Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Regionale und internationale Spezialitäten, so weit das Auge reicht, neue Produkte von mehr als 1.800 Ausstellern aus 72 Ländern und zahlreiche Fachveranstaltungen – die 85. Internationale Grüne Woche (IGW) lockte mehr als 400.000 Besucher aus der ganzen Welt nach Berlin. Doch die Menschen kamen nicht nur wegen all der kulinarischen Angebote, die weltgrößte Agrarmesse ist vor allem auch eine Plattform zum politischen Austausch. Doch Themen wie Nachhaltigkeit, Tier- und Umweltschutz kamen trotz aktueller Diskussionen rund um den Klimawandel zu kurz. So liegt der Fokus der Messe hauptsächlich noch auf konventionellen Herstellungsweisen und Produkten.
Eine Ausnahme bildete der Stand des Tierschutzlabels „Für Mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes. Hier informierten die Experten zehn Tage lang interessierte Besucher über das zweistufige Label. Auch zahlreiche hochrangige Politiker machten hier gezielt halt, um sich mit Präsident Thomas Schröder sowie den Experten des Tierschutzlabel-Teams unter anderem über akute Tierschutzprobleme wie Ferkelkastration, Kükentöten und Kastenstände in der Sauenhaltung (mehr dazu lesen Sie hier) auszutauschen. Um auch die jüngsten Generationen unter den Besuchern der IGW für diese Tierschutzthemen zu sensibilisieren, bot der Verband zudem ein Programm speziell für Schulklassen an.
Seit das Tierschutzlabel 2013 auf dem Markt eingeführt wurde, lebt der Verband vor, wie bessere Haltungsbedingungen in der Praxis umgesetzt werden können. Das machte Schröder auch beim mittlerweile schon traditionellen Labelempfang auf der IGW deutlich. Zahlreiche Minister und Abgeordnete von Bund und Ländern sowie dem Europaparlament, aber auch Landwirte, Vertreter von Partnerverbänden, aus dem Handel und der Wissenschaft waren auch in diesem Jahr der Einladung gefolgt – darunter Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Anette Kramme (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Alois Gerig (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, Maria Noichl (SPD), Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Jochen Borchert (CDU), Vorsitzender des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, und Friedrich Ostendorff, Sprecher für Agrarpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Zu Beginn der IGW hat das AgrarBündnis den kritischen Agrarbericht 2020 vorgestellt. Das Bündnis verschiedener Verbände, dem auch der Deutsche Tierschutzbund angehört, thematisiert darin unter anderem den Konflikt zwischen Stadt und Land und die Ansprüche des Tier- und Umweltschutzes in Kontrast zu den Existenzängsten von Landwirten.
Der Deutsche Tierschutzbund selbst war an diesem Abend auch mit seinen Vizepräsidentinnen Dr. Brigitte Rusche und Renate Seidel, mehreren Geschäftsführern, Mitarbeitern sowie Landesverbänden und angeschlossenen Tierschutzvereinen vertreten. „Es ist unser politischer Erfolg, dass die Debatte über eine Kennzeichnung nach Tierschutzkriterien und auch die Debatte in der Gesellschaft um die Zukunft der Tierhaltung katapultartig angetrieben wurde“, resümierte Schröder in seiner Rede. Mittlerweile haben sich 406 Betriebe dem Tierschutzlabel angeschlossen, die Schweine, Milchkühe, Legehennen und Masthühner nach den Kriterien der Einstiegsstufe und der Premiumstufe halten – diese liegen weit über den gesetzlichen Anforderungen. Millionen Tiere haben bereits davon profitiert. 2020 wolle der Deutsche Tierschutzbund die Marke von 500 zertifizierten Betrieben knacken, so Schröder. Mit mittlerweile 13 Schlachtbetrieben, die nach den Vorgaben des Tierschutzlabels zertifiziert sind, gewährleistet das Tierschutzlabel Verbesserungen in der gesamten Produktionskette – von der Haltung über den Transport bis hin zur Schlachtung. Die mit dem Tierschutzlabel ausgezeichneten Produkte sind inzwischen bundesweit bei 28 Handelsunternehmen vertreten – Tendenz steigend.
„Ich kann – durchaus mit Stolz – sagen, dass wir das einzige Label für Tierschutz sind, das eine solch große Markterfahrung mit der einzigartigen Verbindung von Wissenschaft und Ökonomie und eben auch wissenschaftlich basiertem Tierschutz vorweisen kann“, sagte Schröder. In seiner Rede kritisierte er zudem erneut das staatliche Tierschutzkennzeichen von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, das nur auf Freiwilligkeit basiere und nicht weitgreifend genug sei. Da die Bundesregierung mit ihrer Tierschutzpolitik gescheitert sei, habe sich der Deutsche Tierschutzbund dazu entschieden, mit seinem eigenen Label „jetzt und sofort erste Verbesserungen zu schaffen“.
Welche positiven Erfahrungen er in der Praxis mit dem Tierschutzlabel gemacht hat, berichtete im Anschluss Matthias Peters. Seit anderthalb Jahren gehört der Landwirt mit seinem Milchkuhbetrieb der Premiumstufe an. „Jeder Betrieb muss gucken, wie er über die Runden kommt. Wir haben uns dazu entschieden, bei der Milchkuh zu bleiben und die Verbraucher mit ins Boot zu holen. So versuchen wir, uns gemeinsam mit dem Deutschen Tierschutzbund vom Markt abzusetzen.“ Die Umstellung sei zwar mit viel Aufwand verbunden gewesen, doch das Ergebnis sei auch ein höherer Erlös. „Die Verbraucher merken, dass es sich hierbei um ein ehrliches Produkt handelt, und das erkennen sie auch an“, so Peters.
Dass unser aller Konsum zu mehr Tierschutz beitragen kann, lernten auch schon die jüngsten Verbraucher am Stand des Deutschen Tierschutzbundes auf der IGW. Verschiedene Schulklassen erfuhren hier, welche Bedürfnisse Rinder, Schweine und Hühner haben und wie sie in konventionellen Betrieben leiden. Auf spielerische Art und Weise wurden die Schüler mit allen Sinnen an dieses Thema herangeführt. Wie sehr ihnen die Tiere am Herzen liegen, zeigten die Kinder einer fünften Klasse der Martin-Niemöller-Schule aus Berlin mit einer Spende: Bei einem eigens organisierten Kuchenverkauf sammelten sie 220 Euro für den Deutschen Tierschutzbund.
Unabhängig vom eigenen Messe-Stand war der Verband auf der IGW auch bei anderen Fachveranstaltungen rund um den Tierschutz vertreten. So beteiligte sich Dr. Esther Müller, Geschäftsführerin Wissenschaft beim Deutschen Tierschutzbund, an einer Podiumsdiskussion, bei der die Teilnehmer sich mit den Auswirkungen von Qualzucht auseinandersetzten. Dabei machte sie zum Beispiel auf die Absurditäten der konventionellen Landwirtschaft aufmerksam: „Auf Hochleistung gezüchtete Kühe geben so viel Milch, dass sie ihren Bedarf an Nährstoffen nur durch das Futter auf der Weide nicht decken können – deshalb werden sie meistens nur noch im Stall gehalten und bekommen Kraftfutter.“ Auch viele Hunde- und Katzenrassen leiden unter Qualzucht und könnten beispielsweise schlechter atmen.
Solche Missstände müssen ein Ende haben. Politiker, die Lebensmittelindustrie, Landwirte und Verbraucher sind nun gefragt – sie alle können einen Beitrag leisten, um die Haltungsbedingungen der Tiere zu verbessern und für mehr Tierschutz zu sorgen.