Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Noch bevor die 1.400 Aussteller*innen aus 60 Ländern und die 275.000 Besucher*innen zur Grünen Woche nach Berlin kamen, hatten die Landwirtinnen und Landwirte die Hauptstadt fest im Griff – jedoch anders als auf der internationalen Leitmesse für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau üblich. Denn in deren Vorfeld hatten Tausende von ihnen mit Traktoren und anderen Fahrzeugen den Verkehr in der Stadt lahmgelegt und auch deutschlandweit gegen steuer- und agrarpolitische Entscheidungen der Bundesregierung demonstriert. In dieser angespannten Grundstimmung sorgte sich Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, wie Bauernverbände, Tier- und Umweltschützer*innen, Wissenschaft, Handel und Politik wieder zurück an einen Tisch kommen können, um gemeinsam über die Zukunft der Landwirtschaft zu reden. Er machte beim Stehempfang am Messestand des Tierschutzlabels „Für Mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes einen Anfang. Denn diese Veranstaltung bringt traditionell Vertreter*innen aus all diesen Gruppen zusammen und dient, wie die Messe selbst, auch als Plattform für den politischen Austausch. „Wenn die Proteste dieser Tage etwas Gutes haben, dann nur, dass endlich über Zukunftsstrategien geredet wird, dass Agrarpolitik Nummer eins der Tagespolitik ist. Liebe Ampel, liebe Opposition, macht was daraus – gemeinsam!“
Schröder nutzte den Abend und die Messe, um im Namen des Deutschen Tierschutzbundes einen Neustart in der Tierschutz- und Transformationspolitik zu fordern. „Die Bundesregierung hat die Tierschutz-Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag bisher weitgehend ignoriert.“ Darum warnte er vor den 140 Gästen des Empfangs ausdrücklich davor, die notwendige Transformation der landwirtschaftlichen Tierhaltung in einer Debatte um den Haushalt zu versenken: „Das Grundproblem ist, dass nun alle auch aus Umwelt- und Tierschutzsicht notwendigen Vorhaben mit der Plakette ‚Haushaltskonsolidierung‘ versehen sind und eben nicht mit den notwendigen Plaketten ‚Sicherung planetarischer Grenzen‘ sowie ‚Transformation der landwirtschaftlichen Tierhaltung‘.“ Dabei unterbreitete der Präsident direkt passende Vorschläge, um den Haushalt zu stabilisieren, denn diese wurden von der Zukunftskommission Landwirtschaft und der sogenannten Borchert-Kommission bereits ins Spiel gebracht. Statt Fleisch weiter steuerlich zu begünstigen, empfahl er eindringlich, den Mehrwertsteuersatz auf 19 Prozent anzuheben. Die zu erwartenden Mehreinnahmen bezifferte er auf fünf Milliarden Euro. So stünden auch nach einer geforderten Senkung der Steuern auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zusätzliche Mittel zur Verfügung, um die Landwirtinnen und Landwirte beim Umbau der modernen Landwirtschaft zu unterstützen. Dieser wäre zudem durch eine zweckgebundene Abgabe auf Fleisch und Milch finanzierbar. Dabei würde pro Kilogramm Fleisch oder Liter Milch ein festgelegter Centbetrag für die Investition in bessere Stallsysteme genutzt.
