Wenn Talent zum Verhängnis wird

Aus dem Print-Magazin

Wenn Talent zum Verhängnis wird

Hummeln sind faszinierende Tiere, die unter anderem für ihre besondere Bestäubungstechnik Bewunderung finden. In der industriellen Tomatenzucht wird ihnen jedoch genau diese Fähigkeit zum Verhängnis – und auch auf die Ökosysteme weltweit hat der Einsatz von Zuchthummeln in der Landwirtschaft verheerende Auswirkungen.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Sie sind beliebte Frühlingsboten und gern gesehene Sommergäste: Hummeln sind wunderschöne Tiere, die die Sympathie allein schon durch ihre niedliche, runde Körperform und ihr plüschiges Antlitz auf ihrer Seite haben. Doch die Insekten sind nicht nur hübsch anzusehen, wenn sie von Blüte zu Blüte fliegen, sie gelten im Tierreich auch als wahre Bestäubungstalente und spielen damit eine wichtige Rolle im Ökosystem. Schließlich sind zahlreiche Pflanzen auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Hummeln hat die Natur dabei mit einer ganz besonderen Fähigkeit ausgestattet, was die Tiere auch in der Landwirtschaft zu wichtigen Bestäubern von zum Beispiel Tomaten, Paprika und Erdbeeren, aber auch Ackerbohnen und Erbsen macht. „Während Bienen mit ihren vergleichsweise kleinen Körpern und kurzen Rüsseln nur bestimmte, einfach zugängliche Blüten mit flachen Blütenkelchen bestäuben können, verfügen Hummeln über ein breiteres Repertoire an Bestäubungstechniken“, sagt Nina Brakebusch, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. Darüber hinaus sind Hummeln auch noch wahnsinnig fleißig. Sie fliegen in der gleichen Zeit nicht nur mehr Blüten an als Bienen, sondern sind auch dann noch unterwegs, wenn diese schon Feierabend haben. Auch kühlere Witterungen halten sie nicht von ihren Sammelflügen ab.

Hummeln sind wahre Bestäubungskünstler

Wie Bienen und andere Insekten nehmen Hummeln den Blütenstaub der Pflanzen, auch Pollen genannt, auf ihrer Suche nach Nahrung beim direkten Kontakt mit den Blüten auf, tragen diesen dann zu den nächsten Blüten weiter – und die Bestäubung beginnt. Als weitere Technik wenden sie die sogenannte Vibrationsbestäubung an – eine im Tierreich ganz besondere Vorgehensweise. „Hierbei hängen sich die Hummeln an die Blüten und beginnen mit ihrer Brustmuskulatur zu vibrieren. Auf diese Weise löst sich der Blütenstaub und wird auf die anderen Blüten der
gleichen Pflanze sowie auf die der Nachbarpflanzen geschüttelt“, erklärt Brakebusch. „Gleichzeitig verfängt sich ein Teil des Pollen im Pelz der Tiere und wird dadurch zusätzlich zu den nächsten Pflanzen weitergetragen.“

Hummelzucht unter künstlichen Bedingungen

Tomaten sind zur Befruchtung genau auf diese Vibrationsbestäubung angewiesen. Bis in die 1980er Jahre haben Gemüseproduzent*innen die Pflanzen daher manuell mit elektrischen Geräten bestäubt – eine sehr aufwändige Arbeit, die pro Hektar Arbeitskosten in der Höhe von etwa umgerechnet 10.000 Euro verschlungen hat. Mit dem Ziel, diese enormen Kosten zu senken, haben Wissenschaftler*innen bereits 1912 damit begonnen, zu erforschen, ob und wie es möglich ist, Hummeln in Gefangenschaft zu züchten und zu halten. „In den 1970er Jahren ist es ihnen gelungen, dass einige Hummelarten einen vollständigen Jahreszyklus durchlaufen“, so Brakebusch. „Insbesondere die Dunkle Erdhummel stellte sich als besonders geeignet für die Aufzucht und Haltung unter künstlichen Bedingungen heraus.“ Ab Mitte der 1980er Jahre begann die kommerzielle Zucht und seit der Jahrtausendwende ist es weltweiter Standard, beim Anbau von Tomaten auf die Bestäubung von Dunklen Erdhummeln zu setzen. Verglichen mit den Summen für den hohen menschlichen Arbeitsaufwand sind die Kosten für die Zucht gering und durch Hummeln bestäubte Pflanzen zudem ertragreicher als technisch bestäubte.

Laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) werden jedes Jahr weltweit etwa 186 Millionen Tonnen Tomaten produziert – der größte Teil davon wird durch Hummeln bestäubt.

Die kommerzielle Hummelzucht hat immense Auswirkungen auf die Ökosysteme weltweit. Auch in Deutschland, wo die Dunkle Erdhummel heimisch ist, wirken sich entflogene Zuchthummeln negativ aus.

