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10 Jahre Cellasys im Zellkulturlabor des Deutschen Tierschutzbundes

„Wir sind keine 70-Kilogramm-Ratte“

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10 Jahre Cellasys im Zellkulturlabor des Deutschen Tierschutzbundes

„Wir sind keine 70-Kilogramm-Ratte“

Als einzige Tierschutzorganisation verfügt der Deutsche Tierschutzbund in der Akademie für Tierschutz über ein Zellkulturlabor. Seit zehn Jahren forscht das Unternehmen cellasys dort an Alternativmethoden zu Tierversuchen. Im Interview spricht der CEO Dr. Joachim Wiest über die Zusammenarbeit und die wichtigsten Entwicklungen für eine Wissenschaft ohne Tierleid.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Herr Dr. Wiest, wieso haben Sie sich der Forschung an Alternativmethoden zu Tierversuchen verschrieben?

Ich würde eher sagen, ich habe mich der Forschung an human relevanter Wissenschaft verschrieben. Das bedeutet, dass wir Methoden entwickeln, die die Vorgänge im Menschen möglichst exakt nachbilden. Das kann mit Tierversuchen nicht erreicht werden. Wie es so schön heißt: „Wir sind keine 70-Kilogramm-Ratte“.

Wie kam es vor zehn Jahren zu der Kooperation mit dem Deutschen Tierschutzbund?

Ich kannte den damaligen Leiter der Akademie für Tierschutz und erfuhr, dass das Zellkulturlabor damals stillgelegt war. Die cellasys nutzte noch ein Labor an der Uni, konnte dort aber kein Qualitätsmanagement etablieren. Das Zellkulturlabor wurde dann von uns wieder in Betrieb genommen; der Deutsche Tierschutzbund hatte wieder einen Laborleiter und die cellasys ein Labor mit Qualitätsmanagement.

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus?

Das Labor ist an das Referat Alternativmethoden zu Tierversuchen des Deutschen Tierschutzbundes angegliedert. Wir stimmen uns in einem monatlichen Jour Fixe über aktuelle Angelegenheiten ab und definieren gemeinsame Themen.

 Woran genau forschen Sie?

Wir forschen an mikrophysiometrischen Systemen. Das sind technische Lösungen, die es erlauben, menschliche Gewebeproben im Labor am Leben zu erhalten und zu analysieren. Die Weiterentwicklung dieser Methoden ermöglicht es, Untersuchungen, die bisher an Tieren durchgeführt werden, zu ersetzen.

Im Gegensatz zu den in der Krebsforschung üblichen Tierversuchen soll Ihre Methode eine individuell angepasste Chemotherapie mittels Biochip ermöglichen. Wie funktioniert dies?

Hier gibt es die Möglichkeit, eine Tumor-Biopsie eines Krebs-Patienten in einem mikrophysiometrischen System zu untersuchen. Damit kann – vor Therapiebeginn – die Wirksamkeit eines Krebsmedikaments am individuellen Patienten abgeschätzt werden.

Kurzvita

PD Dr.-Ing. habil. Joachim Wiest absolvierte eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker bei der Deutschen Telekom AG. Danach studierte er Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität München (TUM) und erhielt 2013 sein Diplom. Seine anschließende Doktorarbeit zur Sauerstoffmessung in Lab-on-a-chip Systemen schloss er dann 2008 ab. 2007 gründete er die cellasys GmbH deren Geschäfte er seitdem führt und die seit 2012 mit dem Deutschen Tierschutzbund kooperiert. 2021 habilitierte er an der TUM zum Thema „Systems Engineering of Microphysiometry“; dort hält er auch eine Vorlesung zum Thema.

Welche Momente waren für Sie die wichtigsten des gemeinsamen Jahrzehnts?

Ein Highlight war sicherlich das Seminar zur Problematik mit fötalem Kälberserum im Juni 2016. Damals kamen international führende Wissenschaftler auf diesem Gebiet nach Neubiberg und erörterten das Thema. Dies führte zu einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen und einem weiteren Seminar in 2020. Es wurde auch ein zweitägiges Training konzipiert, das die Akademie für Tierschutz zusammen mit der cellasys als Fortbildung für interessierte Wissenschaftler seit diesem Jahr anbietet.

Welche Ihrer Entwicklungen werden bereits im Alltag angewendet?

Wir haben einige unserer mikrophysiometrischen Systeme an universitären Forschungslaboren in Europa und auch in Asien platzieren können. Dort wird nun mit Gewebeproben und nicht mehr mit Tieren geforscht.

Sie sind für Ihre Arbeit für eine wirksamere Krebstherapie mit dem „Innovation Leben Award“ ausgezeichnet worden. Welche Bedeutung haben solche Preise für Sie und den schrittweisen Weg zu einer Forschung ohne Tierversuche?

Ein solcher Preis ist eine wichtige Anerkennung für unsere oft mühsame Arbeit. Zudem helfen solche Preise, die Sichtbarkeit unserer Tätigkeit zu erhöhen. Je mehr Menschen von den heutigen Möglichkeiten in der tierversuchsfreien Forschung erfahren, desto eher werden diese Methoden in der wissenschaftlichen Praxis angewendet.

Welche Ziele setzen Sie sich für die nächsten zehn Jahre?

Es wäre großartig, wenn die zuständige Europäische Behörde eine unserer Ersatzmethoden in ihren Katalog für zugelassene Alternativmethoden zum Tierversuch aufnehmen würde. Damit wäre dieser Tierversuch per Gesetz in Europa verboten. Um dies zu erreichen, sind allerdings umfangreiche Studien mit der Teilnahme von mehreren Laboren notwendig.

Wie beeinflusst die Arbeit des Deutschen Tierschutzbundes Sie persönlich?

Durch die vielen Gespräche und Begegnungen bin ich für die verschiedenen Aspekte des Tierschutzes – seien es Pelzkragen oder das Thema Ernährung – sensibilisiert worden und auch selbst Mitglied im Deutschen Tierschutzbund geworden.

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