Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Die Vorstellung, uns Menschen und unsere Organe auf einem Chip nachzubilden, wirkt für viele auf den ersten Blick unmöglich und wie ein Szenario aus einem Science-Fiction-Film. Dabei ist genau das in der Wissenschaft schon Realität. Bereits seit einigen Jahren arbeiten Wissenschaftler daran, sogenannte Organbiochips zu entwickeln, um menschliche Zell- und Stoffwechselprozesse genau untersuchen zu können. So wollen sie damit unter anderem biomedizinische Fragestellungen beantworten, wie zum Beispiel warum die menschliche Leber im Krankheitsverlauf einer Blutvergiftung, auch Sepsis genannt, versagt.
„Biochips sind nicht nur eine wissenschaftliche Revolution, sondern vor allem auch eine echte Alternative zu den bislang für diese Untersuchungen durchgeführten Tierversuchen“, sagt Kristina Wagner, Leiterin der Abteilung Alternativmethoden zu Tierversuchen beim Deutschen Tierschutzbund.
Ein Forschungsprojekt, bei dem es sich lohnt, einmal genauer hinzusehen, ist das von Dr. Alexander Mosig, Zellbiologe an der Universitätsklinik Jena. Dr. Mosig hat gemeinsam mit seinen Kollegen unterschiedliche „organ-on-a-chip“-Systeme einer neuen Dimension entwickelt. So vereint das von ihm entwickelte Leber-Modell erstmals alle wesentlichen Zelltypen dieses Organs. Die gläsernen Objektträger mit ihren kleinen Hohlräumen, Sensoren, Zu- und Abflüssen ähneln optisch nicht einmal entfernt den menschlichen Organen. Dennoch versetzen sie Wissenschaftler in die Lage, wichtige Funktionen von Organen und sogar deren Kommunikation miteinander nachzubilden.
Im Falle des Leber-Modells füllen die Wissenschaftler Leber- und Blutgefäßzellen mithilfe einer Nährflüssigkeit in den Chip. Über ein Kanalsystem fließen diese dann in die unterschiedlichen Ebenen des Objektträgers. Durch eine Membran getrennt, lagern sich die Blutgefäßzellen anschließend im oberen und die Leberzellen im unteren Bereich ab – genau so, wie es im menschlichen Körper der Fall wäre. Gleichzeitig sorgen Pumpen, die an den Chip angeschlossen sind, für ein Mikroflusssystem und einen gleichmäßigen Strom. Das ist es, was den Biochip so besonders macht: Durch die sich bewegenden Flüssigkeiten können die Wissenschaftler – im Gegensatz zu statischen Zellkulturen – reale Funktionen der Leber und anderer Organe nachahmen. Über verschiedene Schläuche können sie nun Blutzellen, Gallenflüssigkeit, Nährstoffe oder auch Krankheitserreger in das System einbringen und den menschlichen Blutkreislauf simulieren. So wird es möglich, Medikamente in einer Umgebung zu testen und Krankheiten zu simulieren, die dem menschlichen Körper und typischen Krankheitsverläufen entsprechen – und das in Echtzeit. „Das Problem der Übertragbarkeit von Tierversuchen gibt es hier nicht“, so Wagner.
2014 haben Dr. Mosig und seine Kollegen für ihre Forschung bereits den Thüringer Tierschutzpreis erhalten. Dieses Jahr überreichte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ihnen den Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Neben weiteren Experten der Alternativmethodenforschung sitzt auch Roman Kolar, Leiter der Akademie für Tierschutz, in der Jury. „Mit dem diesjährigen Tierschutzforschungspreis wird eine großartige Arbeit geehrt. Wir setzen große Hoffnung in die Technologie der Biochips“, sagt Kolar.
Zellbiologe Dr. Alexander Mosig erzählt von seiner Forschung im Bereich der Alternativmethoden. Lesen
Zusätzlich zu dem genannten Leber-Modell hat Dr. Mosig ein Tumor-Modell entwickelt, an dem die Wissenschaftler derzeit die Wirkmechanismen zweier Anti-Tumor-Wirkstoffe aufklären. In der Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist es ihm gelungen, erstmals ein Biochip-Design der Blut-Hirnschranke zu entwickeln – weitere Modelle sind in Planung. Schon heute ist es möglich, mehrere solcher Organmodelle hintereinander zu schalten und größere Teile des menschlichen Körpers nachzubilden. Der ganze Mensch, der sogenannte „Human on a chip“, ist derzeit noch Zukunftsmusik.
Was jetzt aber schon feststeht: „Diese Wissenschaftler zeigen uns, wohin die Reise in der Forschung gehen könnte. Sie liefern uns Punkte, an denen wir ansetzen können, um den Prozess hin zu einer ethisch vertretbaren und wissenschaftlich belastbaren, zuverlässigen Forschung voranzutreiben“, sagt Wagner. Schon heute ersetzen Organbiochips eine Vielzahl von Tierversuchen, in denen bislang unzählige Tiere qualvoll sterben mussten.