Hochwasserkatastrophe

Bilder, die man nicht vergisst

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Hochwasserkatastrophe

Bilder, die man nicht vergisst

In den Tagen nach den zerstörenden Fluten im Ahrtal unterstützte der Deutsche Tierschutzbund die Tierretter vor Ort, damit sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren konnten. Patricia Sieling, Leiterin der Abteilung Fundraising beim Deutschen Tierschutzbund, war mit dabei. Im Gespräch mit DU UND DAS TIER schildert sie ihre dramatischen Eindrücke aus dem Krisengebiet.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Patricia Sieling, Leiterin der Abteilung Fundraising beim Deutschen Tierschutzbund

Wie haben Sie von der Katastrophe erfahren und wann haben Sie realisiert, dass diese auch viele, viele Tiere betrifft und einen Einsatz des Deutschen Tierschutzbundes erfordert?

Zunächst habe ich gar nichts von den Schreckensmeldungen mitbekommen, weil wir an unserem Wohnort in Köln selbst den Keller voller Wasser hatten. Das war natürlich kein Vergleich zum Ahrtal, aber das hat uns akut so beschäftigt, dass wir erst verzögert erfahren haben, was in anderen Regionen los ist. Zunächst habe ich Videos aus meiner Heimatstadt Hagen gesehen und dann die Nachrichten. Verbandsintern stand ich dann schnell im Austausch mit Kollegen der Vereinsbetreuung, des Fördererservices, von FINDEFIX und der Öffentlichkeitsarbeit. Es hat mich ohnehin in den Fingern gejuckt, irgendwie helfen zu wollen. Als wir erfahren haben, dass die Tierretter Probleme haben, in die Katastrophengebiete zu gelangen, habe ich meinen Kollegen Denis Bartel begleitet, der die Abteilung Vereinsbetreuung leitet und sich einen Eindruck der Zustände an der Ahr verschaffen wollte, wie es den Tierrettern vor Ort geht. Die Kollegen der Vereinsbetreuung haben bereits umgehend nach der Katastrophe Kontakt zu den Tierschutzvereinen der Region aufgenommen, um herauszufinden, wo Hilfe am nötigsten gebraucht wird, wie es den Tieren und Menschen geht und welche Schäden zu verzeichnen sind. Angesichts der Situation war dies natürlich alles andere als einfach. Im Team haben wir dann überlegt, wie wir unterstützen können. Wir sind hier zu dem Schluss gekommen, dass, neben der unmittelbaren Hilfe vor Ort, finanzielle Soforthilfe am wirksamsten ist. Das hilft den Vereinen, deren Tierheime von der Flut betroffen waren, aber auch solchen, die betroffene Tierheime und private Tierhalter tatkräftig unterstützt haben.

An der Ahr errichtete der Deutsche Tierschutzbund schnell eine Basisstation für die Tierretter, mit Lager-, Schlaf- und Sanitärcontainern sowie einem Zelt mit Feldbetten und weiteren Hilfsmitteln.

Der Deutsche Tierschutzbund hat unter anderem eine Basisstation für die Tierretter mit aufgebaut. Wie kam es dazu?

Wir haben in Altenahr mit Tierrettern gesprochen, die nach ihren ersten Einsätzen körperlich natürlich enorm beansprucht waren und teilweise auf Wiesen geschlafen haben, um wieder zu Kräften zu kommen, egal wie feucht und kalt es dort war. Nachdem die Tierretter uns um Stromgeneratoren und einen Lichtmast baten, haben wir daher beraten, wie wir eine adäquate Unterkunft schaffen können. Neben den Stromgeneratoren und dem Lichtmast haben wir ein Containerdorf aus Lager-, Wohn- und Sanitärcontainern sowie einem Großzelt und Feldbetten aufgebaut. Damit konnten wir sicherstellen, dass die Helfer schlafen, duschen, zur Toilette gehen und vor Ort Tiere versorgen konnten. Mars Petcare hat uns einen LKW als Lagerfläche und zur Kühlung von Medikamenten zur Verfügung gestellt, der Landestierschutzverband Hessen sein Kastrationsmobil als Behandlungswagen ausgeliehen, um neben den vielen Sach-, Geld- und Futterspenden, die uns unter anderem vom Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern und Deutscher Tierschutzbund Landesverband Schleswig-Holstein erreicht haben, nur einzelne Beispiele zu nennen. Dazu haben sich viele Tierschutzvereine direkt untereinander geholfen.