Hummeln leiden als Nutztiere

Heute versenden die europäischen Unternehmen, die in der künstlichen Hummelzucht aktiv sind, jährlich mehr als zwei Millionen Hummelnester in die ganze Welt. Dafür werden die Hummelvölker inklusive ihrer Königin in Papp- oder Plastikboxen gehalten und verschickt, in denen sich mittig das Nest befindet. „Über einen Schieber können die Tomatenzüchter*innen das Ein- und Ausflugloch öffnen oder verschließen und gleich nach der Lieferung mit der Bestäubung beginnen“, so Brakebusch. In jeder Box befinden sich einige Hundert Hummeln. „Es werden aber auch ‚Turbo‘-Ausführungen mit größerer Volksstärke oder bis zu drei Völker in einer in verschiedene Kammern unterteilten Box ausgeliefert.“ Wenn die Hummeln ihre Arbeit verrichtet und alle Pflanzen in einem Gewächshaus bestäubt haben, sind sie für die Tomatenzüchter*innen allerdings nutzlos. Da das Freilassen der Zuchttiere keine Option ist, weil sie sonst die einheimischen Wildarten gefährden würden, ist es gang und gäbe, die Hummeln zu töten. Von den Produzent*innen wird empfohlen, die Boxen mit den Tieren dafür in Plastiktüten zu packen und mindestens eine Woche in die Gefriertruhe zu legen. „Häufig werden diese aus Kostengründen aber nicht kalt oder lange genug gekühlt. „In diesen Fällen kommt es bei der anschließenden Entsorgung vor, dass Tiere aus der Kältestarre erwachen und dann entweder ersticken oder in den Plastiktüten verhungern“, so Brakebusch. Um die Kosten des Einfrierens zu sparen, werden die Hummelnester oft auch einfach verbrannt. Allerdings entkommen dabei immer einige Tiere, die dann in einem langen Todeskampf sterben, weil ihre Flügel und ihr Pelz versengt oder von Wachs verklebt sind. Beide Tötungsarten sind also mit zum Teil sehr hohem Tierleid verknüpft – abgesehen davon, dass jedes Jahr unzählige Hummeln auf diese Art und Weise sterben müssen. Außerdem entstehen bei der Verbrennung der Nester, die aus Karton und Polystyrol bestehen, giftige und klimaschädliche Gase.

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Entflogene Hummeln beeinflussen das Ökosystem

Darüber hinaus ist es im gesamten Bestäubungsprozess einfach nahezu unmöglich zu verhindern, dass Hummeln aus den Gewächshäusern entkommen. „Diese Tiere bilden verwilderte Populationen, verpaaren sich mit den im jeweiligen Ökosystem bereits vorhandenen wilden Hummelnund verdrängen heimische Arten durch eine höhere Bestäubungsleistung oder die Übertragung von Krankheiten“, erklärt Brakebusch. Heute gibt es unter anderem in Japan, auf dem südamerikanischen Kontinent und in Tasmanien verwilderte Dunkle Erdhummeln, die auf entwichene Zuchthummeln zurückgehen. „In Südamerika haben Wissenschaftler*innen festgestellt, dass die heimische Hummelart Bombus dahlbomii wenige Jahre nach der Ankunft der Dunklen Erdhummel regional ausstarb. Es wird vermutet, dass die Hummeln und mit ihr eingeschleppte Parasiten die dort heimischen Hummelarten mit großer Geschwindigkeit verdrängen.“ Auch in anderen Ländern lässt sich ein Verdrängungswettkampf zwischen einheimischen Bestäuberinsekten und der Dunklen Erdhummel nachweisen. Selbst in Ländern wie Deutschland, wo die Dunkle Erdhummel heimisch ist, wirken sich entflogene Zuchthummeln negativ aus. „Dadurch,dass es sich bei den Tieren aus der Tomatenzucht um züchterisch veränderte Tiere handelt, verändern sie durch die Paarung den Genpool der wildlebenden Art“, so Brakebusch. „Zwar wissen wir nicht genau, wie dieZuchtkriterien bei den Hummeln im Detail aussehen. Dass sie züchterisch verändert werden, ist aber gewiss.“ Die kommerzielle Hummelzucht hat also immense Auswirkungen auf die Ökosysteme weltweit.

Wild lebende Tiere und saisonalen Gemüseanbau stärken

Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes sind das Tierleid und die Folgen für die wildlebenden Hummelarten zu hoch. „Aus Tierschutzsicht wäre es besser,die Hummeln gar nicht erst künstlich zu züchten“, sagt Brakebusch. „Vielmehr sollten die Ansiedlung von Wildbienen, zu denen per Definition auch Hummeln gehören, und die Produktion von saisonalem und regionalem Obst und Gemüse gefördert werden.“ Damit wäre es möglich, Tomaten in unseren Breitengraden sowohl im Freiland als auch im Gewächshaus tierfreundlich zu kultivieren. Denn wenn es mehr wild lebende Bestäuber gibt und die Gewächshäuser im Frühling und Sommer geöffnet sind, finden die Hummeln mit ihrem Geruchssinn ganz alleine dort hinein und können die Bestäubung übernehmen. „Nur durch die hohe Nachfrage nach ganzjährig verfügbaren Tomaten und Erdbeeren werden diese Feldfrüchte überall auf der Welt und auch im Winter unter Glas angebaut. Da zu diesen Jahreszeiten natürlicherweise keine Bestäuber unterwegs sind, müssen sie künstlich gezüchtet werden, um die Nachfrage zu decken.“ Doch niemand ist darauf angewiesen, im Winter frische Tomaten oder Erdbeeren zu essen. „Eine Ausrichtung der Ernährung auf saisonal und regional verfügbare Obst- und Gemüsesorten würde die künstliche Hummelzucht obsolet machen.“ Davon würden am Ende nicht nur die Tiere, sondern auch die Umwelt und der Mensch profitieren.