Während der Grünen Woche hat das AgrarBündnis den kritischen Agrarbericht 2024 vorgestellt. Das Bündnis verschiedener Verbände, dem auch der Deutsche Tierschutzbund angehört, fordert darin von der Politik mehr Mut und Unterstützung bei der Transformation der Landwirtschaft. Der Bericht enthält fundierte Kritik am derzeitigen Agrarsystem, benennt aber auch Konzepte, Ideen und gelungene Praxisbeispiele, wie es anders gehen könnte. Weitere Infos unter: kritischer-agrarbericht.de
„Auch ein staatliches Haltungskennzeichen kann als Instrument ein zentraler Bestandteil einer durchdachten und ganzheitlichen Strategie sein“, merkte Schröder an, „aber nur, wenn es gut gemacht ist“. Dies sprach er der bisherigen staatlichen Tierhaltungskennzeichnung ab, die Bedingungen für kein einziges Tier verbessere, sondern bestehende Systeme der Tierhaltung lediglich über Jahre hinweg eingruppiere. „Andererseits kann ein Label Orientierung für die Verbraucher*innen bieten und eine Chance für die landwirtschaftlichen Betriebe sein, die bereit sind, mehr zu tun, als sie gesetzlich müssten, dadurch auch einen Mehrwert im Handel zu erzielen“, erklärte er. Dem Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes gelingt genau das. Davon konnten sich auch die Besucher*innen der Grünen Woche überzeugen, denen der Verband zehn Tage lang auf der Messe präsentierte, wie sich die Richtlinien und strengen Anforderungen von den vielen anderen Programmen und Labeln auf dem Markt abheben. „Gerade im Vergleich mit den anderen Kennzeichen ist unser Label ein echter Leuchtturm“, sagte Dr. Elke Deininger, Leiterin des Geschäftsbereiches Tierschutzlabel beim Deutschen Tierschutzbund. Elf Jahre nach dem Start arbeiten heute knapp 560 tierhaltende Betriebe nach dessen Vorgaben. Damit konnte das Label stets weiter zulegen und seine Marktposition trotz komplizierter äußerer Rahmenbedingungen und der unzureichenden Agrarpolitik der Bundesregierung ausbauen. „Es fehlt uns zwar noch etwas in der Breite, aber wir sind längst raus aus der Nische“, erläuterte Schröder, und Deininger veranschaulichte das eindrucksvoll in Zahlen: „Mit aktuell circa vier Millionen Stallplätzen können wir die Lebensbedingungen vieler Millionen Tiere spürbar verbessern.“ Bundesweit bieten 28 Handelsunternehmen mit dem Tierschutzlabel ausgezeichnete Produkte an.
„Das Tierschutzlabel bleibt das einzige echte Tierschutzkennzeichen“, berichtete Schröder. Es allein garantiere bislang ein glaubwürdiges und robustes Zertifizierungs- und Kontrollsystem mit jährlich mindestens zwei unangekündigten Kontrollen. Zudem sei es das einzige System, das tierbezogene Kriterien erhebt und auswertet. Der Präsident wies auf die enge Zusammenarbeit mit Landwirtinnen, Landwirten und dem Handel hin. So konnte das Team des Tierschutzlabels mit zwei Betrieben erste gute Ansätze zur Haltung von Zweinutzungshühnern umsetzen. Im Jahr 2024 soll es mit einer anderen Zweinutzungsrasse weitergehen. Zudem haben 2023 durch die Beratung der Expert*innen mehr als 100 Milchkuhbetriebe auf Außenklima umgestellt. Das bringt den Tieren bereits in der Einstiegsstufe deutlich mehr Licht und Luft und ist einer von vielen Schritten. „Wir werden uns weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, dass sich die Bedingungen für die Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung kontinuierlich verbessern und Verbraucher *innen eine bewusste Entscheidung für mehr Tierschutz treffen können“, sagt Deininger.