Wie waren Ihre ersten persönlichen Eindrücke vor Ort?

Als wir angekommen sind, haben wir natürlich überall Polizeisperren gesehen, anhand derer der Ausnahmezustand sichtbar wurde, aber dort, wo wir die Basisstation aufgebaut haben – auf einer grünen Wiese oberhalb des Ahrtals – haben wir nur erahnen können, wie es wenige Kilometer weiter, unten im Tal aussieht. Auch als wir unser Lager, unsere Kontakte und die eigens eingerichtete Notfallhotline an der technischen Zentrale des Haupteinsatzes vorgestellt haben, hatten wir noch nichts Schlimmes gesehen. Erst als wir eine andere Tierrettung in Ahrbrück mit Equipment versorgt haben, hat sich das gezeigt, worauf auch die Bilder im Fernsehen nicht vorbereiten können. Ich bin mit meinem Mann dorthin gefahren. Alles war etwas schlammig, aber als wir durch den letzten Tunnel in den Ort gekommen sind, haben mir die Worte gefehlt. Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen und danach sei ein Tsunami durch den Ort gerollt. Wir kamen vorbei an Bergen von Treibgut. Teilweise hing Bettzeug in zehn Metern Höhe im Baum. Und dann standen dort die ersten Häuser, denen komplette Wände gefehlt haben. Dass dort auch Grundstücke waren, auf denen vormals Häuser gestanden haben, die komplett weggespült worden waren, hat sich für uns, die wir den Ort nicht so gut kennen, gar nicht direkt erschlossen. Das Bild der Zerstörung war kaum in Worte zu fassen. An der Straße stapelten sich die Wohnanhänger und dazwischen entdeckten wir immer wieder Hab und Gut von Menschen. Dass vor einem Wohnwagen ein kleiner rosa Kinderflipflop lag, war kaum zu ertragen. Da geht das Kopfkino an und es hat mich emotional enorm mitgenommen. Man kann nur hoffen, dass dem Kind, dem er gehört, nichts passiert ist. Ich ziehe den Hut vor allen, die dort geholfen haben, wochenlang mit den Bildern und menschlichen Schicksalen konfrontiert waren und ihre eigenen Bedürfnisse selbst hintenangestellt haben.

Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen
und danach sei ein Tsunami durch den Ort gerollt.

Auch viele Tiere waren von der Katastrophe unmittelbar betroffen. Wie haben Sie dies inmitten der Trümmer erlebt?

Wenn ich mir vorstelle, wie es für Menschen gewesen sein muss, selbst Angst um das eigene Leben zu haben, auf dem Dach zu sitzen, in der Nachbarschaft Teile der Häuser verschwinden zu sehen und die eigenen Tiere zurücklassen zu müssen, ist dies wirklich sehr emotional. Für viele sind Tiere Familienangehörige – mir geht es mit meinen Katzen so. Schon die Vorstellung, sie in einer solchen Situation nicht mitnehmen zu können, nimmt mich emotional mit. Natürlich steht die Menschenrettung an erster Stelle, da hatten die Einsatzkräfte keine andere Wahl. Aber wir haben von Tierhaltern gehört, die sich geweigert haben, ihre Häuser zu verlassen, weil sie ihre Hunde nicht mit in die Rettungsboote nehmen konnten. Was die Menschen und Tiere an der Ahr durchmachen mussten, diese Angst war in den Tagen nach der Flut immer noch zu spüren. Manchmal herrschte dort – abgesehen von den Baggern und Hubschraubern in der Ferne – in vereinzelten Momenten auch eine gespenstische Stille.

Hatten Sie angesichts der Dimensionen der Zerstörung und des Leids das Gefühl, vor Ort tatsächlich etwas bewirken zu können?

