Autor: Nadia Wattad, Redaktion DU UND DAS TIER
Von A wie Aroniabeere bis W wie Weizengras – das sogenannte Superfood ist sprichwörtlich in aller Munde. Schließlich soll es im menschlichen Organismus wahre Wunder vollbringen. Bevor es aber diesen vermeintlichen Zweck erfüllen darf, müssen häufig andere leiden – nämlich Ratten, Mäuse und Co. Herstellerfirmen nutzen Tierversuche, damit sie ihre Produkte gewinnbringender vermarkten können. Beispielsweise wurden Chia-Samen an Hühner verfüttert, um mögliche Auswirkungen auf die Fettzusammensetzung der Eier und des Fleisches herauszufinden. Ob Saft aus Noni-Früchten giftig ist, untersuchten Wissenschaftler an Ratten. Sie fütterten trächtige Ratten mit einem Fruchtpüree und untersuchten anschließend deren Embryonen.
Auch Genmais, der zu den gentechnisch veränderten Organismen (GVO) zählt, testeten Wissenschaftler zunächst an Nagetieren. Bei Lebensmittelzusatzstoffen, die sich hinter den E-Nummern verbergen – auch ein Süßungsmittel aus Stevia fällt darunter – erwarten die Zulassungsbehörden den Nachweis, dass sie gesundheitlich unbedenklich sind.
Die Tiere bekommen in einem bis zu 90 Tage andauernden Fütterungsversuch das Produkt ins Futter oder Trinkwasser gemischt. Manchmal werden in jenen Versuchen Ratten und Mäuse sogar über eine Magensonde zwangsernährt. Für die Tiere eine grauenhafte Erfahrung. Doch selbst wenn sie dies überleben – am Ende eines jeden Tierversuchs müssen die Tiere sterben. Schließlich ist der Versuch erst beendet, wenn die Forscher die Organe der Tiere untersucht haben.
Das EU-Recht schreibt Fütterungsversuche an Tieren für GVO gesetzlich vor. So sollen schädliche gesundheitliche Auswirkungen untersucht und „das Vertrauen der Verbraucher“ erhöht werden. Ab 2018 erwartet die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) derartige Tierversuche auch bei der Zulassung von Novel Food – so werden Lebensmittel von der EFSA bezeichnet, die in der EU „neuartig“ sind. Dazu zählten bisher Lebensmittel aus Pflanzen, Mikroorganismen, Pilzen, Algen und Tieren, also Chia-Samen, Baobab-Früchte, Insekten oder Wasserkastanien. Ausgenommen sind dann nur noch traditionelle Lebensmittel aus Drittländern. Was nun absurd erscheint, ist, dass die EFSA selbst manches vor Jahren im Markt eingeführte Lebensmittel als angeblich „neuartig“ definiert. Für diese sollen Wissenschaftler Fütterungsstudien, also Tierversuche, durchführen.
Der Deutsche Tierschutzbund kritisiert die eingeforderten Tests scharf. Zum einen sind die betreffenden Lebensmittel teils schon seit Jahren auf dem Markt und werden von den Menschen bereits verzehrt, zum anderen lassen die Versuche keinen Rückschluss auf die Sicherheit für den Menschen zu. Der Deutsche Tierschutzbund fordert stattdessen moderne, tierleidfreie Methoden, um die Giftigkeit und mögliche schädliche Auswirkungen von Futter- und Lebensmitteln zu untersuchen. Auch die Eurogroup for Animals hatte den von der EFSA veröffentlichten Novel-Food-Leitfaden, der auf Fütterungsversuche setzt, in der öffentlichen Anhörung scharf kritisiert und darauf gedrängt, diesen zu ändern – ohne Erfolg. Der Deutsche Tierschutzbund hat daraufhin die Öffentlichkeit über seine medialen Kanäle informiert. Dadurch ist der Westdeutsche Rundfunk auf das Thema aufmerksam geworden und hat einen Beitrag darüber gesendet.
Lebensmittelversuche an Tieren sind wenig aussagekräftig, da sich die Ergebnisse nicht pauschal auf den Menschen übertragen lassen. Die erlaubte Tagesdosis („Acceptable Daily Intake“, abgekürzt „ADI“), die bei Lebensmittelzusatzstoffen zum Einsatz kommt, ermitteln die Wissenschaftler mit dem Einsatz von Ratten. So wollen sie einen Schwellenwert erhalten, ab welcher Menge der zu testende Wirkstoff sich nicht mehr negativ auf den Organismus auswirkt. Den ermittelten Wert teilen die Forscher dann zumeist einfach durch 100. Mit diesem Sicherheitsfaktor wird diese vermeintlich ungefährliche Dosis für den Menschen festgelegt.
Diese Vorgehensweise zeigt, dass derartige Versuche für eine Wirkung auf den menschlichen Organismus wenig aussagen. Dennoch werden solche Tierversuche tagtäglich durchgeführt. Sie sind ethisch fragwürdig, weil sie Tod und Leiden von Tieren für rein kommerzielle Zwecke billigend in Kauf nehmen. Und sie schaffen letztlich nicht die erhoffte Sicherheit für Anwender und Verbraucher: Sie erbringen lediglich den Nachweis, wie Nagetiere unter ganz bestimmten (Labor-)Bedingungen auf diese Lebensmittel reagieren.
Letztendlich muss sich jeder selbst die Frage stellen, ob er exotische Lebensmittel wie zum Beispiel Baobab-Fruchtfleisch aus Afrika, Chia-Samen aus Mexiko und Noni-Saft aus Polynesien wirklich braucht. Schließlich könnte eine außereuropäische Herkunft von neu auf den Markt kommenden Produkten im schlimmsten Fall zu einer Klassifizierung als Novel Food und damit zu Tierversuchen führen. Außerdem beinhalten auch heimische Lebensmittel, zu denen altbekannte Gemüsesorten wie Wirsing, Sellerie, Lauch oder Pastinaken zählen, gesundheitsfördernde Eigenschaften. Das Beste daran: Sie wachsen sogar in unseren Gefilden und müssen nicht erst durch die halbe Welt transportiert werden. Das kommt auch unserer Ökobilanz zugute!
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