Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Die besten Köche der Welt servieren sie, in Feinkostläden, auf Märkten und in Fischabteilungen sind sie das Aushängeschild – und verkörpern die „Früchte der Meere“ wie kein anderes Tier. Vor allem pünktlich zu Weihnachten und Silvester schallt es aus der Werbung: Es ist Hummersaison. Damit ihr Fleisch möglichst frisch ist, werden Hummer, anders als die meisten Fische, die direkt nach dem Fang getötet und anschließend zur weiteren Verarbeitung auf Eis gebettet werden, lebend zum Verkauf angeboten. Mit zusammengebundenen Scheren zur Bewegungslosigkeit verdammt, liegen die Tiere hinter den Glasscheiben der kleinen Becken – oftmals übereinandergestapelt und ohne Nahrung –, und das wochen- und monatelang. „Diese Hälterung im Restaurant oder Einzelhandel ist nichts anderes als Tierquälerei“, sagt Katrin Pichl, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. Doch der Leidensweg der Tiere beginnt bereits mehrere Monate zuvor und endet schließlich auf unvorstellbar grausame Weise.
Der Lebensraum des Europäischen Hummers reicht von Norwegen bis zum Mittelmeer. Bis zu diesem einen Tag, an dem der Mensch sie ihrer Freiheit beraubt und ihnen die Bestimmung als Lebensmittel auferlegt, leben Hummer als Einzelgänger und sesshaft. „Die Tiere bevorzugen kühlere Gewässer mit felsigem Untergrund, wo sie sich tagsüber verstecken und nachts auf die Jagd gehen“, sagt Pichl. In einer Tiefe von bis zu 50 Metern sind sie ständig auf der Suche nach dem perfekten Unterschlupf. Sie wohnen in Höhlen, Felsspalten sowie Steinhaufen, bewegen sich in einem Umkreis von bis zu fünf Kilometern um ihr Zuhause herum und verteidigen dies auch gegen Artgenossen. Der Oberste in der Hummerrangordnung hat das Anrecht auf das beste Versteck und damit auch die beste Ausgangsposition für die Paarung. „Denn wenn im Spätsommer die Paarungszeit beginnt und die Weibchen sich häuten, suchen sie die Männchen auf und fühlen sich vor allem von dem besten Unterschlupf und dem speziellen Duft des stärksten Männchens angezogen.“
Ist das Weibchen paarungsbereit, nimmt das Männchen es in sein Versteck auf und übergibt ihm das Samenpaket, das das Weibchen über den Winter hinweg in seiner Samenblase aufbewahrt. „Erst im nächsten Sommer erfolgt die Befruchtung, wenn das Weibchen bis zu 40.000 Eier ablegt und diese unter ihrem Schwanzstück anheftet.“ Je nach Wassertemperatur dauert es dann noch einmal zehn bis zwölf Monate, bis die Hummerlarven schlüpfen, 14 Tage lang frei im Wasser schwimmen und anschließend ihr Leben auf dem Boden beginnen. Hummer häuten sich, um wachsen zu können, ihr ganzes Leben lang regelmäßig, wobei die Abstände im Alter länger werden. Ein weiteres Wunder der Natur: Verlieren Hummer einzelne Gliedmaßen, zum Beispiel im Kampf mit Feinden, wachsen diese innerhalb mehrerer Häutungen wieder nach.
Hummer ernähren sich vor allem von Muscheln, Seeigeln, Krebsen, Borstenwürmern und Aas. „Anders als viele andere Tiere besitzen sie im Mund keine Zähne, sondern sechs Paar Mundwerkzeuge, mit denen sie die Nahrung lediglich in kleine Stücke reißen können“, so Pichl. „Um die Bestandteile dennoch gut verwerten zu können, hat die Natur einen ausgeklügelten Verdauungstrakt entwickelt: einen Magen mit Mahl- und Filterfunktion.“ Dort wird die Nahrung chemisch aufgeschlossen und zwischen drei großen Magenzähnen zerrieben. Auch darüber hinaus sind die Tiere perfekt ausgestattet. So haben sie auf ihrer Körperoberfläche eine Vielzahl von Sinnesborsten, die es ihnen erlauben, sich in völliger Dunkelheit zu orientieren. Auch ihre Rückenfarbe ist dem Untergrund, auf dem sie leben, angepasst und reicht von Blau über Grünblau bis hin zu Schwarzviolett, während ihre Seiten und Unterseiten meist braun bis orangegelb mit dunklen Sprenkeln gefärbt sind.