Ich glaube, wir alle, die wir dort waren oder im Hintergrund Hilfe organisiert haben, waren froh, dass wir etwas tun konnten. Für uns als Deutscher Tierschutzbund ist es wichtig, praktischen Tierschutz vor Ort zu leisten und die Tierretter bei ihrer so wichtigen Arbeit zu unterstützen. Sie waren nonstop unterwegs, haben kaum geschlafen, unterwegs traumatisierende Eindrücke auf sich genommen und inmitten von Benzin, Öl und Fäkalien gearbeitet. Umso wichtiger war es, ihnen den Rücken freizuhalten. Meine Kollegin Daniela Rohs, Abteilungsleiterin von FINDEFIX, dem Haustierregister des Deutschen Tierschutzbundes, war beispielsweise immer wieder vor Ort, um bei der Installation des Sanitärcontainers zu helfen oder das Team mit Frischwasser zu versorgen. Wir haben uns jeden Morgen kurzgeschlossen, um uns mit Kollegen aus der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Tierschutzbundes, aber auch aus der Akademie für Tierschutz des Verbandes in Neubiberg abzustimmen, was die Tierretter und was betroffene oder aufnehmende Vereine benötigen. Das reichte von bestimmten Halftern für Pferde über Spezialfutter für Hunde und Katzen sowie Futter für Geflügel bis zu neuer Arbeitskleidung, die die Helfer nach Tagen im Schlamm benötigten. FINDEFIX hat im Einsatzgebiet mehr als 40 Chiplesegeräte zur Identifizierung von Fundtieren verteilt. Auch wenn einige Haustiere in den Fluten ums Leben gekommen sind, konnten wir so den Haltern zumindest ein Leben in Ungewissheit, was mit dem geliebten Familienmitglied geschehen ist, ersparen. Parallel haben wir natürlich auch Fundraising betrieben und mit unseren langjährigen Partnern wie Fressnapf und Mars Petcare gesprochen, um Spenden für die betroffenen Tiere, Halter und Vereine zu sammeln, per Social Media über die aktuelle Situation informiert und auf unseren Websites aufgeklärt. Aber auch Zuschüsse für tiermedizinische Kosten und Anschaffungen haben die Kollegen vom Büro aus bewilligt. Der Zuspruch und die Spendenbereitschaft waren toll und die Solidarität unter Tierfreunden bemerkenswert. Insgesamt konnten wir allein in den ersten Wochen nach der Flutkatastrophe über 300.000 Euro für 46 Tierschutz- und Tierrettungsorganisationen bereitstellen, darunter 27 Mitgliedsvereine und Landesverbände und 19 weitere.

Der Zuspruch und die Spendenbereitschaft waren toll
und die Solidarität unter Tierfreunden bemerkenswert.

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tierschutzbund.de/hochwasserhilfe-fuer-tiere

Mit Unterstützung der Spender und Kollegen konnten sie wiederum vor Ort unterstützen. Was haben Sie dort von den Rettungen der Tiere mitbekommen?

Das war schon außergewöhnlich und für jedes einzelne gerettete Tier, dessen Überleben die Tierretter sicherten, hat sich der Einsatz gelohnt. Sie konnten unterschiedlichste Tiere versorgen, neben Hunden und Katzen erinnere ich mich auch an eine Zwergfledermaus, Schildkröten oder Koikarpfen. Noch Wochen später haben Tierschützer in den Gebieten Lebendfallen aufgestellt, um herrenlose und verängstigte Katzen zu retten. Neben dem Leid der betroffenen Menschen haben sich den Tierrettern natürlich auch die Bilder der vielen toten Tiere eingebrannt, die sie nach Tagen im Wasser geborgen haben, um bei der Bekämpfung von drohenden Seuchen im Krisengebiet zu unterstützen. Was die Helfer dort geleistet haben, werden sie sicher erst nach und nach realisieren, wenn sie zur Ruhe kommen. Auch ich würde jederzeit wieder in einer solchen Situation helfen, aber ich dachte, ich hätte breite Schultern und mich haut nichts um. Das war dennoch schwer zu ertragen, wenn man empathisch ist. Darum bereitet es mir auch Sorge, dass die Not der Menschen und Tiere in den Flutgebieten in der öffentlichen Wahrnehmung aktuell wieder in den Hintergrund rückt. Wir gehen auf den Winter zu, manche Häuser und Höfe – sofern sie noch stehen – sind teilzerstört, werden nicht trocken, sind kontaminiert und sind unbewohnbar. Darum sind Tierschützer aus den Regionen auch zukünftig zur Stelle, wenn betroffene Tierhalter Hilfe benötigen, etwa Tierarztkosten stemmen müssen oder spezielle Tiernahrung benötigen. Der Deutsche Tierschutzbund wird diese Hilfsaktionen auch weiterhin unterstützen: Gemeinnützige Tierschutzvereine oder Tierheime, die finanzielle Hilfe oder Sachspenden im Rahmen der Flutkatastrophe benötigen, können sich dafür jederzeit an uns wenden.

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Bildrechte: Artikelheader: Fortuna helping hearts Foundation (Hochwasser); Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V. (Porträt); Deutscher Tierschutzbund e.V. – Bernd Schaller (Aufbau Basisstation)