (mindestens 400 mg Ca pro Liter) oder mit Kalzium angereicherten pflanzlichen Milchalternativen.
Vitamin B2 findet sich vor allem in Vollkornprodukten, Nüssen, Champignons und Ölsamen. Wie die Gesamtbevölkerung sind auch Vegetarier und Veganer oft schlecht mit Jod und Vitamin D (in den sonnenarmen Monaten) versorgt. Für alle Gruppen ist daher die ausschließliche Verwendung von Jodsalz bzw. mit jodhaltigen Algen angereichertem Meersalz sowie der Verzehr von Algen mit mäßigem Jodgehalt (vor allem Nori) zu empfehlen. Von Oktober bis März sollte in unseren Breiten Vitamin D über Präparate supplementiert werden (20 µg pro Tag).
Dr. Markus Keller: Nein, eine vegane oder vegetarische Ernährung ist prinzipiell für alle Lebenslagen geeignet – wenn sie gut durchgeführt wird. In Lebensphasen mit erhöhtem Nährstoffbedarf, wie Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit, muss jedoch ganz besonders auf die ausreichende Zufuhr der kritischen Nährstoffe geachtet werden. Leider zeigt die Praxis, dass das nicht bei allen Veganern der Fall ist. In Einzelfällen kommt es dann vor, dass Säuglinge veganer Mütter, die selbst keine zuverlässige Vitamin-B12-Suppelmentierung durchgeführt haben, mit schweren Mangelerscheinungen in die Klinik kommen.
Jeder dieser Fälle ist völlig unnötig und wäre vermeidbar gewesen. Empfehlenswert ist es daher, sich gut zu informieren und noch besser, sich von einer entsprechend ausgebildeten Ernährungsfachkraftfach beraten zu lassen. Besonders wenn es um Schwangerschaft, Stillzeit und Kinder geht.
Dr. Markus Keller: Das steigende Interesse an veganer und vegetarischer Ernährung betrachte ich keinesfalls als bloßen Trend. Wir werden gerade Zeuge einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich weiter etablieren und ausdehnen wird. Immer mehr Menschen wollen nicht länger mitverantwortlich dafür sein, was wir den sogenannten Nutztieren antun, um billiges Fleisch, Milch und Eier zu produzieren. Erfreulicherweise steigt besonders das Angebot an veganen Verpflegungsmöglichkeiten im Lebensmittelhandel, der Gastronomie und der Gemeinschaftsverpflegung. Und aus globaler Sicht wird es langfristig keine Alternative zu einer vegetarischen oder sogar veganen Ernährung geben.
Zusammen mit dem Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung e. V. (UGB) bilden Dr. Markus und Ökotrophologin Edith Gätjen Ernährungsfachkräfte zum Thema vegane Vollwert-Ernährung, auch in Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit, fort. Eine Liste mit entsprechend qualifizierten Ernährungsberater/innen gibt es beim UGB (www.ugb.de).
Bildrechte: Artikelbild "Dr. Markus Keller": Fachhochschule des Mittelstands