„Ihre charakteristischen Scheren helfen ihnen nicht nur bei der Nahrungsbeschaffung, sondern sind auch wirksame Verteidigungswaffen, die sie unter Wasser in alle Richtungen drehen können.“ Die rechte ist meist die kräftigere, da sie vorwiegend dazu dient, Nahrung festzuhalten und zu knacken, während die kleinere die Beute zerkleinert und zum Mund führt. Allerdings gibt es unter Hummern Rechts- und Linkshänder. Bei alten Tieren können die Scheren so groß werden, dass sie mehr als die Hälfte des Körpergewichts ausmachen. „Generell können Hummer eine Länge von bis zu 75 Zentimetern und ein Gewicht von sechs oder mehr Kilogramm erreichen und bis zu 100 Jahre alt werden.“ Wäre da nicht der Mensch mit seinem oft kompromisslosen Appetit, der sich nur zu gern an ihrem Fleisch labt.
Denn all ihre besonderen Fähigkeiten und ihre Tarnung bewahren die Tiere nicht vor den Körben und Reusen, die die Hummerfischer mit Ködern bespickt in den Küstengewässern versenken. „Die Hauptfangsaison für den Europäischen Hummer ist der Sommer“, sagt Pichl. Einmal im Korb, sind die Tiere den Fischern hilflos ausgeliefert, die ihnen nun die Scheren zusammenbinden und sie zu Dutzenden in Kisten unterbringen, bis sie als Nächstes in die Tanks und Meerwasser-Bassins der Großhändler kommen, die ein Fassungsvermögen von bis zu 4.000 Hummern haben. „Allein die Platznot und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten sind für die Einzelgänger die reine Qual“, sagt Pichl. Doch genau so sieht ihr Leben von nun an für die nächsten Wochen und Monate aus. Denn um den Konsumenten das ganze Jahr über ein gleichbleibend starkes Angebot bereitstellen zu können, beginnt jetzt die sogenannte Hälterung. Das bedeutet, dass die Tiere von nun an zusammengepfercht mit unzähligen Artgenossen, mit zusammengebundenen Scheren und ohne Nahrung trostlos in verschiedensten Behältern vor sich hin vegetieren und von ihren Reserven zehren. Die einzige „Abwechslung“: Transporte von einem Großhändler zum nächsten, zum Markt, zu den Einzelhändlern und den Restaurants.
„Gebrochene Beine, abgeknickte Scheren und Antennen sind dabei durchaus üblich und äußerst schmerzhaft, da sie mit Sinnesrezeptoren ausgestattet sind und auf Berührung sensibel reagieren.“ Werden die Tiere zudem zu lange außerhalb eines Salzwasserbeckens gelagert oder enthält dieses nicht genügend Sauerstoff, leiden sie unter akuter Atemnot – zu erkennen am Schaum vor ihren Mundwerkzeugen. Da die Nachfrage in Europa so groß ist, dass der Bestand des Europäischen Hummers nicht ausreicht, werden zudem tonnenweise Amerikanische Hummer importiert – ebenfalls lebend, versteht sich. Also werden sie auf verschiedenste Art und Weise nach Europa geschickt und zusätzlich in Kühlhäusern – manchmal wochenlang ohne Futter – gelagert. „Aus Tierschutzsicht ist der gesamte Prozess der Hälterung ganz klar abzulehnen. Die Sicherung der Fleischqualität ist einfach kein vernünftiger Grund, warum die Tiere nicht direkt nach dem Fang betäubt und getötet werden. Hummer verfügen, genau wie andere Krustentiere auch, über ein Schmerzsystem und sind empfindungsfähig“, so Pichl.
Wenn die Hummer die qualvollen Wochen und Monate überstanden haben, steht ihnen zu guter Letzt ein bitteres Ende bevor. Denn nach wie vor ist es üblich, die Tiere lebendig in kochendes Wasser zu werfen. Lebendig. Das bedeutet, dass die Hummer in den Töpfen jetzt bis zu mehrere Minuten lang um ihr Leben kämpfen. Das sind mehrere Minuten voller Todesangst und Schmerzen, in denen sie versuchen, dem kochenden Wasser zu entkommen, und um ihr Leben strampeln – bis sie es nicht mehr können und ihre Körper schließlich der großen Hitze erliegen und sie sterben. „Diese tierquälerische Praxis muss endlich verboten werden“, fordert Pichl. Es sei einfach unbegreiflich, dass Deutschland es zulässt, dass fühlende Lebewesen auf diese abscheuliche Art und Weise getötet werden. „Dem aktuellen Forschungsstand zufolge gibt es keine Betäubungs- und Tötungsmethode von Krustentieren, die so schonend und zuverlässig ist, dass von einer sicheren, tiergerechten Tötung ausgegangen werden kann. Aus diesem Grund lehnt der Deutsche Tierschutzbund die Verwendung von Hummern sowie anderen kommerziell genutzten Krustentierarten als Nahrungsmittel ab.“