Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Trockene Statistik. Anonyme Ziffern. Keinerlei Emotion. Jährlich veröffentlicht das Bundesinstitut für Risikobewertung die Versuchstierzahlen. 5.058.167 verbrauchte Tiere im Jahr 2021. Für den Deutschen Tierschutzbund ist klar: Hinter den namenlosen Geschöpfen stecken 5.058.167 Einzelschicksale. Tragische Lebensgeschichten von Mäusen, Ratten, Fischen, Kaninchen, Katzen und Hunden. Was sie eint: Schmerzen, Leid und ein Tod im Dienste der Wissenschaft. „Tage-, wochen- oder monatelang mussten diese Tiere in Versuchen leiden. Und all das für fragwürdige Ergebnisse“, sagt Jessica Rosolowski, Referentin für Alternativmethoden zu Tierversuchen beim Deutschen Tierschutzbund. Ebenfalls unter den Opfern: nichtmenschliche Primaten, kurz NHP – non-human primate. Dazu gehören zum Beispiel Mausmakis, Weißbüschel-, Rhesus- oder Totenkopfaffen sowie Grüne Meerkatzen und Paviane. Die mit Abstand am meisten genutzte Affenart in deutschen Laboren sind Javaneraffen.
Die auch als Langschwanzmakaken oder Krabbenesser bekannten wunderschönen Tiere stammen aus Südostasien und sind dort unter anderem von Myanmar und Thailand über Malaysia bis Indonesien und auf den Philippinen beheimatet. Durch den Menschen sind sie zudem in einigen weiteren Gebieten verbreitet, zum Beispiel auf Mauritius. Die grau, graubraun oder rötlichbraun gefärbten Javaneraffen leben vor allem in Regen-, Mangroven- oder Bambuswäldern und nennen auch Bäume in Sumpfgebieten ihr Zuhause – halten sich zunehmend aber auch in von Menschen geprägten und urbanen Gebieten auf. Charakteristisch ist ihr braun-graues Gesicht, das eine feine weiße Zeichnung über den Augenlidern aufweist und durch einen Backenbart sein besonderes Aussehen erhält. Auch an ihrem langen Schwanz und ihrem oft auffälligen, dunkel gefärbten Haarschopf sind die Tiere gut zu erkennen. Das Leben der bis zu 63 Zentimeter großen und bis zu zwölf Kilogramm schweren Tiere spielt sich vor allem tagsüber und in luftigen Höhen ab. Sie klettern auf allen Vieren über die Äste, kuscheln sich in den Wipfeln der Bäume aneinander, springen bis zu fünf Meter weit durch die Baumkronen, toben, spielen und suchen gemeinsam nach Nahrung. Javaneraffen leben in einem hoch entwickelten, komplexen Sozialsystem in Gruppen von bis zu 60 Tieren, die aus mehreren Weibchen mit ihrem Nachwuchs und wenigen Männchen bestehen, die bis zu 30 Jahre alt werden können. Ihre Leibspeise sind Früchte, auf ihrem Speiseplan stehen aber auch Blätter, Blüten, Gräser, Pilze, Insekten oder Vogeleier – auf der Suche nach Nahrung kommen sie von Zeit zu Zeit auf den Boden. Je nach Verfügbarkeit und Lebensraum fressen die intelligenten Tiere zudem Krebstiere, Schnecken sowie Muscheln und nutzen dabei Steine, um diese aufzuschlagen und an das schmackhafte Innere zu gelangen. Javaneraffen pflanzen sich das ganze Jahr über fort, die Geburten häufen sich aber in der Regenzeit von Mai bis Juli. Dann bringen die Weibchen nach bis zu 168 Tagen jeweils ein Junges zur Welt, das sie bis zu 22 Monate lang säugen und in ihrer Obhut liebevoll großziehen. „Javaneraffen sind wie alle Primaten sehr soziale Tiere, deren Schmerz- und Leidensfähigkeit mit der des Menschen vergleichbar ist“, sagt James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. „Auch wenn der Mensch es manchmal nicht wahrhaben will, auch wir gehören zu den Primaten. Und die Affen sind unsere nächsten Verwandten.“
„84 Prozent der 2021 in Deutschland erstmalig verwendeten Versuchsaffen wurden außerhalb Europas geboren und dann importiert. 51 Prozent dieser Tiere stammten aus Asien, 33 Prozent aus Afrika“, so Rosolowski. „Von den Javaneraffen, die 2021 mit 91 Prozent die größte Gruppe der in Versuchen verwendeten Primaten darstellten, wurden sogar 93 Prozent importiert.“ Um die Masse an Affen in den Laboren decken zu können, ist ein internationales Handelsnetzwerk entstanden, das aus undurchsichtigen Lieferketten besteht und illegale Machenschaften begünstigt.