Es ist möglich, die Haltungsbedingungen schrittweise und gemeinsam mit Landwirtschaft und dem Handel zum Positiven zu verändern. Das beweist das Tierschutzlabel. Dass man „mit vielen kleinen Schritten Großes bewegen“ kann, glaubt auch Petra Bentkämper, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes. Sie betonte in ihrem Grußwort auf dem Empfang, dass die Tierhaltung aus ihrer Sicht zur deutschen Landwirtschaft dazu gehöre. „Ich glaube aber, dass jede und jeder Einzelne ihren und seinen Beitrag leisten kann, dass sich etwas bewegt, dass sich etwas verändert“, sagte sie und warb für einen Austausch aller Interessengruppen. Einen gemeinsamen Weg mit der Politik und über die gesamte Lieferkette von der Landwirtschaft bis zum Teller der Verbraucher*innen wünscht sich auch Hermann Färber (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages. „Tierwohl ist wichtig, nicht nur für die Tiere, sondern auch für uns als Gesellschaft. Wie gehen wir mit Tieren um? Wie identifizieren wir uns im ethischen Bereich mit ihnen? Das zeichnet uns als Gesellschaft aus“, sagte er und benannte den Deutschen Tierschutzbund und sein Tierschutzlabel als Vorreiter. „Sie bieten den Verbraucher*innen die Möglichkeit, sich bewusst für solche Produkte zu entscheiden.“
Wie sie Produkte erkennen, hinter denen bessere Haltungsbedingungen als in der konventionellen Landwirtschaft stehen, und wie diese im Vergleich genau aussehen, erfuhren in Berlin auch die jüngsten Messebesucher*innen. Im Schüler*innenprogramm „Grüne Woche young generation“ besuchten neun Schulklassen den Stand des Tierschutzlabels. Die Mitarbeiterinnen der Kinder- und Jugendabteilung des Deutschen Tierschutzbundes veranschaulichten den Viert- bis Neuntklässler*innen, dass Intensivtierhaltung nicht abstrakt in dunklen Ställen stattfindet, sondern einen konkreten Bezug zu ihrer Lebenswelt hat. Die Kinder und Jugendlichen konnten am eigenen Leib testen, wie wenig Platz Legehennen in der konventionellen Tierhaltung haben. Sie lernten, wie wichtig es für Schweine ist, ihre Umgebung zu erkunden und zu wühlen. „Viele von ihnen haben auch schon von der Verbindung von Ernährung und Tierschutz gehört. Mit unserem Programm Tierschutz im Einkaufskorb möchten wir Schüler*innen hier zeigen, wie sie ihren Einkauf tierfreundlicher gestalten können. Dabei ist es uns in der pädagogischen Umsetzung wichtig, Jugendliche zu nichts zu drängen, aber auch die Realität aufzuzeigen und ihnen zu vermitteln, dass auch kleine Veränderungen einen Unterschied machen“, sagt Joelle Neutag, Referentin für Kinder- und Jugendschutz beim Deutschen Tierschutzbund.
Die Grundlage für die erfolgreiche Arbeit des Tierschutzlabels ist Vertrauen, Konstanz und Kontinuität im Umgang mit allen Partner*innen und Lizenznehmer*innen. „Das zeigt auch: Wenn man miteinander redet, wenn man bereit ist, Umstellungen anzugehen, dann lässt sich ein Graben zwischen Landwirtschaft und Tierschutz überbrücken“, erläuterte Schröder. Die Vorgängerregierung, die Ampelregierung, aber auch der Bauernverband hätten das Angebot, „dass wir als Tierschützer*innen ihnen die Hand reichen“, noch nicht vollständig ausgeschöpft. Zudem habe die Ampel durch ihre Entscheidungen und Kommunikation im Zusammenhang mit der Streichung umweltschädlicher Subventionen in der Landwirtschaft viel Vertrauen in die notwendige und versprochene Transformation der Tierhaltung verspielt. „Nötig ist jetzt ein Ruck durch alle Gruppen, sich wieder an den Tisch zu setzen. Wir stehen bereit“, sagte Schröder. „Der Bauernverband hat in der Borchert-Kommission und auch in der Zukunftskommission Landwirtschaft die Notwendigkeit einer Transformation bestätigt und ihr ausdrücklich zugestimmt. Jetzt muss er beweisen, dass das nicht nur laue Worte waren. Es braucht einen Neustart in der Tierschutz- und Transformationspolitik.“
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