„Die gewaltsame Trennung der Tiere von ihrer vertrauten Gruppe und Familie sorgt für großes Leid. Hinzu kommen immenser Stress und Verletzungen durch den Fang“, sagt Brückner. Anschließend werden die Wildtiere in lokale Zuchtstationen gebracht und dort unter miserablen Bedingungen gehalten. Im nächsten Schritt werden sie selbst oder ihre Nachkommen dann an Zwischenhändler*innen weiterverkauft. „China ist einer der Umschlagplätze in Asien. Von solchen Knotenpunkten aus gelangen die Affen in die ganze Welt und damit auch nach Europa und Deutschland“, so Rosolowski. Das bedeutet, nach diversen Aufenthalten und Transporten wartet auf die Tiere jetzt noch ein tagelanger Flug, den nicht alle von ihnen überleben. Die Affen, die es bis nach Deutschland schaffen, lassen ihr Leben entweder wenig später oder nach einer jahrelangen Leidenszeit in den Laboren, nachdem sie die grausamen Prozeduren im Tierversuch über sich ergehen lassen mussten.
Der Weg über verschiedene Zwischenstationen und illegale Praktiken machen eine Rückverfolgung der Lieferketten nahezu unmöglich. „Es gibt kaum eine Chance zu prüfen, aus welcher Generation ein Tier im Labor tatsächlich stammt“, so Rosolowski. „Wild gefangene Affen werden auch ganz gezielt als in Gefangenschaft geborene Tiere gekennzeichnet, um Artenschutzabkommen zu umgehen.“ „Auch die Nutzung der Javaneraffen ist längst zu einem Artenschutzproblem geworden. Weltweit hat die Art einen dramatischen Bestandseinbruch erlebt“, sagt Brückner. Mauritius ist einer der Hauptlieferer für Javaneraffen weltweit. Hier gelten die Tiere als invasive Art und sind daher zum Fang freigegeben. „Wir können aufgrund der undurchsichtigen Strukturen nicht nachvollziehen, ob die in den Versuchen verwendeten Javaneraffen ausschließlich aus Ländern wie Mauritius stammen, in denen die Tiere als invasiv gelten, oder ob sie auch aus ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in Südostasien kommen“, sagt Brückner. Fest steht: „Die Nachfrage ist weltweit riesig. Noch 2008 war die Art nicht gefährdet, musste jedoch von der Weltnaturschutzunion (IUCN) 2015 als gefährdet und im März 2022 sogar als stark gefährdet eingestuft werden.“
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Aktuell gibt es einen Hoffnungsschimmer. Denn seit November 2022 dürfen nichtmenschliche Primaten in der EU offiziell nur noch dann für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden, wenn sie Nachkommen von in Gefangenschaft gezüchteten Tieren sind. Demnach ist die Verwendung von wild gefangenen Affen oder von direkten Nachkommen von in der Wildnis gefangenen Affen inzwischen eigentlich verboten. „Ausnahmen sind bei entsprechender Begründung allerdings immer noch möglich“, sagt Rosolowski. Hinzu kommt, dass der Bedarf der Labore weltweit einfach so groß ist, dass die Zuchtstationen in Asien und Afrika ihre Bestände mit Wildfängen aufstocken. „In Kombination mit der zweifelhaften Rückverfolgbarkeit ist es aus unserer Sicht schwierig bis unmöglich zu gewährleisten, dass das Verbot tatsächlich greift“, so die Expertin. „Wir gehen davon aus, dass es in Deutschland nach wie vor Versuche an Affen geben wird, die den Fang von Tieren aus dem Dschungel indirekt weiter antreiben.
Der Deutsche Tierschutzbund fordert daher im ersten Schritt ein Importverbot von nichtmenschlichen Primaten. Zum Glück stellen nach und nach immer mehr Fluggesellschaften den Transport der Tiere, die für wissenschaftliche Zwecke bestimmt sind, ein – 2022 zuletzt Kenya Airways, Air France und EgyptAir. Weil das Leid für die Affen im Labor aber natürlich unabhängig von ihrem Abstammungsort ist, fordern die Tierschützer*innen im zweiten Schritt ein generelles Verbot der grausamen Tierversuche. „Anstatt Zuchtprogramme in der Europäischen Union zu intensivieren, muss die Schlussfolgerung sein, zeitgemäße tierversuchsfreie Methoden stärker zu fördern und die Beendigung aller Tierversuche anzustreben“, sagt Rosolowski. Denn selbst wenn das Artenschutzproblem durch eine europäische Zucht der Tiere beendet werden würde, bleiben immer noch das immense Leid und der Tod der Affen in mehr als fragwürdigen Tierversuchen.
Bildrechte: Artikelheader: stock.adobe.com – seregraff (Porträt Affe); Foto: stock.adobe.com – JAKLZDENEK (Affen auf Baum)